Wenn Christoph Heckmann in sein Häs schlüpft, dann ist er nicht mehr nur der Vater seiner drei Kinder, sondern Vater aller Grundele auf der Reichenau.
So auch an diesem Wochenende: Der Narrenverein Grundel feiert 125 Jahre Bestehen. Drei Tage lang steht die Insel Kopf.
Dass die Narren-Sause zum Erfolg wird, liegt maßgeblich in seinen Händen. Zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn man sich an die Fersen des Grundele-Vaters heftet.
Überall gibt es etwas zu tun. Überall packt er an. Nicht, weil er muss, sondern aus väterlicher Liebe.
Christoph ist 55 Jahre alt. Und genau so lange ist er schon Narr. Wie bei so vielen Insulanern ist ihm das in die Wiege gelegt. Seine Mutter war im Verein, der Vater im Elferrat. "Ein Narr aus dem Effeff", sagt Christoph.
Seine Frau ist eine "A’geschwemmte", sie kommt aus Konstanz. 1987 lernen sich die beiden lieben. Zwei Jahre später heiraten sie auf der Reichenau. Zur Hochzeit schenkt ihr der Verein ein Grundele-Häs. Integration geglückt.
Seit 23 Jahren vertritt Christoph die Grundele im Elferrat. "Ich bin stolz, das Grundele-Häs zu tragen", sagt er.
Der Grundele-Vater ist bekannt als der Fasnachter schlechthin auf der Reichenau. Als den beschreiben ihn viele Menschen, sie betonen dann das "der". Christoph selbst ist bescheiden: "Einer von den ersten zehn Verrückten", sagt er und lacht.
Er steht nicht gern auf der großen Bühne. Wenn die "Großkopferten", wie er sie neckend nennt, ihre Reden halten und das Publikum bespaßen, dann kümmert er sich darum, dass der Laden läuft. Jeder habe seinen Platz in der Fasnacht, sagt er dann: "Es gibt die Glanzelfer und die Schaffelfer."
Typisch Grundel. Der Fisch, der das Vorbild für das Häs des Vereins ist, lebt in Bodennähe. Offene Gewässer sind nichts für ihn.
Christoph ist eindeutig ein Schaffer. Er hat Hände, rau wie Sandpapier. Im richtigen Leben ist der Grundele-Vater Stuckateur.
Er gehört zu den Menschen, die ins Schwärmen kommen, wenn sie über Trockenbauwände und Kabelleisten sprechen.
Aber seine eigentliche Leidenschaft ist die Fasnacht, auch wenn Organisation und Arbeit an diesem Jubiläums-Wochenende kein Ende kennen.
Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Die Festzelte aufbauen, Kassieren, Parkplätze anweisen, die Umzüge organisieren. Christoph ist immer in Bewegung.
Kaum glaubt man, es ist Zeit für etwas Ruhe, da ist er schon wieder auf dem Sprung. Er schiebt sich durch eine Tür, die als Notausgang ausgewiesen ist.
"Ich hab die Ich-darf-alles-Mütze auf. Wie der Mercedes-Stern im Straßenverkehr", sagt er und grinst. Dann sieht man ihn wieder nur von hinten.
Und manchmal gibt es sie dann doch, die vergnügten Momente. Dann steht er in der Besenwirtschaft und zwirbelt mit zwei Fingern seinen Oberlippenbart.
Erst Rechts, dann links, unterhält sich und feixt mit anderen Fasnachtern. Er kann mit den kleinen Leuten ebenso wie mit den Nerz-Trägern.
Das sind die Momente, für die sich die viele Arbeit lohnt, dann ist Christoph einfach nur Narr. Seine Kinder, sie sind auch Häs-Träger, und viele aus der Grundele-Familie beschreiben ihn als gesellig, offenherzig und zupackend. Als einen, der sich für nichts zu schade ist.
"Streng kann er auch mal sein. Aber nur wenn nötig", sagt seine Tochter. Dann zum Beispiel, wenn seine Grundele beim Umzug nicht ihre Masken aufhaben.
Zum Start seiner Gruppe beim großen Nachtumzug reißt er seine Maske nach oben und ruft seine Grundele-Brut zusammen. Ho Narro!
Fasnacht und Gemeinschaft, das gehört für ihn zusammen. Christoph ist auch Mitglied in der Reichenauer Kolping-Familie. In der Tradition des katholischen Sozialethikers werde Solidarität gelebt, das sei ihm wichtig.
Die Narrenmesse bringt die beiden Welten zusammen. Am Sonntagmorgen ärgert sich Christoph nur, dass er seine quietschgrüne Lesebrille vergessen hat. Die meisten Liedzeilen kann er aber ohnehin auswendig.
Nach der kurzen Besinnung schwingt er sich auf das Fahrrad. Jetzt ist er wieder der Vater. Vor dem großen Abschluss-Umzug will Christoph unbedingt noch seinen Grundele-Kindern die Jubiläums-Orden überreichen.
Die Grundel-Maske im Korb rast er über die Reichenau und fährt die Grüppchen ab. Die Grundele stehen am Streckenrand und kassieren die Gäste. Mit Dank und Küsschen überreicht er seinen Schützlingen den Orden.
Nach dem Wochenende werden Häs und Orden im Schrank verstaut. Aber nicht lange, versichert er: “Nach der Fasnacht ist vor der Fasnacht.”
Hinter der Geschichte
Der Autor und Fotograf ist in einer narrenfreien Zone der Republik aufgewachsen und fremdelt bis heute mit Fasnacht und Karneval. Auf Bitten der Redaktion zog er dennoch los und fand auf der Reichenau einen Menschen, der ihn mit Freude, Zuversicht und Respekt erfüllte. Und einem Verständnis für die Fasnacht, das nun ein bisschen tiefer ist als zuvor.