Vor dem letzten Song der Zugabe hält Matthias Reim kurz inne und fragt: „Hab‘ ich was vergessen?“ Ein lautes „Jaaa!“ schallt ihm aus dem Publikum entgegen. Der Schlagerstar kratzt sich am Kopf. „Aber könnt ihr den Song überhaupt noch hören?“, fragt er. „Jaaa!“, rufen viele der rund 1400 Zuschauer. „Ich kann euch nicht hören!“, sagt Reim. Ein letztes „Jaaa!“ übertönt Reims Band, als sie das Intro seines größten Hits anstimmt.
Dass die Konzertbesucher „Verdammt, ich lieb‘ dich“ noch immer hören – und vor allem singen – können, daran besteht nach wenigen Takten kein Zweifel. Die Frage stellt sich vielmehr für den Schlagerstar: Denn der 63-Jährige singt nach zweieinhalb Stunden Konzert und 30 Jahren Karriere bei seinem Gassenhauer nicht mehr aus voller Kehle mit. Möglicherweise hat er diesen Song schon das ein oder andere Mal dargeboten.
Reim erweist sich als Geschichtenerzähler mit Mut zu Kitsch und Heimatliebe
Vielmehr zeigt sich in dem Moment, dass sich Reim an diesem Abend ausgepowert hat. Alte und neue Songs hat er mit seiner Band zum Besten gegeben: von „Du bist mein Glück“ über „Tief in mir“ bis zur neuen Single „4 Uhr 30“. Die Spielfreude zeigt sich vor allem, als die Band Reim-Songs mit Melodien oder Riffs aus Rockklassikern wie „It‘s Only Rock ‚n‘ Roll“ der Rolling Stones oder „Lady Madonna“ von den Beatles anreichern. Zur Mitte des Konzerts wird dem Schlagerstar kurz die Show gestohlen: Seine Background-Sängerin und Lebensgefährtin Christin Stark singt ihren Song „Spinnst du“.
Zwischen seinen Liedern erweist sich Reim, der lange auf der Mettnau wohnte und seit mehreren Jahren in Stockach lebt, als Geschichtenerzähler mit Mut zu Kitsch und Heimatliebe. So erzählt er von Sommerferien bei seinen Großeltern in Radolfzell, von feuchtfröhlichen Nächten in Cici‘s Bar, vom Songwriting in seinem Stockacher Haus und erklärt, warum er nach so vielen Jahren an den See zurückgekehrt ist: „weil es am See einfach am schönsten ist“.
Konzert wird am Ende mit „Matze“-Sprechchören gekrönt
Doch dem Publikum gefällt es – und die Besucher brauchen ohnehin nicht viel, um in Stimmung zu kommen. Viele erleben ihr erstes Konzert seit der Pandemie, die Freude ist ihnen deutlich anzumerken. Mit einer Corona-Schutzmaske lassen sich die kurzsilbigen Refrains aber nicht gut mitsingen. Einige ziehen daher ihre Masken herunter und erhalten eine Ermahnung der Security-Mitarbeiter. Sie kontrollieren an dem Abend die Einhaltung der Maskenpflicht.
Die anfangs vorsichtige Stimmung unter den Zuschauern wird zu Ende des Konzerts sogar mit euphorischen „Matze“-Sprechchören gekrönt. Vor der Zugabe singt Reim noch seinen Song „Nächsten Sommer sehen wir uns wieder“. Ob diese Ankündigung wahr wird, hängt wohl weniger vom Verlauf der Pandemie ab, als vom Schlagerstar selber. Denn von seinem Wohnort Stockach aus, dauert es mit dem Auto nur eine halbe Stunde bis nach Radolfzell. Das Milchwerk bekommt er sicherlich wieder voll.