Immer wieder ist sie Gegenstand teils auch kontroverser Diskussionen: die Rolle der Frau im Islam. Ist beispielsweise das Kopftuch nun ein Symbol der Unterdrückung oder der Würde und Religionsfreiheit? Dürfen Frauen selbst darüber entscheiden? In der Ahmadiyya Muslim Gemeinde spielen Frauen in jeden Fall eine große Rolle, wie beim ersten Neujahrsempfang der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Radolfzell am Mittwoch im Milchwerk deutlich wurde. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

Anlässlich des Weltfrauentags sprach dort erstmals eine Muslima aus der Frauenorganisation Lajna Imaillah. Mit schwarzem Kopftuch, viel Selbstbewusstsein und einer starken Botschaft hielt die erst 16-jährige Tufiek Butt als Höhepunkt des Abends einen Vortrag über Frieden und die Geschichte der Frauen in der Gemeinde.

Dialog ist laut OB-Vertreter das Wichtigste

Themen waren aber auch das 100-jährige Bestehen der Gemeinde in Deutschland, ein Rückblick auf das Jahr 2023 in Radolfzell und die Kriege und Krisen in der Welt. Zu Gast waren neben einigen Mitgliedern der Gemeinde um Imam Shamas Ul-Mulk Choudhery auch Stadtrat Dietmar Baumgartner von den Freien Wählern als Vertreter von Oberbürgermeister Simon Gröger sowie Vertreter vom Freundeskreis Asyl, aus dem Jugendgemeinderat, der katholischen Kirche und aus dem Fachbereich Integration des Landratsamtes.

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Dietmar Baumgartner wies darauf hin, dass Radolfzell eine offene Stadt sei. „Es ist die erste Veranstaltung dieser Art in Radolfzell. Ich freue mich, hier sein zu dürfen, denn der Dialog zwischen verschiedenen Gruppen und Religionen ist das Wichtigste überhaupt“, sagt der Stadtrat. Er hoffe, dass die Veranstaltung auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werde und jeder Radolfzeller dazu eingeladen sei, um zum gegenseitigen Kennenlernen beizutragen.

Erste und größte muslimische Frauenorganisation

Höhepunkt des Abends war der Vortrag der erst 16-jährigen Tufiek Butt. Sie berichtete, dass die Lajna Imaillah die erste und inzwischen größte muslimische Frauenorganisation in Deutschland mit über 20.000 Mitgliedern ist – darunter 5000 ehrenamtliche Helferinnen. 1922 entstand sie in Indien, 1975 folgte der erste Ableger in Deutschland. In 275 Gemeinden sei die Organisation inzwischen aktiv. Mädchen können ab dem siebten Lebensjahr Mitglied werden. Für Mädchen unter 14 Jahren gebe es eine eigene Unterorganisation.

„Wir sind eine Organisation starker Frauen“, sagt die 16-jährige Tufiek Butt.
„Wir sind eine Organisation starker Frauen“, sagt die 16-jährige Tufiek Butt. | Bild: Mario Wössner

Die Frauenorganisation ist in vielen Bereich aktiv. So habe die Lajna Imaillah soziale und karitative Aufgaben, organisiert zum Beispiel Blutspenden, Altenheim- und Flüchtlingsheimbesuche in Radolfzell. Seit 2018 veranstaltet die Lajna Imaillah zudem bundesweit die Informations-Kampagne „Ich bin eine Muslima – Haben Sie Fragen?“ mit Ständen in Innenstädten, an denen die Frauen sich den Fragen von Passanten stellen und versuchen, Vorurteile zum Thema Islam, Kopftuch und Unterdrückung abzubauen.

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Wie gleichberechtigt sind die Frauen?

Butt zitierte den zweiten Kalifen der Gemeinde und Gründer der Frauenorganisation, keine Nation könne Fortschritt erzielen, ohne seine Frauen zu bilden. „Das ist das Motto der Lajna Imaillah. Wir sind eine Organisation starker Frauen“, machte Rednerin Tufiek Butt deutlich – obwohl die Gemeinde den Koran sehr konservativ auslegt und Männer und Frauen weitgehend trennt. Auch deshalb gibt es kritische Stimmen in Deutschland zur Rolle der Frauen in der Gemeinde.

So kritisierte die Soziologin Necla Kelek 2017 im Deutschlandfunk, die Männer in der Gemeinde würden über das Leben der Frauen entscheiden und dass auch die Verwandtschaftsehe häufig sei. Es gebe eine starke soziale Kontrolle und die Mitglieder hätten kaum eine Möglichkeit, sich außerhalb der Gemeinschaft ein Leben aufzubauen, urteilte sie.

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Zudem teile die Gemeinde Frauen und Männer strikt voneinander, der Koran werde wörtlich und sehr konservativ auslegt und die Rolle der Frau als Mutter werde betont. Doch zumindest die Frauen der Gemeinde selbst sagen immer wieder, diese Trennung auch zu schätzen. „Unsere Gemeinde schenkt Frauen eine große Rolle und ermutigt uns zu Selbstständigkeit“, bekräftigte auch Tufiek Butt im Milchwerk.

Gemeinde hat eine lange Geschichte in Deutschland

Mit einem knapp 20-minütigen Film blickte die Gemeinde auf ihre inzwischen 100-jährige Geschichte in Deutschland, die damals in Hamburg und Frankfurt begonnen hatte, und die Aktionen im vergangenen Jahr in Radolfzell zurück. So haben sich die Mitglieder wie schon in den Vorjahren für die Opfer Flutkatastrophe im Ahrtal engagiert, für die Erdbebenopfer in der Türkei und die Menschen in den Kriegsgebieten in der Ukraine und in Israel. Zudem haben sie auf dem Seetorplatz in Radolfzell für Frieden demonstriert.

Sie blickten gemeinsam auf die 100-jährige Geschichte der Gemeinde in Deutschland und der vergangene Jahr in Radolfzell zurück: ...
Sie blickten gemeinsam auf die 100-jährige Geschichte der Gemeinde in Deutschland und der vergangene Jahr in Radolfzell zurück: Jugendleiter Asem Butt, seine Schwester Tufiek Butt, Imam Shamas Ul Mulk-Choudhary, Gemeinderat Dietmar Baumgartner, Moderator Tahir Bhatti und Basharat Ahmad, Vorsitzender der AMJ Gemeinde Radolfzell. | Bild: Mario Wössner

Tahir Bhatti, Moderator des Abends, sagte, dass die Gemeinde sich stets um einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und Frieden bemühe. Dafür stehe auch das Motto der Glaubensgemeinschaft: „Liebe für alle, Hass für keinen“. Es sei ein Anliegen der Gemeinde, zur verbreiten, dass der Islam eine Friedensreligion ist.

Imam Shamas Ul Mulk-Choudhary erklärte, dass das Jahr 2023 trotz aller weltweiter Probleme und Krisen für die Gemeinde selbst viele Lichtblicke und Erfolge geboten habe. „Die Menschheit steht aber am Rande einer Katastrophe. Ich hoffe, dass wir alle einen Schritt zurückgehen“, sagte er mit Blick auf Israel, Gaza und die Ukraine.