Es gibt Nachrichten aus der Heimat, die Patrick Pohlmann gerade ziemlich auf den Geist gehen. „Mich nervt es, wenn ich aus Deutschland höre, dass die Leute sich beschweren, weil sie einen Mundschutz aufsetzen müssen“, sagt der 28-Jährige beim Telefonat mit dem SÜDKURIER. „Sie beklagen, dass ihnen die Grundrechte genommen werden, obwohl sie genau in diesem Moment ihr Grundrecht auf Meinungsäußerung in Anspruch nehmen.“
Dann ergänzt er schmunzelnd: „Diese Leute können mich gerne mal hier besuchen kommen.“

Hier: Damit meint der aus Rielasingen-Worblingen stammende junge Mann die 500.000-Einwohner-Stadt Montería im Nordwesten von Kolumbien. Seit knapp vier Jahren ist sie Patrick Pohlmanns Lebensmittelpunkt. Aufgewachsen im Schatten der Hegauvulkane wohnt er heute in unmittelbarer Nähe der Karibikküste. Und doch ist seine Situation im Moment alles andere als idyllisch. „Corona hat Südamerika hart getroffen. Seit Mitte März herrscht in Kolumbien ein kompletter Lockdown, der immer wieder um zwei Wochen verlängert wird“, berichtet er.
Selbst die Ärzte haben sich angesteckt
Die Lage im Land sei prekär. „Geschäfte mussten schließen, Arbeitslosigkeit und Gewaltbereitschaft steigen. Zum Teil mussten sogar die Krankenhäuser zumachen, weil sich zu viele Ärzte mit dem Virus infiziert hatten.“ In der Bevölkerung seien bei vielen die Ressourcen aufgebraucht.
„Die Menschen haben kein Essen mehr. Die Regierung verteilt ihre Lebensmittelpakete aber wenn überhaupt nur an diejenigen, die Steuern zahlen.“ In Monteria gebe es ganze Viertel, die nur aus Blechhütten bestehen. „Die Menschen, die dort hausen, hängen zum Teil rote Kleidungsstücke vor ihre Türen: ein Hilferuf, weil sie kurz vor dem Verhungern sind.“
Nur vier Stunden pro Woche vor die Tür
Pohlmann selbst geht es zum Glück nicht schlecht. Doch das Sprachinstitut New Horizons, das er mit dem US-Amerikaner Sean Knippen gegründet hat, ist für ihn im Moment Zuhause und Gefängnis zugleich. „In Kolumbien ist es so geregelt, dass jeder nur an einem Tag der Woche vier Stunden nach draußen darf, um Einkäufe zu tätigen. Wer an welchem Tag an der Reihe ist, wird anhand der Ausweisnummer festgelegt.“
Wie geht er mit dieser ungewohnten Situation um? „Es kratzt schon an der Psyche. Aber zum Glück wohne ich mit meiner Freundin direkt über der Sprachschule. Dort haben wir vergleichsweise viel Platz.“ Dankbar ist Patrick Pohlmann auch für die Unterstützung aus dem Hegau. Zum einen sind da die sonntäglichen Video-Telefonate mit der Familie. Zum anderen helfen viele Freunde, Bekannte und Verwandte dem 28-Jährigen bei dem Projekt, das im Moment den Großteil seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.
„Wir als junges Unternehmen haben eigentlich nicht die Mittel, den Samariter zu spielen“, erklärt Pohlmann. „Aber natürlich wollen wir helfen.“ Der Hegauer hat den Eindruck, dass die kolumbianische Regierung korrupt ist und sich nicht um die Notleidenden kümmert.
Mit dem Transporter in die Elendsviertel
„Deshalb haben wir einen Spendenaufruf gestartet. Jeden Cent, den wir bekommen, nutzen wir, um einen Transporter und unverderbliche Lebensmittel wie Mehl, Salz, Bohnen, Reis, Mais, Kichererbsen, Nudeln oder Dosen-Thunfisch zu kaufen“, berichtet er. In Absprache mit dem Bürgermeisteramt und der Polizei würden dann Lebensmittelpakete zu den Ärmsten der Armen von Montería gebracht.
Sein US-amerikanischer Mitgründer und er hätten in den vergangenen beiden Monaten bei Freunden und Bekannten für Unterstützung dieser Idee geworben. „Ich dachte, am Ende erreichen wir vielleicht 2500 Euro“, erzählt Pohlmann. Das tatsächliche Spendenergebnis nach einem Monat: 10.000 Euro. „Wir haben Sponsoren aus aller Herren Länder – Australien, Norwegen, England, China, den USA, Deutschland, der Schweiz„, berichtet der Worblinger begeistert. Viele der Spender kennt Pohlmann persönlich. Kein Wunder, schließlich ist er selbst ein Weltenbummler.
Von Hegne nach Kalifornien und immer weiter
Nachdem er in Hegne die Ausbildung zum Erzieher absolviert hatte, zog es ihn nach Kalifornien, wo er an der German International School of Silicon Valley sein Anerkennungsjahr absolvierte. „Da bin ich auf den Geschmack gekommen. Direkt danach habe ich eine Weltreise gestartet“, erzählt er. Südostasien, Südamerika, Australien, Neuseeland, die Fidschi-Inseln und die USA standen auf der Länderliste.
Nach einem Jahr ging es zurück nach Hause, wo Pohlmann seine Fachhochschulreife nachholte. „Deutschland gefällt mir gut. Aber mich hat relativ schnell wieder die Abenteuerlust überkommen.“ Auswandern, das wär‘s. Also schickte er Bewerbungen für eine Lehrerstelle rund um den Globus.
Ein Neuanfang in Südamerika
Die erste Zusage kam aus Montería, wo Pohlmann zunächst in einer deutschen Schule tätig war und später zur britischen Schule wechselte. „Ich hatte aber immer den Traum, mich selbstständig zu machen und mein eigener Chef zu sein.“ Ein Traum, der realistischer wurde, als er Sean Knippen kennenlernte, mit dem er nun seit 1,5 Jahren ein eigenes Fremdspracheninstitut leitet.

„Ich unterrichte Deutsch und Englisch“, schildert er. „Dabei spreche ich die ganze Zeit nur in der jeweiligen Sprache.“ Ein Ansatz, der zu funktionieren scheint. Stolz berichtet Pohlmann von den Fortschritten, die seine Schüler – zumeist der Nachwuchs von privilegierteren Familien – selbst in Zeiten von Digitalunterricht machen würden. „Einige sprechen mittlerweile richtig gut Deutsch und Englisch.“
Ungewohnte Lehrerfahrungen
Anfangs habe er aber durchaus zu spüren bekommen, dass seine Schützlinge aus betuchteren Verhältnissen kommen. „Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Kind einen Papierschnipsel auf den Boden wirft und sagt: ‚Mein Vater bezahlt dich doch: Heb‘ das wieder auf.‘“ Umso wichtiger war es für Pohlmann, klare Signale zu setzen und Disziplin im Klassenzimmer durchzusetzen.
„Inzwischen unterrichten wir nicht nur reichere Kinder. Wir haben die Lehrer der umliegenden staatlichen Schulen gebeten, uns ihre fleißigsten Schüler zu schicken. Sie bekommen bei uns kostenlosen Unterricht.“
Pohlmann ist froh, dass er in Kolumbien etwas bewirken kann. Ob er hier wohnen bleibt? „Im Moment fühle ich mich trotz der Umstände wohl“, sagt der Lehrer. Bevor er langfristige Pläne schmiedet, hofft er aber erst einmal, dass sich das durch die Pandemie aus den Fugen geratene Land wieder ordnet.
Das langersehnte Ende – und dann?
„Irgendwann wird der Lockdown vorbei sein und dann werde ich die kleinen Dinge umso mehr zu schätzen wissen“, ist er sich sicher. In fremde Länder reisen oder einfach nur zum Strand fahren und unter Palmen sitzen: Patrick Pohlmann kann es kaum erwarten.
Ein rote Flagge als Startsignal: So kann man Patrick Pohlmanns Projekt unterstützen
- Das neue Epizentrum: Ende Mai hat die Weltgesundheitsorganisation Südamerika zum neuen Epizentrum der Corona-Pandemie erklärt. Auch Kolumbien ist von Covid-19 hart betroffen. Viele in Montería litten ohnehin unter Armut, Krankheit und Hunger. Ihre Situation habe sich durch die Pandemie weiter verschlimmert, wie Patrick Pohlmann berichtet. „Deshalb haben wir bei New Horizons beschlossen, Geld zu sammeln, um den bedürftigsten unserer Nachbarn helfen zu können.“
- Essen für die Armen: „Jeder Cent, den wir erhalten, wird direkt in gut haltbare Lebensmittel investiert, die von uns in Form von Paketen persönlich verteilt werden.“ Schon eine Spende von 10 Euro helfe, eine fünfköpfige Familie eine Woche lang zu ernähren. „Für unser Projekt haben wir den Namen Red Flag Project gewählt, weil Menschen in Kolumbien, wenn sie über keinerlei Nahrungsmittel mehr verfügen, eine rote Fahne oder ein rotes Kleidungsstück vor ihrer Tür aufhängen.
Spendenmöglichkeit unter: http://www.paypal.me/pools/c/8qwFxBDvk5