Barbara Biesten und Franka Radau-Brunner sind erschöpft. Die Erzieherin und die Leiterin der Kita Käppele auf der Reichenau befinden sich in einer prekären Lage, sagen sie. Und die Probleme, vor denen das Personal und die gesamte Einrichtung stehen, treffen nicht nur den Kindergarten auf der Insel, sondern Einrichtungen in ganz Deutschland, so sind sich die beiden Frauen sicher. Die Pandemie sei zwar ein Katalysator für die Schwierigkeiten gewesen, jedoch scheinen die Probleme komplexer zu sein.

„Losgegangen ist bei uns bei das Gefühl von Stress durch die Corona-Zeit“, sagt Barbara Biesten, Erzieherin und Pädagogin an der Kita Käppele auf der Reichenau. „Das ist allerdings nicht das Hauptthema, hat aber auf die Probleme aufmerksam gemacht.“ Ferner setzen sich die Probleme der Einrichtungen aus verschiedenen Faktoren zusammen.

Das Hauptproblem ist der Personalmangel

Der Hauptpunkt scheint klar und spiegelt sich nicht nur in dieser Branche wieder: der Fachkräftemangel. So verteile sich mittlerweile der Stress auf einen kleineren Personenkreis, viel Arbeit auf wenige, so Barabara Biesten gegenüber dem SÜDKURIER. Oder anders ausgedrückt: „Wenn eine Kollegin ausfällt bin ich allein“, sagt sie.

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Daran schließe sich an, dass es immer schwieriger sei, geeignete Arbeitskräfte zu bekommen. „Es war nie so schwierig wie jetzt, überhaupt jemanden zu finden“, ist sich Biesten sicher. Es bewerben sich zwar Quereinsteiger als Hilfs- und Fachkräfte, aber zu selten seien diese ausgebildete Erzieher. Und die, die es seien, würden die Erzieherausbildung des Öfteren als Sprungbrett zum Studium benutzen. Grundsätzlich seien zwar auch Quereinsteiger kein Problem, doch im Laufe der vergangenen Jahre seien die Ansprüche und Bedürfnisse der Eltern an das Kitapersonal immer weiter gestiegen.

Erzieherin Barbara Biesten (links) und Kita-Leitung Franka Radau-Brunner wollen auf die prekäre Situation in den Kitas aufmerksam ...
Erzieherin Barbara Biesten (links) und Kita-Leitung Franka Radau-Brunner wollen auf die prekäre Situation in den Kitas aufmerksam machen. Denn nicht nur in ihrer Kita, der Kita Käppele auf der Reichenau, herrscht Dauerstress, sagen sie. | Bild: Timm Lechler

So liege mittlerweile der Schwerpunkt nicht mehr nur in der Betreuung der Kinder, sondern eben auch in der Erziehung. „Manche Eltern kommen ja zeitlich gar nicht mehr dazu, die Kinder zu erziehen“, sagt die Pädagogin. „Es gibt Kinder, die sind am Tag länger in den Einrichtungen als Erwachsene bei der Arbeit.“ Und die Eltern hätten oft gar nicht mehr die Kraft und die Möglichkeit, ihre Kinder zu erziehen. So manche soziale Kompetenz, die die Kinder nur zu Hause erlernen könnten, bliebe dabei auf der Strecke.

Grundsätzlich machen die beiden Frauen ihren Job gern und wollen arbeiten, sagen sie. Doch es müssten sich einige Dinge ändern, denn die Probleme, die sie schildern, würde Personal in ganz Deutschland treffen. „Zuerst wäre es gut, wenn der Mindestpersonalschlüssel erfüllt wäre und wir voll besetzt wären“, sagt Franka Radau-Brunner. Aber der Mindestpersonalschlüssel sei eigentlich noch zu wenig, sagt sie.

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Dass die Betreuungsangebote immer weiter erhöht werden sollen sei außerdem das nächste Problem. So wolle der Staat das zwar auch aus entsprechenden Fördertöpfen bezahlen, doch durch ein höheres Gehalt würde sich nicht viel ändern, glaubt die Kita-Leitung. „Bessere Bezahlung ist, glaube ich, nicht das Wichtigste.“ Vor allem käme es darauf an, genügend fachkundiges Personal zu haben. Das löse allerdings nur das Problem des Personalnotstands.

Was tut die Gemeinde?

Die Gemeinde Reichenau scheint sich der Reihe an Probleme bewusst zu sein. So sieht auch Mario Streib, Hauptamtsleiter der Gemeinde, die Schwierigkeiten vor allem im Fachkräftemangel. Dieser sei in den grenznahen Bereichen, vor allem hier in der Region zur Schweiz, ein noch größeres Problem, als andernorts. „Die Erzieher finden dort einfach eine bessere Entlohnung.“

Er sieht vor allem den Staat in der Verantwortung. So sei das Betreuungsangebot, wie beispielsweise die Ganztagesbetreuung erhöht worden, ohne im Vorfeld genug Personal zu haben. „Und nun versucht man das durch Quereinsteiger aufzufangen“, sagt er. „Dabei wäre es schlauer gewesen das andersherum zu machen.“ Man hätte zuerst für ausreichend Personal sorgen sollen, um danach das Angebot erhöhen zu können. Er appelliert außerdem: „Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst muss näher am regionalen Alltag liegen.“ Denn alle verdienen dort gleich, doch Lebenshaltungskosten seien vor allem hier in der Region höher als andernorts.

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Gegensteuern will die Verwaltung Reichenau selbst durch „weiche Faktoren“, wie Streib sagt. Dazu gebe es verschiedene Stellschrauben, wie Anreize durch beispielsweise eine Vergünstigung des Fitnessstudiovertrags für Angestellte, Zuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr oder Jobfahrräder. „Wir wollen attraktiv werden, um Mitarbeiter zu generieren“, so Streib. Ferner wolle man möglicherweise Wohnraum für Personal schaffen.

Die Situation in Konstanz

Gerold Bayer, stellvertretender Geschäftsführer der Gesamtkirchengemeinde Konstanz, die für mehrere Kitas im Raum Konstanz zuständig sind, ist sich der Probleme auch im Raum Konstanz bewusst, will diese jedoch nicht generell pauschalisieren, sagt er. Doch eines sei klar: „Der Fachkräftemangel trifft alle Träger“, sagt er. Man versuche deshalb außerdem bereits im Bereich Ausbildung etwas zu tun, beispielsweise indem man Praktika und freiwillige soziale Jahre bewerbe.

Auf lange Sicht ist er sich für die Region sicher: „Mit Geld allein wird es nicht funktionieren“, sagt Bayer im Hinblick auf die Bezahlung der Erzieher. „Man muss mehr für den Beruf werben.“ Auch ob der Mindestpersonalschlüssel der Richtige sei, könne man in Frage stellen, meint er. Er sagt jedoch auch, dass die Träger wie die katholische Kirche und die Stadtverwaltung Dinge unternehme, die Situation zu verbessern.

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Wie Walter Rügert, Pressesprecher der Stadtverwaltung Konstanz, angibt gehört dazu beispielsweise die Bildung einer Strategiegruppe „Fachkräfte“ und das Projekt LenkRat, das Kita-Teams und Fachkräfte berät. Darüber hinaus bilden die Stadt und die freien Träger Fachkräfte aus, um den zukünftigen Fachkräftebedarf decken zu können, heißt es von der Stadtverwaltung. Das Sozial- und Jugendamt gesteht jedoch ein, dass kurzfristig auftretende Personalausfälle nur schwer kompensiert werden könnten.

„Die Auswirkungen der Pandemie sind nicht zuletzt auch bei den Kindern spürbar und zeigen sich in verschiedensten Facetten: viele Kinder sind verunsichert oder psychisch belastet“, so die Stadtverwaltung. „Die Betreuung, Begleitung und Förderung der Kinder fordert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunehmend in massiv stärkerem Maß als bisher.“ Dem können die Erzieherinnen der Kita Käppele um Franka Radau-Brunner wohl nur zustimmen.