Es ist das traurige Ende einer lange Zeit erfolgreichen Geschichte: Zum Jahreswechsel hat die Firma BCS seinen Standort in Radolfzell endgültig geschlossen. Damit endet die 75-jährige Geschichte des Werks, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Werner Messmer gegründet wurde. Nach einem rasanten Aufstieg erlebte die Firma viele Erfolge und wechselnde Eigentümer – und schließlich seinen Niedergang. Eine Firmengeschichte, wie sie viele Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland erlebten.
1949 gründete der erst 22 Jahre alte Werner Messmer, der eigentlich Tierarzt hatte werden wollen, das Unternehmen und ließ es 1950 als Werner Messmer KG ins Handelsregister eintragen. Durchaus ein großes Wagnis. Denn Messmer hatte damals nach einem Einsatz in der Ardennenoffensive im Zweiten Weltkrieg und amerikanischer Kriegsgefangenschaft noch nicht viel Erfahrung – und noch weniger Startkapital.
Firmengründung mit viel Risiko und wenig Geld
Bis zu seiner Entlassung aus Gefangenschaft im September 1947 hatte Messmer jedoch als sogenannter „Boy“ für die Kraftfahrzeug-Parks der Amerikaner gearbeitet. Dabei fiel ihm laut eigener Aussage eines auf: Dass die Amerikaner bei Inspektionen viel Wert auf den Austausch der Öldruckschalter legten, die für Messmers eigene Firma wenig später so wichtig werden sollten, schilderte er Jahrzehnte später gegenüber dem SÜDKURIER.
Nach seiner Entlassung begann der gebürtige Espasinger eine kaufmännische Lehre bei der Firma Lemmerz in Radolfzell, die Ventileinsätze für die Autoindustrie lieferte. Als der Betrieb kurz nach Ende seiner Ausbildung insolvent ging, kaufte er die Konkursmasse kurzerhand mit von Freunden, Bekannten und Verwandten geliehenem Geld selbst und startete mit drei Mitarbeitern. Mit in der Konkursmasse: Ein günstiges Patent für Öldruckschalter, deren Bedeutung ihm dank der Amerikaner bereits bewusst war.
Bereits damals sei ihm, so erzählte Messmer später, die große Aufstiegschance als Zulieferbetrieb für die Autoindustrie bewusst gewesen. Dennoch war es eine Gründung mit Risiko. Denn zur Deckung der Unkosten war ein Monatsumsatz von 2500 Mark notwendig. Doch bereits der erste Umsatz im Februar 1950 lag 700 Mark darüber – Messmer wusste, dass er auf dem richtigen Weg war.
Der Unternehmer lieh sich abermals Geld, diesmal um nach Wolfsburg zu VW zu fahren. Beim zweiten Besuch war er erfolgreich, er erhielt einen Testauftrag für Öldruck-Kontrollschalter. Von da ging es rasant bergauf. Bereits nach einem Jahr war die junge Firma auf 40 Mitarbeiter angewachsen. Die Umstellung auf Serienfertigung 1951 war ein entscheidender Schritt nach vorn. Messmer kaufte weitere Maschinen, um unabhängiger von Zulieferern zu werden und mehr Aufträge stemmen zu können. Es folgte der Umzug vom Schmalschen Platz in die Mooser Straße im Jahr 1952.

Rasanter Aufstieg in den 1950er- und 1960er-Jahren
Danach legte der Betrieb einen Aufstieg hin, wie er typisch war für die Anfangsjahre der Bundesrepublik. 1954 hatte Messmer bereits 90 Beschäftigte, 1961 waren es schon 300. Waren zu Beginn nur Öldruckschalter im Sortiment, hatte die Firma 1959 schon 40 Seiten lange Lieferlisten mit verschiedenstem Autozubehör, verarbeitete 2,5 Tonnen Kunststoff pro Woche und war der drittgrößte Gewerbesteuerzahler in der Stadt bei einem Umsatz von 5 Millionen Mark. Die moderne Fabrik dort gehörte bald zu den führenden europäischen Betrieben in der Branche, wie das Unternehmen selbst in einer Werkszeitschrift zum 50. Jubiläum 1999 schrieb.

Auch im folgenden Jahrzehnt wuchs die Firma weiter. 1965 und 1967 baute Messmer laut Werkszeitschrift aus dem Jahr 1999 auf Wunsch von Volkswagen Kooperationen in Mexiko und China auf, bis 1971 wuchs der Betrieb auf über 1000 Beschäftigte und zum größten Arbeitgeber der Stadt mit Zweigstellen in Böhringen, Rielasingen und Gottmadingen.
Die größte Sorge in dieser Erfolgszeit: der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der Region. Um Mitarbeiter anzulocken, ließ Werner Messmer daher 96 Werkswohnungen bauen.
Übernahme durch US-Firma TRW
Als in den 1970er-Jahren die deutsche Wirtschaft von ersten Krisen erschüttert wurde, blieb Messmer optimistisch. Autozubehör werde man immer benötigen, später vermutlich noch mehr als damals, war er sich sicher. Dennoch ging er einen klugen Schritt, der eine große Veränderung für den Betrieb bedeutete.
Im Jahr 1973, als die Automobilmärkte immer stärker umkämpft wurden, holte sich Messmer als starken Partner die US-Firma TRW an Bord, die 1978 den Betrieb dann komplett als TRW Messmer übernahm. Bis 1984 blieb der Gründer noch Geschäftsführer. Der Betrieb selbst wurde jedoch internationaler, die Mitarbeiterzahl blieb aber über Jahrzehnte stabil.
In den 1990er-Jahren wechselte das Unternehmen mehrmals seinen Namen, hieß zunächst TRW Fahrzeugelektrik, ab 1997 TRW Automotive Electronics & Components und wurde 1999 schließlich zum Hauptquartier der weltweiten Produktlinie Automotive Electronics, also von Steuerelektronik im Fahrzeug, mit rund 1000 Mitarbeitern.
Über die Jahrzehnte wandelte sich die Firma vom Produzenten für Öldruckschalter zu einem weltweit agierenden Hightech-Unternehmen für die gesamte Bandbreite elektrischer und elektronischer Fahrzeugkomponenten.
2014 übernimmt ZF, danach die Chinesen
Im Jahr 2014 wechselte der Standort dann abermals seinen Besitzer. ZF Friedrichshafen, einer der größten Automobilzulieferer Deutschlands, kaufte für 13,5 Milliarden US-Dollar die amerikanische Firma TRW, damals weltweit größter Hersteller von Sicherheitstechnik für Autos wie Airbags oder Kollisionswarnsysteme, auf. Für ZF war die Übernahme wichtig, um im Bereich autonomes Fahren Wissen einzukaufen und in der Weltspitze der Zulieferbetriebe mitspielen zu können, wie Branchenkenner damals gegenüber dem SÜDKURIER berichteten. Sie wurde von Fachleuten für alle Beteiligten positiv bewertet. Doch für den Radolfzeller Standort begann damit 65 Jahre nach seiner Gründung die letzte Phase.
Denn nach nur drei Jahren verkaufte ZF seine Produktion von Schaltern und Cockpit-Bedienelementen an den in Hongkong ansässigen Kabelhersteller Luxshare. Betroffen war auch der Radolfzeller Standort mit seinen rund 1100 Mitarbeitern. Der neue und letzte Firmenname lautete von da an BCS Automotive Interface Solutions. Bei ihrem Besuch in Radolfzell im Mai 2018 gab Konzern-Chefin Grace Wang das Versprechen, sie und Luxshare würden BCS langfristig unterstützen.
Niedergang, Rechtsstreit und Schließung
So plante die Konzernführung einen strukturellen Umbau des Standorts hin zu einem Technologiezentrum. Es sollten smarte Oberflächen entwickelt und nach Möglichkeit vollautomatisch produziert werden. Im Zuge dessen sollte die Mitarbeiterzahl reduziert werden. Es gab jedoch eine Vereinbarung, die den Standort mindestens bis Ende 2024 sicherte – inklusive einer Beschäftigungsgarantie für 450 Mitarbeiter und einer Investitionszusage über 12 Millionen Euro.

Doch im Januar 2023 verkündete BCS die Schließung des Werks in Radolfzell zum Jahresende 2024. Vor allem für die verbliebenen 610 Mitarbeiter am Standort ein Schock. Sie waren teils Jahrzehnte im Unternehmen und mit dem Standort eng verbunden. Nun drohte ihnen die Arbeitslosigkeit.
Nach einem Rechtsstreit mit der Gewerkschaft IG Metall und dem gescheiterten Versuch einer einstweiligen Verfügung gegen betriebsbedingte Kündigungen im April 2024 verliefen die letzten Monate des Werks wieder versöhnlicher. Viele Angestellte konnten in umliegende Betriebe wechseln.
Was bleibt?
Nun hat die Geschichte des Standorts am 31. Dezember nach 75 Jahren ein Ende gefunden. Viele ehemalige Mitarbeiter arbeiten für andere Firmen in der Region. Was aus dem Gelände wird, ist noch offen. Was in jedem Fall bleibt, ist neben einer langen Geschichte vor allem der Name des Firmengründers und seine Bedeutung für die Stadt Radolfzell – nicht zuletzt durch die Werner-und-Erika-Messmer-Stiftung. Er selbst erlebte den Niedergang seines Lebenswerks jedoch nicht mehr mit, er ist im Mai 2016 gestorben.