Roland Knauer

Die Unterkiefer- und Unterschenkel-Knochen der Tiere in der Gnirshöhle im Hegau in der Nähe von Engen nordwestlich des Bodensees sind eine Art Fenster in die Zeit vor etwas mehr als 15.000 Jahren, in der aus wilden Wölfen zahme Hunde wurden. In dieser von Basaltkegeln alter Vulkane geprägten Landschaft scheinen die Jäger der Steinzeit zahme Wölfe gehalten zu haben. Das hat das Team um Chris Baumann vom Senckenberg-Zentrum für die Evolution des Menschen und Paläoumwelt (SHEP) an der Universität Tübingen herausgefunden.

Einen Hinweis liefert die Ernährung der Tiere, die sich änderte, als die Wölfe sich den Menschen anschlossen. Damals lebten die Jäger und Sammler wohl einige Zeit in einem Camp. Sie brachen auf, um in der Umgebung Mammuts und andere große Tiere zu jagen. Von einer solchen riesigen Beute konnte sich die Gruppe eine Zeitlang ernähren. Vermutlich schlichen Wölfe um das Lager herum, die sich an den Resten bedienten, die von den Mammuts übrig geblieben waren.

Analyse der Knochen

Dabei nahmen die Tiere große Mengen des Stickstoff-Isotops N-15 auf, das sie auch in den Knochen einlagerten. Analysiert Chris Baumann tausende Jahre danach den N-15-Gehalt dieser Knochen und findet verhältnismäßig große Mengen dieses Isotops, schließt er daraus auf einen relativ großen Anteil von Mammuts und anderen großen Tieren auf der Speisekarte der Wölfe.

Helme hängen am Eingang zur Gnirshöhle.
Helme hängen am Eingang zur Gnirshöhle. | Bild: Regierungspräsidium Freiburg – LGRB aus LGRBwissen, genehmigt am 12.3.2021, Az. 2851.3//21_2683.

Die Menschen störten sich an diesen Wölfen anscheinend kaum. Ganz im Gegenteil lernten sie ein solches Rudel in der Nachbarschaft spätestens dann zu schätzen, wenn sich ein Höhlenlöwe oder ein Bär an das Camp heranschlich. Das merkt ein Wolf oft viel früher als ein Zweibeiner und wird unruhig. Das aber alarmierte nicht nur das eigene Rudel, sondern auch die Menschen.

Unter Umständen konnten Vier- und Zweibeiner dann den Feind mit vereinten Kräften vertreiben. Beide Arten profitierten so voneinander und gewöhnten sich mit der Zeit daran, neben- und miteinander zu leben. So könnte ein allererster Schritt auf dem Weg von Wölfen zu Hunden ausgesehen haben, die seit jeher als beste Freunde des Menschen gelten.

Fütterung der Freunde

Irgendwann fingen die Jäger und Sammler an, ihre inzwischen recht zahmen Wölfe zu füttern. Das aber bedeutete eine Ernährungsumstellung für die Tiere, die sich wiederum im N-15-Gehalt der Knochen widerspiegelt. Erste Hinweise auf eine solche Änderung der Fress-Gewohnheiten fand Chris Baumanns Senckenberg-Kollege Hervé Bocherens an der Predmostí-Ausgrabungsstätte in der heutigen Tschechischen Republik. Dort hatten die Steinzeitmenschen vor 31.500 Jahren viele Mammuts gejagt und der hohe N-15-Gehalt in den Knochen der Tiere zeigt, dass sich die Wölfe damals ihre Bäuche ebenfalls in diesem Mammut-Schlachthof vollschlugen.

Hunde als frühe Zugtiere

Allerdings gab es noch eine zweite Gruppe der vierbeinigen Jäger, in deren Knochen die Forscher einen erheblich geringeren N-15-Gehalt fanden. „Anscheinend hatten diese Wölfe kaum Mammuts und stattdessen eher Rentiere gefressen“, interpretiert Chris Baumann diesen Befund. Hatten die Steinzeitjäger ihre Begleiter mit Rentier-Fleisch gefüttert? Waren die Forscher den ersten Hunden auf der Spur? An Hand der Predmostí-Funde lässt sich diese Frage nicht beantworten.

Auf Rentiere spezialisiert

Bessere Karten haben die Forscher in der Gnirshöhle im Hegau. Dort waren alle untersuchten fünf Wölfe auf leichte Kost mit niedrigen N-15-Werten umgeschwenkt. Offensichtlich hatten diese Tiere sich auf das Fleisch von Rentieren spezialisiert und ergänzten ihre Speisekarte mit Kleinwild wie Schneehasen.

Diese Gebissreste von gezähmten Wölfen wurden in der Gnirshöhle im Hegau gefunden.
Diese Gebissreste von gezähmten Wölfen wurden in der Gnirshöhle im Hegau gefunden. | Bild: Senckenberg Zentrum Tübingen

Hatten sich die Wölfe im altsteinzeitlichen Hegau also aus bisher noch nicht bekannten Gründen auf die Hasen- und Rentierjagd spezialisiert? Oder hatten vielleicht sogar Menschen die zahmen Wölfe mit den Resten ihrer Beute gefüttert? Immerhin liegt in Sichtweite der Gnirshöhle im Brudertal die Petersfels-Höhle. Dort haben Forscher im Laufe der Zeit rund tausend von Steinzeitmenschen hergestellte Gerätschaften aus Knochen und Geweihen, sowie weitere 50.000 aus Feuerstein geschlagene Klingen und Schaber ausgegraben. Auch in der Gnirshöhle wurden einigen Knochen geborgen, die von Steinzeit-Menschen bearbeitet worden waren.

30 Kilometer entfernt gibt es mit dem Kesslerloch in der Nähe von Schaffhausen eine weitere Fundstätte mit Relikten der Steinzeitjäger vom Ende der letzten Eiszeit und den Überresten eines vor 14.500 Jahren gestorbenen Tieres, das ein sehr früher Hund gewesen sein könnte. Darauf deuten auch die N-15-Werte hin, die Chris Baumann in den Knochen dreier Tiere von dort bestimmt hat und die alle drei Wölfe als Gourmets für Rentiere und Schneehasen entlarven. Könnten die Haushunde also im Hegau entstanden sein?

Mehrere Wolfs-Linien

Diese Überlegung passt zu den Forschungsergebnissen der letzten Jahre, die mit Europa, Sibirien und dem Orient auf drei unterschiedliche Weltregionen als Zentren der Domestikation der Wölfe hinweisen. In die gleiche Richtung weist das Erbgut, das Saskia Pfrengle von den Universitäten in Tübingen und Zürich aus den Mitochondrien genannten Energiezentralen der Zellen der Wölfe untersuchte. Alle fünf Tiere der Gnirshöhle gehören demnach zu unterschiedlichen Wolfs-Linien, die bisher aus so verschiedenen Regionen wie dem heutigen Belgien und Sibirien bekannt waren.

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Dieses Ergebnis gibt einen weiteren wichtigen Hinweis zum Ursprung der Haushunde. Vermutlich duldeten die Jäger damals vor allem die zutraulicheren und weniger aggressiven Wölfe in ihrer Nähe. Vielleicht jagten auch Menschen und diese halbzahmen Wolfsrudel nebeneinander? Dabei könnten sie sich zu einem Team ergänzt haben, das erfolgreicher jagte als jeder für sich.

Mit der Zeit gewöhnten sich Menschen und Wölfe so an ein gemeinsames Leben. Wahrscheinlich zogen Jäger auch die Welpen von verunglückten oder erlegten Wölfinnen auf. Diese Tiere aber kannten nie ein anderes Rudel als die Menschen, mit denen sie auch als Erwachsene jagten. „Natürlich behielten die Steinzeitjäger nur die besonders zahmen Tiere, die keine Aggressionen gegen Menschen zeigten“, ist Chris Baumann überzeugt. Mit der Zeit wurden die Wölfe so zu Hunden.