Herr Gröger, Sie wollten sich gerne für das Interview hier am Kinderhaus Bullerbü treffen. Ist die Stadt denn beim Thema Kinderbetreuung aus dem Gröbsten raus?
Es war eine sehr herausfordernde Zeit, vor allem für die Eltern. Das kann ich als Familienvater von zwei kleinen Kindern gut nachvollziehen. Mit dem Start der Malteser-Spielezeit, hier am Kinderhaus Büllerbü und am Familienzentrum Werner-Messmer, haben wir eine Entlastung herbeiführen können. Seitdem wir die Maßnahmen umgesetzt haben, wie zum Beispiel die Veränderungen der Öffnungszeiten, Fokussierung auf das pädagogische Konzept, aber auch finanzielle Anreize für Erzieherinnen und Erzieher, die länger als vier Jahre in einer Einrichtung arbeiten, haben wir weniger Kündigungen. Und wir konnten neues Personal gewinnen.
Auch haben wir Hansefit als Gesundheitselement eingeführt, das war den Mitarbeitenden wichtig. Was ich besonders schön finde, ist, dass sich jetzt auch Erzieherinnen, die früher mal in einer städtischen Einrichtung gearbeitet haben, wieder bei uns bewerben. Bürgermeisterin Monika Laule und ich sind im ständigen Austausch und arbeiten weiterhin an Verbesserungen in diesem Bereich.

Werden jetzt auch wieder neue Kita-Plätze geschaffen?
Der Fachkräftemangel wird noch zunehmen. Auch erleben wir einen Wandel in der Arbeitswelt. Arbeitnehmer wünschen sich mehr Teilzeitangebote und flexible Arbeitsbereiche. Wir müssen also gegenüber den Eltern klar kommunizieren, was alles möglich ist und was nicht. Wir werden weitere Kita-Plätze schaffen müssen, vor allem in Wohngebieten mit großem Zuzug. Auch die Flüchtlingskrise fordert uns, mehr Betreuungsplätze zu schaffen. Mittelfristig stehen wir vor der Herausforderung, dass einige unserer Kitas in Gebäuden untergebracht sind, die vorübergehend in Modulbauweise errichtet sind. Hier werden wir eine langfristige Lösung finden müssen. Die Miete der Module ist kostenintensiv.
Wie viele Plätze fehlen denn aktuell?
Die aktuelle Vormerkliste zeigt, dass momentan 70 Kinder über drei Jahren und 115 Kinder unter drei Jahren noch nicht mit einem Kita-Platz versorgt sind.
Eine weitere Baustelle in der Stadt ist der Bau des neuen Pflegeheims und die steigenden Kosten des Projektes. Bringen diese den Spitalfonds in eine finanzielle Schieflage?
Wir sind in einer klaren Schieflage. Der Bau des Pflegeheims war wichtig und richtig. Wir erleben einen demographischen Wandel, wir brauchen diese Plätze dringend. Doch die jüngste Kostenentwicklung trifft auch uns bei diesem Projekt in erschreckender Weise. Das neue Pflegeheim bringt den Spitalfonds an seine finanzielle Leistungsgrenze. Für die Mitarbeiter im Rathaus ist es eine große Herausforderung, die Kosten stabil zu halten. Aus diesem Grund müssen wir auch Grundstücke wie die Mirabellenwiese verkaufen, weil wir das mit dem städtischen Haushalt nicht auffangen können. Ein Problem ist auch, dass wir die vom Regierungspräsidium (RP) geforderte Eigenkapitalquote nicht mehr halten können. Hier stehen wir mit dem RP in engem Kontakt und gutem Austausch. Aber es bereitet mir große Sorgen.
Betrachtet man die immer älter werdende Gesellschaft, werden die jetzt neu geschaffenen Plätze kaum ausreichen. Wie plant die Stadt denn für die Zukunft im Pflegebereich?
Wir haben als Kommune viele Verantwortungen, die wir ernst nehmen und umsetzen wollen. Doch auch wir haben Grenzen. Und der Neubau bringt uns an die Leistungsgrenze. Ich sehe die Verantwortung nicht nur bei der Kommune, sondern auch beim Land und beim Bund. Wir werden nicht alles auf der kommunalen Ebene schaffen.

Steigende Lohnkosten belasten auch den städtischen Haushalt. Welche Konsequenzen hat das für Radolfzell, wenn es zu flächendeckenden Tariferhöhungen kommt?
Einen höheren Lohn sehe ich angesichts der Preissteigerungen in fast jedem Lebensbereich für gerechtfertigt. Ich bin selbst erschrocken, wie teuer eigentlich alles geworden ist. Die Lohnkosten der Stadt Radolfzell bewegen sich in großen Schritten von den ehemals 34 Millionen Euro auf die magische Marke von fast 40 Millionen Euro zu. Seit Monaten führen wir im Rathaus viele Gespräche und versuchen unseren Haushalt zu verbessern, Investitionen zu optimieren und Kosten zu sparen. Da gab es viele unvorhergesehene Themen wie Energiekostenexplosion oder steigende Baukosten.
Doch auch positive Überraschungen. Die Radolfzeller Unternehmen haben nicht wie erwartet 18 Millionen Euro Gewerbesteuer, sondern 22 Millionen Euro eingenommen. Natürlich liegt das auch an der Inflation, aber die Unternehmen sind für die nächsten Jahre voll ausgelastet und suchen eigentlich noch mehr Personal. Das sehe ich als gutes Zeichen für die Zukunft und bin stolz auf die Leistungsfähigkeit der Radolfzeller Betriebe. Bei allen steigenden Lohnkosten müssen wir auch beachten, dass wir die Menschen auf diesen Stellen brauchen, um die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen. Ohne das Personal könnten wir die Projekte nicht durchführen, unsere Ziele nicht erfüllen.
Braucht die Stadt also noch mehr Mitarbeiter?
Die personelle Leistungsfähigkeit definiert, wie schnell Projekte umgesetzt werden können. Und in den letzten beiden Jahren haben wir deutliche Personalsteigerungen gehabt. Für das nächste Jahr werden wir dem Gemeinderat einen Vorschlag machen, der einen Personalanstieg von beinah Null vorsieht.
Der dritte und letzte Interview-Teil folgt am Samstag, 30. September. Darin spricht der OB über die anstehenden Haushaltsberatungen, wie die Stadt mit Extremwetterereignissen umgehen will und wie er sich als Neu-Markelfinger fühlt. Teil eins finden Sie hier.