Die Liste der Krisen, um die sich Radolfzells Oberbürgermeister Simon Gröger kümmern muss, wird nicht kürzer. Zu dem Ukraine-Krieg, Gasmangel und der Krankenhaus-Schließung gesellt sich nun auch das Thema Kinderbetreuung. Oder besser gesagt: der Mangel an Erziehern und Erzieherinnen in den Einrichtungen. Denn statt neue und dringend gebrauchte Betreuungsplätze aufzubauen, muss in Radolfzell erst einmal dafür gesorgt werden, dass die Kinder, die bereits einen Platz haben, diesen auch behalten können.

Eltern wurden über Notbetreuung informiert

Ein Fachkräftemangel, der sich bereits lange angekündigt hat und im beschaulichen Ortsteil Güttingen zu Tage tritt. Denn dort wurden die Eltern kurz vor Beginn des neuen Kindergartenjahres zusammengerufen und darüber informiert, dass die Einrichtung nur noch eine Notbetreuung anbieten könne. Der Grund: Personalmangel.

OB Simon Gröger im Sommer-Interview mit SÜDKURIER-Redakteurin Anna-Maria Schneider.
OB Simon Gröger im Sommer-Interview mit SÜDKURIER-Redakteurin Anna-Maria Schneider. | Bild: Jarausch, Gerald

Neue Mitarbeiterin hat sich kurzfristig anders entschieden

Dieser Personalmangel ist nicht nur eine Fehlplanung oder Versäumnisse der Leitung oder Stadtverwaltung entstanden. Sondern so, wie es eben manchmal läuft. „Eine Vollzeitkraft ist in Rente gegangen. Diese Stelle hatte man auch nachbesetzt, doch die neue Mitarbeiterin hat kurzfristig wieder abgesagt und ist in eine andere Einrichtung gegangen. Die Zeit, jemand Neuen zu finden, war zu kurz“, fasst Martha Frierdich, Elternbeirätin im Kindergarten, die Lage zusammen.

Eine andere, langjährige Teilzeitkraft aus der Einrichtung hatte ebenfalls ihren Weggang angekündigt. Und schon brach der Betreuungsplan für das neue Jahr zusammen.

Nur die Hälfte der Plätze kann aktuell angeboten werden

Von den 45 Regelplätzen, die es im Güttinger Kindergarten gibt, können aktuell nur 22 Plätze angeboten werden. Und dies auch nur für Eltern, die aus beruflichen Gründen auf diese angewiesen sind. „Das war für uns Eltern natürlich ein Schock“, sagt Tabea Honsteller, ebenfalls Elternbeirätin im Kindergarten. Alle betroffenen Eltern hätten sich aber sehr solidarisch gezeigt und jeder, der verzichten konnte, habe seine Betreuungszeiten zur Verfügung gestellt, sagt sie lobend.

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So sei es zumindest allen anderen Kindern, die nicht mehr ihre gewohnten Zeiten im Kindergarten hätten, möglich, ein Mal in der Woche doch noch kommen zu können. „Damit sie nicht komplett ihren Alltag dort vergessen“, sagt Tabea Honstetter. Ideal sei das nicht. Einige Mütter würden ihre Kinder trotz Homeoffice zu Hause behalten. Die Belastungen innerhalb der Familien würden dadurch größer werden.

Auch seien vier Vorschulkinder von dieser Lösung betroffen und könnten so kurz vor dem Ende ihrer Kindergartenzeit nur noch ein Mal in der Woche die Einrichtung besuchen. Gleichzeitig sei Kindern, die zur Eingewöhnung angemeldet waren, wieder abgesagt worden. „Das wird sich jetzt alles stauen, die Warteliste wird auch nicht kürzer“, so Tabea Honstetter.

Eltern sehen in diesem Fall kein Versäumnis bei der Stadt

Doch erheben die beiden Elternbeirätinnen keine Vorwürfe gegen die Einrichtung oder die Stadtverwaltung. Im Gegenteil: Sie zeigen viel Verständnis für die Lage, wünschen sich aber dennoch eine Perspektive. „Wir waren hier in Güttingen schon sehr verwöhnt, weil viele der Erzieherinnen viele Jahre in der Einrichtung gearbeitet hatten. Für die Kinder war immer eine Konstanz da“, sagt Martha Frierdich.

Sie findet es auch schade, dass die aus ihrer Sicht schöne Einrichtung solche Personalprobleme habe. „Jemand Neues könnte da sicher viel bewegen, aufbauen und gestalten“, ist sie sich sicher.

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Für die Stadtverwaltung haben beide Frauen auch Lob übrig. „OB Gröger hat sich schnell Zeit für uns genommen. Wir hatten das Gefühl, das Thema ist ihm auch wirklich wichtig“, fasst Tabea Honstetter ihren Eindruck zusammen.

Auch die anderen Mitarbeiter der Stadtverwaltung hätten viel Einsatz gezeigt und seien stets für die Eltern ansprechbar gewesen. Auf die Schnelle sei es möglich gewesen, eine Erzieherin im Ruhestand in Teilzeit zurückzugewinnen. Nur so sei die aktuelle Lösung im Kindergarten überhaupt möglich.

Erziehermangel soll politisches Thema werden

Martha Frierdich und Tabea Honstetter möchten nun aber, dass das Thema Erziehermangel ganz oben auf die politische Agenda gesetzt wird. „Wir müssen den Beruf attraktiver machen und flexibler ausschreiben“, fordern sie. Mehr Attraktivität ginge klar über eine höhere Entlohnung oder über andere Zusatzleistungen.

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Auch sollte die Stadt ihrer Meinung nach die Stellen offensiver bewerben und auch in den Ausschreibungen konkret den Arbeitsplatz nennen. Es sei schließlich ein Unterschied, ob man in der Kernstadt oder in Güttingen arbeite.

Für beide Mütter wäre es auch denkbar, die Ausbildung oder Umschulung zum Erzieher, zur Erzieherin zu vereinfachen und besser zu vergüten. OB Simon Gröger hat einen ersten Versuch bereits gestartet und hat die Stellenausschreibung in Güttingen auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Ob sich jemand daraufhin beworben hat, ist noch unklar.