Zwei Jahrzehnte träumte zumindest im Gemeinderat Radolfzell eine Mehrheit von einer neuen, breiten, helleren Unterführung von der Stadt unter den Gleisen hindurch an den See. Nun hat der Gemeinderat auch formal den Plänen zum Bau einer sogenannten Seetorquerung den Todesstoß versetzt. Inhaltlich hat der Gemeinderat dem Projekt bereits im Januar das Wasser abgegraben. Bei den Haushaltsberatungen waren auf Antrag der Freien Grünen Liste das Geld für die Entwurfsplanung und in der Finanzplanung alle weiteren Ausgaben gestrichen worden.
Dem auf 25 bis über 30 Millionen Euro geschätzten Projekt fehlen seit dieser Entscheidung am 22. Januar 2020 die Mittel und damit die Möglichkeit für eine Umsetzung. Dennoch gab es bis Dienstagabend dieser Woche den Grundsatzbeschluss vom 8. Mai 2018. Damals stimmten 16 Stadträte für die modifizierte Vorzugsvariante oder den Bau einer neuen, kürzeren (24 Meter) und breiteren (8,50 Meter) Unterführung. Die Verwaltung operierte damals mit einer Kostenschätzung von 22,9 Millionen Euro.
Frust der Stadträte
Den Antrag auf das endgültige Aus für das Projekt hat wieder die Freie Grüne Liste eingebracht. Fraktionssprecher Siegfried Lehmann versuchte das Läuten des Sterbeglöckleins mit dem verbalen Deckmäntelchen eines „Neuanfangs“ zu dämpfen. Sein Werben für den Auftakt einer neuen Diskussion, was aus der Unterführung und dem Zugang zum See werden solle, quittierte Norbert Lumbe (SPD) mit seiner eiskalten Schulter: „Ich mag das Wort modifizierte Seetorquerung nicht mehr hören, ich mag das Wort Bahn nicht mehr hören – es wird sich nichts daran ändern, dass wir die Variante der bestehenden Unterführungsvariante behalten.“ Aus Lumbe sprach der Frust eines jahrelangen Anhängers eines neuen Zugangs zum See, der sich zwar den politischen Realitäten beugt, aber dabei nicht noch frohlocken wollte.
Jürgen Keck (FDP) analysierte bitter, dass das Projekt „dermaßen hingezogen worden ist, dass es irgendwann nicht mehr finanzierbar war“. Nun habe man die Zuschüsse in den Sand gesetzt. Auch Walter Hiller (Freie Wähler) beklagte, dass obwohl bereits alle notwendigen Beschlüsse im Gemeinderat gefällt worden seien, „die Bauaufträge von der Verwaltung nicht erteilt wurden“. Zudem habe die Freie Grüne Liste mit „unendlich vielen Anträgen“ das Projekt verzögert. Das kommentierte Siegfried Lehmann lapidar: „Die Mehrheit hat nicht ausgereicht, das Projekt zu verwirklichen.“ Helmut Villinger (CDU) mochte nicht mehr viel Aufhebens um das von ihm stets unterstützte Projekt machen: „Stimmen wir doch ab, dann ist das Thema Seetorquerung erledigt.“ Nur eines interessierte ihn noch, „die Meinung des OB, das will auch der Bürger wissen“, glaubte Villinger.
Die Unterhaltungskosten muss die Stadt weiter übernehmen
Martin Staab, der sich seit seiner Wahl zum Oberbürgermeister 2013 vom Befürworter der Seetorquerung zum Unentschiedenen gewandelt hatte, kündigte an, sich auch dieses Mal in der Abstimmung zu enthalten. „Ich werbe für einen neuen Realismus in Sachen Bahnhofsunterführung“, sagte der OB. Er räumte ein, dass damit zugesagte Fördermittel des Landes „weg sind“. Mit dem Beschluss sei festgelegt, dass es künftig nicht mehr um eine neue Unterführung gehe. „Die bestehende wird noch 30 Jahre von der Bahn abgeschrieben.“ Die Bahn werde Aufzüge einbauen, um die Barriefreiheit herzustellen. 1970 habe sich die Stadt Radolfzell verpflichtet, die Unterhaltungskosten für die Unterführung zu übernehmen. Das werde sich nicht ändern, so Staab.