Die Entscheidung über die Zukunft des Streuhau ist gefallen: Es wird zum Landschaftsschutzgebiet – mit Folgen für das Bodenseereitergebäude, Eigentümer und womöglich auch den Tourismus. Für einige Gemeinderäte ist die Entscheidung „historisch“ – doch nicht alle meinen das positiv.
Noch in der vorherigen Ratssitzung Ende November hatten Erweiterungspläne des Bora-Hotels Befürchtungen hervorgerufen, Oberbürgermeister Simon Gröger könnte sein Versprechen aus dem Wahlkampf brechen und das Gebiet doch bebauen lassen. Dieser gab daraufhin „als OB mein Wort“, dass das Streuhau nicht bebaut wird. Nun haben Gröger und die Stadtverwaltung diesen Worten auch Taten folgen lassen.
In der jüngsten Sitzung des Rates präsentierten Wolfgang Keller, Stabsstelle Umwelt-, Klima und Naturschutz bei der Stadt, und Christian Seng vom Büro 365 Grad ein Konzept für das Streuhau, um es langfristig als Landschaftsschutzgebiet auszuweisen. Ziel sei es, damit das Streuhau von Überbauung freizuhalten und dessen landschaftlichen Charakter zu erhalten, heißt es in der Sitzungsvorlage.
So sieht das Konzept aus
Das Konzept selbst beinhaltet 14 Maßnahmen. Teil davon ist neben der Ausweisung der Fläche zwischen dem Bora-Hotel und dem Naturschutzgebiet „Radolfzeller Aachmündung“ als Landschaftsschutzgebiet auch der Teilrückbau des Bodenseereiters und die Kündigung von Verträgen über Liegeplätze und Gebäude mit gewerblicher Nutzung, die die Räte in der Sitzung gleich mit beschlossen.
Das Konzept ist laut Keller zeitlich gestaffelt und umfasst mehrere Maßnahmen, die man bis zum Jahr 2027 umsetzen möchte. Ziel sei der „Einklang von Mensch und Natur“, so Christian Seng. So sollen bis dahin die Reitplätze ganz und das Gebäude, das früher der Verein Bodenseereiter als Stall nutzte, teilrückgebaut werden, um die dortigen Rauchschwalbenkolonien zu erhalten. Dies sei günstiger, als das Gebäude komplett abzureißen und einen neuen Stall zu bauen, in den die Vögel umsiedeln könnten. Zudem wäre eine Umsiedlung der Rauchschwalbenkolonie mit sehr großen Unsicherheiten verbunden, heißt es in der Sitzungsvorlage.

Die Stadt strebt im Zuge des Teilrückbaus eine Lösung zur Nutzung des Geländes mit der derzeitigen Pächterfamilie an. Das Gebäude soll demnach für 60.000 Euro stillgelegt und ertüchtigt werden. Der Fokus liege ausschließlich auf der landwirtschaftlichen Nutzung.
Auch möchte die Stadt im Zuge der Konzeption Flächen östlich des Bodenseereiters entsiegeln, Grünflächen im Streuhau beweiden, das Wiesenbächle aufwerten und Fußwege zur Besucherlenkung anlegen. Auf einem vorhandenen Reitplatz soll ein Stillgewässer als Biotop entstehen. Langfristig bis zum Jahr 2035 möchte die Stadt in dem Gebiet den Auwald entwickeln, ein Waldrefugium ausweisen und das Ufer ökologisch aufwerten.
Bootsliegeplätze und gewerbliche Gebäude werden gekündigt
Die Verträge für die 20 Liegeplätze an der Steganlage und für Gebäude mit gewerblicher Nutzung im Gebiet sollen „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ gekündigt werden, um die Zahl der Motorboote an den Liegeplätzen im Streuhau zu reduzieren. Eigentlich würde dies auch etliche Vereine betreffen, die Anlieger in dem Gebiet sind. Darunter Feuerwehr und THW.

Allerdings hat die Stadt nach einer nicht öffentlichen Beratung im Planungsschuss den ursprünglich angedachten kompletten Rückbau des Stegs und damit auch der Vereinsheime wieder aus dem Konzept entfernt. So können eingetragene Vereine das Streuhau künftig weiterhin nutzen. Der Wasserzugang für THW und Feuerwehr bleibt erhalten.
Wie teuer wird das Konzept?
Bislang rechnet die Stadt mit Kosten in Höhe von 1,5 Millionen Euro, um alle mit der Streuhaukonzeption verbundenen Maßnahmen umzusetzen. Diese seien „allerdings nicht verbindlich“, heißt es in der Sitzungsvorlage. Jede einzelne Maßnahme werde vor ihrer Umsetzung noch einmal im Gremium vorgestellt. Die Gesamtkosten für die Alternative mit einem Abriss des bisherigen Stalls der Bodenseereiter und einem Neubau lägen nach einer Grobkostenschätzung bei etwa 1,2 Millionen Euro.
Ebenfalls beschlossen hat der Gemeinderat, die Änderung des Flächennutzungsplans sofort einzuleiten, um die Ende November beschlossene Erweiterung des Bora-Hotels möglich zu machen. Dessen Geltungsbereich wird demnach direkt an das Landschaftsschutzgebiet angrenzen.
Viel Zustimmung, aber auch harsche Kritik aus dem Rat
Die Reaktionen im Gemeinderat auf das Vorhaben fielen gegensätzlich aus. Während die Fraktionen von SPD, CDU und FGL das Konzept lobten, kam von FDP und Freien Wählern harsche Kritik. Siegfried Lehmann (FGL) sagte, dass eine Beruhigung des Gebietes und weniger Motorboote notwendig seien. Es gehe nicht nur um Artenschutz, sondern auch darum, die Intensität am Rande des Naturschutzgebietes herunterzufahren.
Er wollte über den Vorschlag der Verwaltung daher sogar hinausgehen und beantragte, dass bestehende Verträge zur Stegnutzung bereits bis 2028 anstatt 2033 gekündigt werden sollten. Dies lehnte die Mehrheit der Räte gegen die Stimmen der FGL jedoch ab.

Bernhard Diehl (CDU) sprach sich für das Vorhaben aus, mahnte allerdings ein aktives Management der Landschaft und Wege an und stellte eine mögliche Nutzung des Gebiets für sanften Tourismus in einigen Jahren in den Raum. Norbert Lumbe (SPD) sprach von einer „historischen und sinnhaften Entscheidung“, die eine weitere Ausdehnung des Bora nach Westen unmöglich mache.
Von einem historischen Beschluss sprach auch Jürgen Keck (FDP) – allerdings im negativen Sinn. Die Stadt nehme sich so „auf Jahrzehnte jede Entwicklungsmöglichkeiten“. Seiner Meinung nach hätte es gereicht, das Gebiet wie bisher zu pflegen. Man müsse verstehen, dass man auch vom Tourismus lebe.

Noch deutlich wurde Martin Aichem (FW). Er sagte: „Für mich kommt die Entscheidung einer Selbstkastration gleich.“ Radolfzell sei von so vielen Schutzgebieten umgeben, dass das Streuhau eine der letzten Optionen für Vereine und Freizeit gewesen sei. Andere Kommunen in dieser Lage würden auf eine solche Fläche nicht verzichten. Er finde es schade, dass eine „naturgerechte Freizeitnutzung“ nicht mehr möglich ist. Die 1,5 Millionen Euro hätte die Stadt sinnvoller investieren können, fand er.
Am Ende stimmte der Gemeinderat bei sieben Gegenstimmen von FDP und Freien Wählern dennoch für den Beschlussvorschlag.
Wie geht nun weiter?
Zur Umsetzung des Konzepts hat nun zunächst der Rückbau des Gebäudes des ehemaligen Bodenseereiters Priorität. Der zweite wichtige Schritt wird das Antragsverfahren zur Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes beim Landratsamt Konstanz sein. Die Antragsunterlagen seien bereits erstellt und könnten zeitnah eingereicht werden, so die Stadt.
Drittens wird die Stadt die Verträge über Liegeplätze und Gebäude zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigen oder nicht verlängern. Auf Nachfrage von Christof Stadler (CDU) nach Entschädigungen informierte Wolfgang Keller, dass die Stadt mit den privaten Eigentümern in Kontakt sei, um Lösungen zu finden.