Es sollte eine unbeschwerte Skiwoche in Samnaun, einem der schönsten Wintersportgebiete in der Ostschweiz, werden. Doch das langersehnte Schneevergnügen wurde zunehmend bestimmt von einem Gefühl der Verunsicherung. Noch vor der Abfahrt galt das Dorf als unbedenklich. Doch dann kamen die ersten Gerüchte von Infizierten aus der österreichischen Nachbarschaft.
Was das Coronavirus mit den Menschen macht, hat unsere Autorin erlebt. Ein Bericht über das Wechselbad der Gefühle.

Auf einmal Nachrichten aus Österreich
Unter normalen Umständen würde das Herz jubeln: toller Schnee, gut präparierte Pisten, frühlingshafte Temperaturen und freie Abfahrten. Doch in diesen Tagen ist nichts normal. Aus Ischgl (Österreich) dringen Mitte der Woche schlechte Nachrichten über die Schweizer Grenze. Das Coronavirus soll einen Kellner infiziert haben und der wiederum andere. So kann sich das Virus massenhaft verbreiten, muss es aber nicht. Die Menschen gehen auf Abstand. In den sonst gut besuchten Schnee-Bars sind erst Lücken und dann leere Bänke zu beobachten. In den Bergbahnen gehen die Menschen auf Distanz oder versenken die Köpfe in dicken Schals.
Wir rechnen: Die Bergfahrt dauert keine 15 Minuten. Die Sessellifte sind nur noch zur Hälfte besetzt. Wer noch Mitte der Woche glaubte, den Skibetrieb auf diese Weise aufrecht erhalten zu können, der erlebte am Freitag ein böses Erwachen. Von Stunde zu Stunde verändert sich die Nachrichtenlage, bis ein holländisches Paar die Frage stellt: „Haben Sie auch einen Anruf erhalten?“ – Nein, kein Anruf aus Samnaun. Doch die Gäste aus Ischgl wurden auf der Piste von ihren Gastgebern angerufen und aufgefordert, sofort ins Hotel zurückzukehren und unverzüglich abzureisen, weil am Samstag das gesamte Paznauner Tal abgeriegelt wird.

Man sieht einen Schwung Skifahrer über den Kamm entschwinden und kann sich nicht über die verlassene Piste freuen. Die freie Fahrt bekommt trotz traumhafter Bedingungen einen schalen Geschmack. Verunsicherung macht sich breit. Fragen über Fragen: Wann wird Samnaun abgeriegelt? Komme ich überhaupt noch über die Grenze nach Österreich und dann weiter nach Deutschland? Könnte ich mich angesteckt haben? Und bin ich nun eine Gefahr für meine Mitmenschen?
„Wie Krieg, nur anders“
Jedes Räuspern wird ab sofort hinterfragt, jeder Schweißausbruch analysiert. Doch ich bin gesund, fit und vollkommen ohne Symptome. Also ermahne ich mich zur Freude über die freie Bahn. Am Berggasthof dudelt die Musik in der Schneebar. Aber die Bänke bleiben leer. Die Stimmung ist gespenstisch. Ich zähme meine Unruhe. Doch dann höre ich, wie die Nachbarin sagt: „Es ist wie Krieg, nur anders.“ Kann eine Schweizerin das überhaupt beurteilen? Kann ich das beurteilen? Wir sind uns einig, dass wir so eine Situation noch nie hatten. Wir haben keine Erfahrung mit einer Pandemie.
Wir kämpfen die Panik nieder und wissen doch, dass wir die nächsten Tage zu Hause bleiben müssen. Aber zuerst müssen wir dorthin zurückkommen. Die Wirtin in Samnaun hat uns am Abend gesagt, dass die Saison jetzt auch hier beendet ist. Sieben Wochen vor dem eigentlichen Saisonende. Der wirtschaftliche Schaden ist für sie existenzbedrohend. Selbst die Stammgäste bleiben weg. „Was soll man im Winter hier machen außer Skifahren?“, sagt die Vermieterin und zuckt hilflos mit den Schultern.
Geisterhafte Rückfahrt
Auf der Rückfahrt sind wir froh, ohne Kontrolle nach Österreich einreisen zu können. Wir wissen, dass jetzt auch das Montafon abgeriegelt wird. Die Autobahn ist geisterhaft leer.

Alles, was wir uns sonst wünschen, wirkt jetzt wie eine Bedrohung. Die meisten Gäste haben das Gebiet aus Angst vor langen Wartezeiten an den Grenzen schon am Vortag verlassen. Eine Leuchtschrift blinkt uns vom Straßenrand entgegen: „Sie kommen aus der Schweiz. Bleiben Sie 14 Tage zu Hause.“ Das wollen wir jetzt beherzigen und nur noch das Nötigste einkaufen. Doch die Regale mit Grundnahrungsmitteln sind leer...
Zur Serie
Corona verändert die Wahrnehmung des Alltags. SÜDKURIER-Mitarbeiterin Gudrun Trautmann thematisiert das zu Beginn der neuen Serie „Corona-Tagebuch“ am Beispiel eines Skiurlaubs. Es ist davon auszugehen, dass die Serie sich leider nicht auf ein paar Wochen beschränken wird. Wie lässt sich die Krise handhaben – beispielsweise angesichts der schleichenden Vereinsamung? Der SÜDKURIER nimmt Anregungen entgegen unter