Es war ein Schock, als der Automobilzulieferer BCS Automotive Interface Solution im Januar 2023 ankündigte, sein Werk in Radolfzell zum Jahresende 2024 schließen zu wollen. Vor allem für die 610 Mitarbeiter am Standort. Ihnen drohte die Arbeitslosigkeit. Über die Jahre 2023 und 2024 hinweg sollte die Belegschaft schrittweise abgebaut werden. Die Folge war ein Rechtsstreit mit der Gewerkschaft IG Metall, die allerdings erfolglos die Auszahlung von verzichteten Gehaltszahlungen forderte. Auch eine einstweilige Verfügung gegen betriebsbedingte Kündigungen im April 2024 scheiterte vor dem Arbeitsgericht Radolfzell.

Im Frühjahr verkündete der Betriebsratsvorsitzende Thomas Kummnik stattdessen sogar, dass BCS den Betrieb bereits Ende September, also drei Monate früher als geplant, am Standort einstellen will. Schon Mitte November stellte sich die Frage: Wann wird der Standort tatsächlich geschlossen? Was ist aus den 610 Mitarbeitern geworden? Und wie geht es mit dem Gelände weiter?

Ist der Standort bereits geschlossen?

Besonders auskunftsfreudig zeigte sich BCS auf SÜDKURIER-Nachfrage hinsichtlich der aktuellen Situation am Standort nicht. Personalleiter Michael Itterheim verwies auf laufende Verfahren und gab nur bekannt: „Die finale Werkschließung ist zum 31. Dezember beim Amtsgericht hinterlegt. Wir sind sicher, dass es auch so kommen wird.“ Nach Neujahr sei lediglich noch eine Geschäftsleitung sowie ein weiterer Mitarbeiter am Radolfzeller Standort gemeldet.

„Das Areal soll weiterhin wirtschaftlich genutzt werden. Es ist das einzige Industriegebiet in Radolfzell und soll auch künftig ...
„Das Areal soll weiterhin wirtschaftlich genutzt werden. Es ist das einzige Industriegebiet in Radolfzell und soll auch künftig Industriebetrieben zur Verfügung stehen“, sagt Wirtschaftsförderer Emanuel Flierl. | Bild: Marinovic, Laura

Was ist aus den 610 Mitarbeitern geworden?

BCS konnte gemeinsam mit der Agentur für Arbeit etliche Mitarbeiter an Firmen aus Radolfzell und Umgebung vermitteln, informierte der Personalleiter. Dafür habe BCS ab April eine Jobbörse mit Karrieretagen organisiert und eine Transfergesellschaft gegründet.

Solche Transfergesellschaften werden von der Arbeitsagentur gefördert und sollen eine sozialverträgliche, aber dennoch schnelle Trennung ermöglichen. Wird eine solche Transfergesellschaft eingerichtet, wechseln die betroffenen Mitarbeiter aus dem Unternehmen befristet in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit, wo sie gezielt vermittelt werden.

Transfergesellschaft und Jobbörse zur Vermittlung

Zudem sei die Arbeitsagentur für Schulungen an den Standort gekommen und man habe Kontakte zu anderen Unternehmen vermittelt. Denn, so erklärte Itterheim: „Für viele langjährige Mitarbeiter war es das erste Mal, dass sie arbeitslos waren oder sich bewerben mussten.“

Die Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg, informierte Pressesprecherin Eva Schmidt, beriet die Betroffenen in erster Linie bei Fragen zur Arbeitslosenversicherung, unterstützte beim Arbeitslosmelden und bei der Entwicklung von neuen beruflichen Perspektiven, zum Beispiel durch weitere Qualifizierungen. Zudem habe sie mit Informationsveranstaltungen im laufenden Betrieb, auch während der Nachtschicht, geholfen.

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Während der Karrieretage boten Mitarbeiter der Agentur außerdem Vermittlungen zu neuen Firmen an, so Schmidt. Dazu spreche die Agentur mit Arbeitnehmer und -geber, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. Insbesondere bei größeren Personalveränderungen, wie nun bei BCS, seien solche Angebote vor Ort in den Firmen „nicht unüblich“, berichtete Schmidt.

Einige Mitarbeiter sind noch arbeitssuchend

Ein großer Teil der Mitarbeiter hat laut Michael Itterheim bei Firmen in der Nähe etwas Neues gefunden – meist zu ähnlichen Konditionen, allerdings mit längeren Arbeitszeiten. Bei BCS lag diese zuletzt bei 35 Stunden pro Woche. Genaue Zahlen, wie viele Mitarbeiter arbeitslos waren oder noch immer sind, könne er aber nicht nennen. Auch zur Zahl der Mitarbeiter, die schon gegangen sind, machte der Personalleiter keine Angaben.

Laut Eva Schmidt meldeten sich 63 Menschen im Zusammenhang mit der Schließung des Standorts bei der Arbeitsagentur arbeitslos. Wie viele von ihnen noch immer arbeitssuchend sind, könne sie nicht sagen. Mitarbeiter, die in die Transfergesellschaft übergangen sind, direkt eine neue Stelle fanden oder in Rente gegangen sind, seien hier jedoch nicht berücksichtigt.

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Was wird aus dem BCS-Gelände?

Unklar war im November die Zukunft des Firmengeländes. Emanuel Flierl, Wirtschaftsförderer der Stadt Radolfzell, berichtete auf Nachfrage, dass es Gespräche mit BCS gegeben hat. „Das Areal soll weiterhin wirtschaftlich genutzt werden. Es ist das einzige Industriegebiet in Radolfzell und soll auch künftig Industriebetrieben zur Verfügung stehen“, bekräftigte Flierl angesichts „spürbarer Auswirkungen“ durch die BCS-Schließung auf den lokalen Arbeitsmarkt. Sowohl Erweiterungen ortsansässiger Firmen als auch Neuansiedlungen stehe die Stadt daher positiv gegenüber.

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Flierl bestätigte zudem, dass es Interessenten für das Gelände gab. Wer diese Interessenten sind oder waren und wie die Gespräche hierzu laufen, könne allerdings nur BCS sagen. Das Unternehmen selbst machte jedoch bisher keine Angaben zur Zukunft des Firmengeländes.

Dieser Artikel erschien erstmals im November 2024.