Seine öffentlichen Auftritte sind rar gesät, zu Gesicht bekommen haben ihn bislang nur wenige: Die Rede ist von B723, dem männlichen Luchs, der erstmals im Januar 2020 mehrfach auf der Höri gesichtet und dort auch auf Bildern festgehalten worden war. Danach blieben Sichtungen lange aus, erst im Mai des vergangenen Jahres ließ das Tier sich wieder in der Region blicken, diesmal auf der B34 zwischen Güttingen und Stahringen. Dort war er in einen Unfall verwickelt, prallte gegen die Radabdeckung eines Fahrzeugs. Seither blieb es wieder ruhig um B723. Aber wurde er wirklich nicht mehr gesichtet? Und gibt es eventuell noch mehr Luchse im Landkreis?
Nachweis im Dezember 2022
Fest steht: Den Unfall auf der B34 scheint B723 gut überstanden zu haben. Denn seither wurde das Tier mindestens noch einmal gesichtet: Wie das Wildtierinstitut der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) auf Nachfrage berichtet, konnte der männliche Luchs im Dezember 2022 „bei einem Übergriff auf Damwild am westlichen Bodensee“ nachgewiesen werden.
Wo genau es zu dem Übergriff kam, kann sie allerdings nicht sagen. „Monitoringinformationen werden so herausgegeben, dass die Tierhalter nicht eindeutig erkennbar sind, um sie zu schützen“, erklären die Experten. Seither habe die FVA aber keine weiteren sicheren Nachweise des Luchses dokumentiert.
Und von einem weiblichen Tier, das laut FVA im Jahr 2021 im Bereich der Höri beobachtet wurde, fehlt bislang jede weitere Spur. Laut dem FVA-Wildtierinstitut wurde die Luchsin drei Monate lang im Territorium von B723 nachgewiesen, jedoch sei damals kein Abgleich gelungen, um ihre Herkunft herauszufinden. „Nach den drei Monaten konnte die Katze nicht mehr nachgewiesen werden“, so die Experten.
„Die Vermutung liegt nahe, dass die Luchsin zurück in die Schweiz gewandert ist, welche das nächstgelegene Luchsvorkommen zur Höri beherbergt.“ Es sei auch nichts Weiteres über die Luchsin oder ihre Verwandtschaftsverhältnisse zu B723 bekannt.
Was über B723 bekannt ist
Dafür kann das FVA-Wildtierinstitut einiges über B723 berichten. Der männliche Luchs – im Fachjargon Kuder genannt – sei 2019 in der Nord-Ost-Schweiz nahe Winterthur geboren worden. Dort sei er mit einem Geschwistertier im Familienverband nachgewiesen worden. In Baden-Württemberg sei er erstmals durch die Sichtungen auf der Höri 2020 registriert worden. „Von der Höri bis zu seiner Geburtsregion sind es Luftlinie circa 30 Kilometer, die er auf der Suche nach einem eigenen Territorium mindestens zurücklegte“, erklären die Experten.
2020 und 2021 sei er danach immer wieder auf der Höri, aber auch in der Schweiz dies- und jenseits des Rheins nachgewiesen worden. „Im September 2021 war der bisher letzte Nachweis auf der Höri. Der Nachweis im Dezember 2022 sowie diverse Hinweise aus dem Zeitraum deuten darauf hin, dass er sein Streifgebiet weiter in den Norden verschoben haben könnte“, so die Experten der FVA abschließend.
Gibt es noch mehr Luchse?
Auf jeden Fall sind der FVA außer B723 keine weiteren Luchse bekannt, die sich im Landkreis Konstanz aufhalten. Außer dem Nachweis von B723 im Dezember 2022 sind uns auf dem Bodanrück bisher nur Hinweise mit Verdacht auf Luchs gemeldet worden, jedoch keine sicheren Nachweise“, teilt das Wildtierinstitut mit. Und auch Kreisjägermeister Werner d‘Oleire-Oltmanns erklärt auf Nachfrage, er wisse von keinen weiteren Tieren.
Zwar habe auch er vor einigen Jahren kurzzeitig von Luchssichtungen auf dem Bodanrück gehört. Sein Vorgänger Kurt Kirchmann hatte 2022 gegenüber dem SÜDKURIER von Meldungen durch Spaziergänger berichtet. Laut Kirchmann gab es damals aber keine Bestätigungen und auch in Jägerkreisen sei nichts bekannt gewesen. Auch Werner d‘Oleire-Oltmanns sagt: „Gesehen hat von uns keiner einen.“
Geht vom Luchs eine Gefahr aus?
Und wenn es doch einmal zu häufigeren Luchsbesuchen in der Region kommen sollte? Dann haben Menschen laut dem FVA-Wildtierinstitut nichts zu befürchten: Begegnungen zwischen Mensch und Luchs seien selten. Komme es doch zur Begegnung, seien Luchse „recht tolerant gegenüber Menschen und ignorieren deren Anwesenheit mitunter, ziehen sich in der Regel aber zurück“, so die Experten. Und: „Solche Begegnungen stellen keine Gefahr für den Menschen dar.“
Das betont auch Werner d‘Oleire-Oltmanns: „Um Luchse braucht man sich überhaupt keine Sorgen zu machen.“ Rein theoretisch könnten Luchse sich laut dem Kreisjägermeister zwar mit der Tollwut infizieren. Diese gebe es hierzulande aber nicht mehr: Deutschland ist laut dem Landesministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz seit 2008 frei von der Krankheit. Dennoch ist es laut FVA-Wildtierinstitut wie gegenüber allen Wildtieren grundsätzlich angemessen, Abstand zu Luchsen zu halten, um die Tiere nicht zu beunruhigen, und Hunde an der Leine zu führen.
Nutztiere werden nur selten angegriffen
Auch Nutztiere seien als Nahrung für den Luchs „eher unbedeutend“ und werden laut FVA-Wildtierinstitut selbst dann selten erbeutet, wenn sie für die Raubkatzen leicht zu erreichen seien. Sie bedienen sich also lieber an Wildtieren, etwa Rehen. Allerdings betont das Institut: „Dennoch kann es hin und wieder zu Übergriffen von Luchsen auf kleinere Nutztiere, wie Schafe und Ziegen, aber auch Gehegewild kommen.“
Aber es sei auch bei einer Zunahme des Luchsbestandes „durch ihre einzelgängerische Lebensweise und des gleichzeitig großen Raumanspruchs“ von keinem gesteigerten Risiko auszugehen. Denn Nutztierübergriffe seien auch in Gebieten mit mehr Luchsen, etwa in der Schweiz, selten der Fall. „Kommt es dennoch zu einem Übergriff, so handelt es sich in der Regel nicht um Mehrfachtötungen“, so die Experten des FVA-Wildtierinstituts. Im Gegensatz dazu hat es bei Wölfen bereits solche Meldungen gegeben.
Die Vertreterin der Versuchs- und Forschungsanstalt des Landes erklärt, wie geholfen werde, wenn doch einmal ein Luchs Nutztiere reißt: „Die betroffenen Tierhalterinnen und Tierhalter erhalten Ausgleichszahlungen und stehen in engem Kontakt mit der FVA, um Schutzmöglichkeiten für die Nutz- und Gehegetiere zu besprechen.“