Sie gehörten zu den Helden der Corona-Krise: Berufskraftfahrer wie Michaela Honsell. „Aber als Heldin fühle ich mich nicht“, sagt die Gaienhofnerin. Im Gegenteil: „Das fühlt sich an, wie Hohn.“
Denn viel zu oft – und gerade jetzt während der Pandemie – sei ihr Berufsalltag eine Zumutung. Honsell ist diejenige, die den Warenverkehr mit aufrechterhält, die Nudeln, Lebensmittel und Desinfektionsmittel durch Deutschland und in die Schweiz transportiert.
Jeden Tag unterwegs, doch keine Toilette ist auffindbar
Tag und Nacht, fünf Tage die Woche, sei sie unterwegs. Doch wenn Michaela Honsell mit ihrem Lkw zur Abladestelle kommt, sucht sie oft vergeblich: Eine Toilette. „Seit Corona dürfen wir nirgends mehr die Toilette benutzen“, schimpft die Gaienhofnerin.
Sie weiß, Wut hilft da auch nicht. Aber sie ist wütend. Denn: Die Firmen, bei denen sie auf- und ablade, hätten solche Angst, Honsell könnte den Virus einschleppen, dass sie niemanden von außen mehr in die WC-Räume ließen.
Ein Widerspruch, findet die Lkw-Fahrerin: „In die Lagerräume dürfen wir rein. Die Türklinken, die jeder andere berührt, fassen wir auch an. Aber auf die Toilette, wo wir uns die Hände waschen könnten, dürfen wir nicht.“
Manchmal bleibt nur ein Dixi-Klo
In seltenen Fälle stehe bei oder anderen Firma mal ein Dixi-Klo. Doch die seien – trotz Pandemie, in der es eigentlich auf Hygiene ankommt – „in furchtbaren Zustand“: Keine Seife, kein Desinfektionsmittel, manchmal nicht einmal Klopapier.
Und die Toiletten an den Autobahnraststätten? „Die gehen“, sagt Michaela Honsell. „Aber es ist so, dass wir nicht nur auf der Autobahn unterwegs sind, wir haben auch lange Überlandfahrten. Da ist man schon auf das Kunden-WC angewiesen.“
Vor ein paar Monaten musste sie eine Ladung Toilettenpapier nach Mannheim fahren. Start war wie immer in Singen, dort arbeitet Honsell bei der Spedition Maier. Beim Kunden angekommen stand sie anschließend zwei Stunden für einen Toilettengang an.
„Es gab zwar ein Kunden-WC, aber nur eins. Und weil wir alle wussten, dass das noch selten ist, haben wir angestanden“, berichtet die Gaienhofnerin. Mit „wir“ meint sie mehr als 100 andere Lkw-Fahrer, die an diesem Tag dort zum Einladen standen. Als Honsell vom WC zurückkam, zählte sie noch 73 Fahrer, die auf einen Toilettengang warteten.
Wie ein Mensch zweiter Klasse
„Und das ist die Ausnahme, meistens dürfen wir gar nicht in die Toilette“, betont sie – noch einmal. Und ist es fast schon leid. Denn eigentlich will Michaela Honsell um ein so grundmenschliches Bedürfnis kein Aufheben machen. Doch seit Corona „fühle ich mich wie ein Mensch zweiter Klasse. Wie eine Aussätzige.“
Die Schutzmaßnahmen seien vielleicht gut gemeint, aber träfen sie nicht die Falschen? Schließlich „bin in meinem Lkw alleine und komme kaum mit potentiell Infizierten in Kontakt“.
Außer dem Personal beim Aus- und Entladen, und manchmal auch einem Zollbeamten, begegnet die Fernfahrerin selbst an langen Arbeitstagen und –wochen, kaum jemandem. Und schätzt genau das eigentlich an ihrem Job: „Ich mag die Freiheit“, sagt Michaela Honsell.
Seit 26 Jahren fährt sie Lastwagen. Schon als Kind sei sie von den großen Fahrzeugen begeistert gewesen, erzählt die Gaienhofnerin. Und für einen Moment scheint die Wut ganz weit weg. „Es gibt nichts Schöneres, als im Wagen zu sitzen, wenn morgens die Sonne aufgeht und man den Bodensee sieht.“
Die Landschaften, die während ihrer langen Touren an Michaela Honsell vorbeiziehen, seien es gewesen, die einst das Feuer fürs Fernfahren entfacht hatten. Für solche Momente halte man einiges aus.
Auch gibt es nichts Vernünftiges mehr zu Essen
„Einiges, aber nicht alles“, sagt sie. Und kommt auf ein zweites Thema zu sprechen, dass ihr seit Corona Kopfzerbrechen bereitet: „Die Versorgung unterwegs.“
Weil seit Beginn der Pandemie die Gaststätten entlang ihrer Routen geschlossen, weil an Autobahnen die Restaurants dicht seien – oder wenn sie offen hatten, wie im Sommer, „dort nur Snacks oder Burger angeboten werden“ – fehlen ihr vollwertige Mahlzeiten.
Im Sommer half sich die Gaienhofnerin mit einem Gaskocher zum Campen aus. „Im Winter bringt mir der aber wenig, bis es das unten warm ist, ist das Essen oben kalt geworden.“
Michaela Honsell ist keine, die all das einfach so hinnimmt. Mehrmals sprach sie die zu beliefernden Firmen an. „Nur geändert hat sich nichts.“ Sie nahm Kontakt mit dem Verkehrsministerium des Landes auf.
Dort hieß es: Das Land habe keine Befugnisse in den nicht-öffentlichen Raum der jeweiligen Betriebs- und Firmengebäude regelnd einzugreifen – und so ein Kunden-WC vorzuschreiben.
Honsell wünscht sich mehr Unterstützung von der Politik
„Ich verstehe das ja zum Teil“, sagt die Lkw-Fahrerin. Aber wenn die Politik den Einzelhandel oder die Gastronomie schließen könnte, dann wäre ein öffentlicher Appell, um etwas mehr Bewusstsein für die Bedürfnisse von Berufskraftfahrer zu schaffen, doch allemal möglich. Wenn nun während ihrer Fahrten im Radio von Corona-Helden die Rede ist, schaltet es Michaela Honsell aus.