Um bei der Energiewende hin zur Klimaneutralität (angestrebt im Jahr 2040) voranzukommen, hat die Gemeinde Reichenau von einem Fachbüro eine kommunale Wärmeplanung erstellen lassen. Das hatte die Landesregierung von allen größeren Kommunen gefordert. Bürgermeister Wolfgang Zoll meinte im Gemeinderat: „Es ist der nächste wichtige Schritt.“ Doch er sagte auch: „Das ist erst der Vorentwurf.“ Ein detaillierter Bericht folge noch.
Fachplaner Jan Stöckemann erklärte: „Das ist ein strategischer Plan, was sinnvoll ist und was nicht.“ Bis die Gemeinde davon etwas umsetzen könne, brauche es noch Machbarkeitsstudien, genauere Untersuchungen oder Einzelfallbetrachtungen. Und natürlich die Kommunikation mit den Bürgern, die selbst entscheiden können, welche Art der Heizung sie künftig nutzen wollen.
Stöckemann und seine Kollegin Beata Sliz-Szkliniarz stellten die wesentlichen Ergebnisse ihrer Planung im Gemeinderat vor. Klar ist: Nahwärmenetze sind demnach nur vereinzelt wirtschaftlich sinnvoll, fürs Wohnen auf der Insel nur eins in Mittelzell und auf dem Festland neben dem Neubaugebiet Lindenbühl-West nur für zwei bestehende Wohnquartiere. Für eine Unbekannte sorgt zudem die weitere Entwicklung bei Gewächshäusern.
- Der Bestand: Demnach gibt es in der Gemeinde knapp 1300 beheizte Gebäude, rund 80 Prozent davon sind Wohngebäude. 63 Prozent der Gebäude seien mit Gas beheizt, 31 Prozent mit Öl, so die Planer. Diese fossilen Brennstoffe sollen bis 2040 nicht mehr verwendet werden. Erfreulicherweise sei aber rund die Hälfte der Heizungen nicht älter als 20 Jahre, weshalb laut Planer der Handlungsdruck nicht so groß ist.
Eine erstaunlich große Rolle beim Wärmebedarf, rund 20 Prozent, spielen die Gewächshäuser. „Das war für mich ein Aha-Erlebnis“, so der Bürgermeister. Und das Entwicklungskonzept der Gemeinde sieht auf der Insel in vier Bereichen die Möglichkeit vor, moderne, größere Gewächshäuser zu bauen, die einen hohen Wärmeenergiebedarf haben. Dann könnte der Anteil der Gewächshäuser am Gesamtbedarf bis 2040 auf 40 Prozent steigen, so die Planer. Und dort, wo die Gewächshäuser wären, wären dann auch Nahwärmenetze sinnvoll. - Die Energiepotenziale: „Wir haben ein nennenswertes Potenzial für eine thermische Seewassernutzung“, sagte Planerin Sliz-Szkliniarz. Allerdings mit Einschränkungen. Von Januar bis März sei die Wassertemperatur zu niedrig, da bräuchte es zusätzlich eine alternative Energiequelle. Zudem bräuchte es für die Nutzung Einzelfallbetrachtungen. Und eine Nutzung von Seewasser sei nur in Nahwärmenetzen sinnvoll. „Es eignet sich nicht für Einzelgebäude“, so die Planerin. Sie und Stöckemann raten auf jeden Fall zum Ausbau der Solarenergie, vor allem zur Stromerzeugung für Wärmepumpen oder Luftwärmepumpen.
Ebenso generell raten die Planer zur energetischen Sanierung von Gebäuden, um den Energiebedarf zu senken. „Erdwärme ist grundsätzlich überall vorhanden“, sagte Sliz-Szkliniarz. Diese könnte theoretisch auch für Einzelhäuser genutzt werden, was aber sicher eine Kostenfrage wäre. Zur Nutzung von Abwasserwärme wären noch Temperaturmessungen und Einzelfallbetrachtungen nötig.
- Maßnahmenvorschläge: Die Planer schlagen der Gemeinde vor, in den nächsten Jahren vor allem fünf Prioritäten zu setzen. Erstens sollte das Potenzial von Abwasserwärme genauer ermittelt werden. Zweitens sollte die Gemeinde Photovoltaik auf den eigenen Gebäuden ausbauen, wo es der Denkmalschutz zulässt.
Drittens sollte in bestehenden Nahwärmenetzen – etwa im Zentrum für Psychiatrie – untersucht werden, auf welche erneuerbaren Energien wirtschaftlich umgestellt werden könnte. Viertens sollten private Haushalte sensibilisiert und informiert werden. Fünftens sollten Machbarkeitsstudien erstellt werden für die Gebiete, die für ein Nahwärmenetz geeignet wären. - Erste Reaktionen: Der Bürgermeister sagte zum Thema Nahwärmenetze, für die drei in Frage kommenden Wohnbereiche könnte man relativ zeitnah eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen. Matthias Middendorf (Grüne/Freie Liste Natur) erklärte, die Verbindung mit der Gemüsebauentwicklung sei interessant. Auf seine Frage, ob sich Abwasserwärme auch für Einzelhäuser eigne, sagte Stöckemann, das sei unüblich für Einfamilienhäuser.
Gabriel Henkes (Grüne/FLN) regte an, das Neubaugebiet Lindenbühl-West und die beiden anderen Wohnbereiche auf dem Festland an ein gemeinsames Nahwärmenetz anzuschließen. Martin Wendt (CDU) fragte nach der Option, Nahwärmenetze auf dem Festland mit Projekten auf Konstanzer Gemarkung zu verknüpfen.
Thorsten Schneider (Freie Wähler) meinte, man könnte viel auf Erdwärme setzen, fragte aber: „Soll sich jeder sein eigenes Loch bohren?“ Auf der Reichenau müsste man dafür nicht so tief bohren, erklärte dazu Stöckemann. In manchen Bereichen wäre sie sinnvoll. Aber es bräuchte für Erdwärme für Nahwärmenetze auch viele Sonden und einen entsprechenden Flächenbedarf.
Ralf Blum (CDU) sagte, ihm fehle in der Planung die Möglichkeit pragmatischer Übergangslösungen wie die Kombination von Erdgas mit Photovoltaik und Wärmepumpe. Alles andere sei erst einmal Zukunft.
- So geht es weiter: Bürgermeister Wolfgang Zoll und das Planungsbüro haben angekündigt, dass es noch einen schriftlichen Bericht mit Details zu Gebäuden und Gebieten geben wird. Zum einen für den Gemeinderat, zum anderen zur Einsicht für Bürger. Diese können sich dazu auch äußern. Offen ist im Moment, ob und wann etwas aus der Planung umgesetzt wird. Über jede Maßnahme muss der Rat einzeln entscheiden. Die Planer wiesen darauf hin, dass es bei Nahwärmenetzen auch Energieunternehmen gebe, die selbst investieren ohne kommunale Beteiligung. Aber dazu müssten genug Hauseigentümer bereit sein für einen Anschluss.