Herr Gröger, vor einem Jahr wollten Sie Oberbürgermeister von Radolfzell werden. Wenn Sie gewusst hätten, was auf Sie zukommt – würden Sie es noch einmal machen?

Ja. Ich war mir bewusst im Vorfeld, dass es eine Aufgabe ist mit einer großen Verantwortung. Was nicht abzusehen war, ist, dass zu Beginn meiner Amtszeit schon sehr viele Krisen und unerwartete Herausforderungen zusammengekommen sind. Von der angedachten Schließung des Krankenhauses bis zum Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise, das sind Themen, die so nicht vorhersehbar waren und die fordern mich als neuen Oberbürgermeister schon umfassend.

Sie haben jetzt auch ein Grundstück hier gekauft, ein Zurück gibt es nicht?

Nein, wir freuen uns auch als Familie sehr, uns in Radolfzell niederzulassen. Die Planungen laufen, jetzt warten wir darauf, dass der Bau startet.

Wo hat Radolfzell viel Nachholbedarf, wo klemmt‘s?

Uns erreichen viele Anfragen aus dem Verkehrsbereich, das ist immer wieder beeindruckend. Es sind aber auch große Themen wie die Wohnraumpolitik. Es wird Anfang nächstes Jahres das Dialogforum Wohnen geben, indem wir Meinungen von möglichst vielen Vertretern aus diesem Bereich und der Bürgerschaft einholen. Danach müssen wir uns im Gemeinderat auf eine neue Linie der Wohnungspolitik festlegen. Sie muss aus meiner Sicht grundsätzlich sozialer werden.

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Erwarten Sie, dass die Bevölkerung in Radolfzell in diesem Winter frieren muss?

Ich hoffe es nicht. Alle Möglichkeiten, die wir auf der kommunalen Seite haben, wollen wir ausschöpfen, dass es dazu nicht kommt. Ich habe für das Energiethema einen Krisenstab gebildet. Es ist mein großer Wunsch, dass die Grundversorgung aufrechterhalten bleiben kann.

Werden die Stadtwerke Gas- und Strompreise anbieten können, die noch bezahlbar sind?

Wir haben bei den Stadtwerken das Thema, dass wir in der Kette der Preisexplosionen das letzte Glied zum Bürger sind und diese Preise umsetzen müssen. Viele Kunden, die bisher bei einem Billiganbieter waren, fallen jetzt auf den Grundversorger zurück. Das bedeutet, dass die Stadtwerke jetzt zusätzlich Gas und Strom auf dem Markt ankaufen müssen. Aktuell ist es so, dass 50 Prozent der Stadtwerke-Kunden in langfristigen Verträgen drin sind, sie werden die Preissteigerungen leider auch zu spüren bekommen, diese aber erst zeitverzögert.

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Das schwächt aber die wirtschaftliche Lage der Stadtwerke oder gibt es genügend langfristige Einkaufsverträge?

Die bisherige Einkaufspolitik der Stadtwerke war auf ein mehrjähriges Konzept ausgelegt. Für Kunden, die langjährige Verträge haben, haben die Stadtwerke auch langfristig eingekauft. Wir versuchen alles, um die Krise für den Bürger erträglich zu gestalten. Das bereitet mir täglich große Sorgen.

Die Stadtwerke bauen gerade ein neues Betriebsgebäude. Ist das ein zusätzlicher Faktor, der im Moment das Geschäft erschwert?

Es ist eine weitere Herausforderung. Die Grundsatzentscheidung für den Neubau würde man heute sicherlich intensiver diskutieren. Dennoch ist es wichtig, dass wir den Neubau umsetzen, um den Stadtwerken langfristig eine Perspektive zu geben. Schade ist, dass wir gezwungen sind, das Areal, auf dem wir sitzen, zu verkaufen und es dann neu überbaut wird. Wenn wir nicht den finanziellen Reinvestitionszwang für den Neubau hätten, könnte man sich überlegen, ob man das Areal nicht mit anderen Nutzungen darstellt. Wenn wir uns umblicken, hätte das jetzige Stadtwerke-Areal durchaus die Qualität für eine Modernisierung gehabt.

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Kommen wir zur anderen großen Krise: Die Kriegsflüchtlinge kommen und das Landratsamt schließt die Kreissporthallen für ihre Unterbringung. Man fühlt sich an die Flüchtlingskrise 2015 erinnert – gibt es da keine anderen Lösungen?

Ich bin da zum Teil auch enttäuscht, dass sich nach 2015 die Strukturen nicht besser ausgebildet haben. Aber die Flüchtlingskrise zeigt sich 2022 mit einer Dynamik, die so nicht zu erwarten war. Wir haben einen erhöhten Zulauf an Flüchtlingen im Landkreis, der verteilt werden muss. Neben der Aufnahme müssen wir die Ukrainer in der Stadtgesellschaft integrieren. Wir benötigen Kindergartenplätze, wir müssen es in den Schulen hinbekommen. Diese nicht optimale Struktur, die wir vom Bund bis in die Kommunen haben, führt dazu, dass wir als Gesellschaft an einem ganz empfindlichen Punkt getroffen werden. Die Schließung der Hallen trifft die Vereine mitten ins Herz.

Braucht die Stadt Radolfzell jederzeit ein ausreichend großes Grundstück, um zwei Leichtbauhallen mit je 400 Wohneinheiten aufzubauen?

Da wir eine eingeschränkte Hallenkapazität haben, beantworte ich diese Frage mit einem klaren Ja. Aber eine Leichtbauhalle, in der 400 Leute Platz finden, ist wie eine Sporthalle nur eine temporäre Lösung.

Der Klimawandel erhöht die Gefahr von Naturkatastrophen, siehe Ahrtal. Gesetzt den Fall, wir hätten einen Hangrutsch in Güttingen – wo bringen wir die Leute unter?

Das Thema Bevölkerungsschutz ist unter dem Aspekt des Klimawandels eine Herausforderung, da müssen Städte wie Radolfzell noch ihre Hausaufgaben machen. Es ist so, dass in den letzten Jahren sich diese Krisen von Überschwemmungen bis zur Flüchtlingskrise unglaublich sammeln, da sind wir auf allen politischen Ebenen in der Verantwortung, etwas zu machen. Ich finde es lokal sehr beruhigend, dass unsere Hilfsorganisationen sehr gut miteinander arbeiten.

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Eine provokante Frage zum Katastrophenfall: Falls es Verletzte gäbe, können sie nicht mehr im Krankenhaus Radolfzell versorgt werden. Das hat der Gesundheitsverbund abgeschrieben. Wäre es nicht besser, sich ehrlich zu machen und das Haus gleich zu schließen, um dort Flüchtlinge unterzubringen?

Die provokante Frage beantworte ich mit Nein. Das Krankenhaus Radolfzell ist kein Gebäude, das man für einen anderen Zweck freigeben könnte. Das Haus leistet seit 116 Jahren eine hervorragende medizinische Versorgung. Die eigentliche Frage ist: Was hätte in den vergangenen zehn Jahren anders laufen müssen, dass wir nicht in dieser Situation sind, wo der Gesundheitsverbund durch das neue Strukturgutachten die Schließung des Krankenhauses Radolfzell auf den Tisch gebracht hat. Zwei Punkte hätten zuvor stattfinden müssen: Eine regelmäßige Investition in das Gebäude und eine Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung.

Der Landrat sagt, wir dürften nicht zurückschauen, wir müssten nach vorne schauen, Herr Gröger.

Eine über hundertjährige Vergangenheit und das Team vor Ort haben gezeigt, dass Radolfzell ein hervorragender Standort für die medizinische Versorgung ist. Auch die letzten zweieinhalb Jahre in der Corona-Krise war der GLKN sehr froh, dass Radolfzell hier eine hervorragende Arbeit geleistet hat, um die an Corona erkrankten Personen ordentlich behandeln zu können. Es braucht den Blick zurück. Diese Leistung, diese Geschichte muss wertgeschätzt werden. Ich erwarte, dass man ein passendes medizinisches Portfolio für Radolfzell findet.

Hand aufs Herz, glauben Sie wirklich, dass es einen Klinik-Neubau im Landkreis gibt?

Die bisherige Umsetzung der Entscheidungen im GLKN deutet darauf hin.

Aber glauben Sie es, dass dieser Neubau kommen wird?

Der wird kommen. Er wird deutlich teurer, als die Zahlen, die bisher genannt worden sind. Bei den Preisexplosionen, mit denen wir alle zu kämpfen haben, wird aus meiner Sicht sich der Gesamtpreis bei einer Dreiviertel Milliarde bewegen.

Nehmen wir die Schlagworte Klimakrise, Flächenversiegelung, Energiekrise, Inflation – können wir uns das Projekt ökologisch und finanziell leisten?

Gemäß dem Handeln des GLKN der letzten Jahre sind wir in einer Situation, in der die vorhandene Bausubstanz eine intensive Investition benötigen würde. Auch die gelebte Doppelstruktur in Singen und Konstanz, in der auch viele Gerätschaften doppelt angeschafft wurden, hat den Gesundheitsverbund in eine Situation gebracht, in der wir ein immenses Defizit haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in einer Situation wären, in der wir einen Neubau gar nicht bräuchten.

Kommt er auf Radolfzeller oder Singener Gemarkung, wenn der Neubau dann kommt?

Ich fordere – und das hat mir der Landkreis zugesichert – eine objektive Bewertung der Standorte, die eingebracht werden. Wir haben einen Standort in Radolfzell, der innerhalb des Bereichs liegt, der im Gutachten dargestellt worden ist. Und wir haben eine Fläche in Singen, die westlich davon liegt. Die Bewertung der Standorte muss nach festgelegten Kriterien erfolgen. Dann wird man sehen, was rauskommt. Wenn die Bewertung sich für Radolfzell ausspricht, muss der Bau in Radolfzell umgesetzt werden. Wenn die Bewertung sich für Singen ausspricht, heißt das, dass der Bau in Singen realisiert wird.

Hand aufs Herz, Herr Gröger: Kommt es zum Klinikneubau? – Anna-Maria Schneider thematisiert das Krankenhausthema.
Hand aufs Herz, Herr Gröger: Kommt es zum Klinikneubau? – Anna-Maria Schneider thematisiert das Krankenhausthema. | Bild: Jarausch, Gerald

Dem Vernehmen nach betreten Sie trotz aller Sorgen und Nöte das Rathaus immer noch mit einem Lächeln.

Ja. Ich betrete das Rathaus weiterhin mit großer Demut, dass die Bürgerschaft mir dieses große Vertrauen ausgesprochen hat. Ich spüre die große Verantwortung die auf meinem Amt und mir lastet. Ich freue mich aber über das tolle Team, das wir hier im Rathaus und im Gemeinderat haben.