Im kleinen Radolfzeller Ortsteil Möggingen geschehen große Dinge: Unter der Leitung des dortigen Max Planck-Instituts wurde in der Vergangenheit schon einen Funkmodul ins All gebracht, um auf der Internationalen Raumstation (ISS) Daten für die Forschung der Wissenschaftler zu empfangen. Und nun geht das Projekt in die nächste Runde: Schon bald sollen noch einmal Empfänger mit Satelliten in den Weltraum geschickt werden.

Wie kommt es zu der Zusammenarbeit?

Gestartet ist das Projekt bereits vor Jahren, als Forscher begannen, tausende Tiere unterschiedlicher Arten weltweit mit kleinen Sendern auszustatten. Damit wollten sie nicht nur ihre Standorte und Zugwege, sondern auch Bewegungsmuster erfassen. Wie Martin Wikelski, Direktor der Abteilung für Tierwanderungen des Max-Planck-Instituts, erklärt, wurden zum Empfang der Daten zunächst Funknetzwerke genutzt – die allerdings nicht überall auf der Welt verfügbar sind. „Überall da, wo kein Netz ist, bekommen wir diese Daten nicht“, so Wikelski.

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Abhilfe schaffen sollte eine Antenne im All, welche die Daten der Tiersensoren erfassen und an Computer auf der Erde übertragen sollte. Laut Martin Wikelski habe man über die Europäische Weltraumorganisation (ESA) einen Antrag gestellt und so sei schließlich eine Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos entstanden. Das Projekt Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space, auf deutsch also in etwa „Internationale Zusammenarbeit für Tierforschung durch die Nutzung des Alls“) läuft unter Leitung des Max Planck-Instituts und in Kooperation mit hunderten Wissenschaftlern weltweit.

„Total irres Gefühl“

Von russischen Kosmonauten wurde die Antenne schließlich in einem achtstündigen Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation (ISS) angebracht – während Martin Wikelskis Team die Arbeiten von einer Kommandozentrale in Moskau aus direkt miterlebte, schließlich musste er notfalls auch reagieren und beraten. „Das war ein total irres Gefühl“, erinnert er sich, auch beim Start der Rakete. Nachvollziehbar: Dass die Technik des eigenen Teams an der ISS installiert wird, ist eine seltene Ehre.

Seit 2020 sammelte der Sender so Daten von der ISS aus – bis die Zusammenarbeit mit der russischen Raumfahrtorganisation im Zuge des Ukraine-Krieges eingestellt wurde. Und damit auch die Übertragung der Daten von der ISS.

Es geht weiter – in überarbeiteter Form

Doch das Forscherteam gab nicht auf: Direkt nach dem ersten Schock habe man Gespräche mit Ingenieuren geführt, erzählt Martin Wikelski. Und schließlich einen neuen Empfänger entworfen in viel kleinerer Form als früher. „Dafür waren die auf der ISS gesammelten Erfahrungen enorm wichtig“, sagt Wikelski.

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Denn während früher allein die Antenne an der ISS rund 50 Kilogramm wog und drei Meter lang war, ist die komplette Technik beim neuen Empfängersystem laut dem Max Planck-Institut in einem zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel untergebracht. Und der Empfänger werde dieses Mal auch nicht an der ISS befestigt, sondern an einem sehr kleinen Satelliten, einem CubeSat. „Und die gesamte Produktionskette ist jetzt in Deutschland“, erklärt Martin Wikelski. „Da geht es auch um die Souveränität im All.“

Schneller, effizienter und umfassender

Das neue System habe noch weitere Vorteile. Zum einen komme zu großen Teilen künstliche Intelligenz zum Einsatz, unter anderem, um die Bewegungsmuster der Tiere zu einem komplexen Modell über Zusammenhänge zu erstellen. Und wie das Max Planck-Institut weiter mitteilt, benötige das neue System unter anderem weniger Energie, übertrage Daten schneller und könne viermal mehr Sender auslesen.

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Und es können nun auch Daten aus Orten auf der Welt empfangen werden, wo dies früher noch nicht möglich war, ergänzt Martin Wikelski. „Der neue Kleinsatellit fliegt auf einer polaren Umlaufbahn“, erklärt er. Dadurch könnten auch arktische Gebiete und beide Pole erforscht werden.

2024 startet die nächste Rakete

Mitte Juni ist ein erster CubeSat mit einem Empfängersystem zu Testzwecken von Kalifornien aus ins All gestartet. „Wir wollten erst einmal testen, ob das wirklich alles hinhaut“, so Wikelski. Im Februar 2024 solle nun der neue Icarus-Empfänger in einem CubeSat eines Münchner Startups eingebaut werden und dann im Herbst 2024 mit ins All fliegen. Dazu arbeite man mit Elon Musks Unternehmen spaceX zusammen – allerdings gebe es die Hoffnung, künftig auch Raketen eines deutschen Start-up-Unternehmens nutzen zu können, so Wikelski.

Wofür werden die Daten genutzt?

Die Nutzung der Bewegungsdaten der mit Sendern ausgestatteten Tiere ist vielfältig. Forscher des Max Planck-Instituts wollen so zum Beispiel versuchen, Vögel vor jagenden Katzen zu schützen oder Wildtiere in Afrika zur Früherkennung von Wilderern einzusetzen. Auch könnten Haus- und Wildtiere als Frühwarnsystem bei Naturkatastrophen wie Erdbeben genutzt werden. Wie Martin Wikelski berichtet, sollen künftig so auch Schlangen beobachtet werden, diese würden sehr empfindlich auf nahende Erdbeben reagieren.

Außerdem gebe es noch weitere Nutzungsmöglichkeiten, etwa zur Erkennung von Waldbränden und der Schweinepest. Und der Deutsche Wetterdienst beginnt erste Tests, die Tierdaten auch für die Wettervorhersage nutzen.