Als Thomas aufwacht, ist er glücklich. Und das trotz seiner Erkrankung, wegen der die bis in viele Details vorbereitete Hochzeit mit seiner Natascha nicht stattfinden konnte. Der 50-Jährige erkrankte plötzlich und musste ins Krankenhaus. Es ging rapide bergab – die Prognose hoffnungslos. Thomas kam auf die Intensivstation und schnell war klar, dass aus der Hochzeit nichts werden würde. Doch seine Freunde und Mitbewohner wussten, was Thomas die Hochzeit bedeutete. Also wurde improvisiert, auf der Intensivstation gab es ein Treuefest mit allem Drum und Dran. Ringe wurden ausgetauscht, es gab ein Essen und schöne Worte. Kurz danach fiel Thomas ins Koma – aber einmal noch wacht er auf. Und die Bewusstlosigkeit vermochte ihm das Glück nicht zu nehmen: "Ich bin jetzt verheiratet", sagt er und dabei ist er – wie seine Sterbebegleiter sagen – im Geist glockenhell. Wenig später macht Thomas die Augen für immer zu.
Die Geschichte erzählt wird von denen, die Thomas auf dem letzten Stück seines Weges begleiteten. Das sind neben Martina Kaiser und Wolfgang Heintschel vom Cartitas-Verband Singen-Hegau einige Mitbewohner von Thomas wie Marc Nowak und Claudia Wollensack. Wie Thomas sind sie behindert – aber nicht nur das ist es, was die Sterbebegleitung zu einer Besonderheit macht. Für die Behinderten war der Tod von Thomas ein Grund, sich ihrerseits für den Bau des Hospiz-Gebäudekomplexes in Singen einzusetzen. Bei der Hauptversammlung der derzeit 33 Bewohner in den Häusern Christopherus, Katharina und im Laurentius machte ein Sparschwein die Runde, mittels dessen man Spenden für den Bau des Komplexes in der Innenstadt sammelte. Addiert ergaben die Kleinstmünzen eine Summe von 40,66 Euro.
Das ist viel Geld, denn die Bewohner verfügen nur über ein knappes Taschengeld. Im Fall von Marc Nowak sind das so zwischen zehn und 20 Euro, so genau weiß er das selbst nicht. Aber ab und zu raucht er eben mal ganz gerne eine Zigarette, was Geld kostet, und für das gelegentliche Rauchen schämt er sich wohl ein bisschen. Schließlich sagt er, wo's lang geht: "Anderes Thema", meint er mit einem Schmunzeln. Also kommt das Gespräch wieder zurück auf das Sterben und den Tod, wobei Marc Nowak Worte von allgemeiner Gültigkeit spricht. "Thomas", sagt er knapp, "ist zu früh gestorben."
Der Satz fällt oft, wenn ein Mensch geht. Das ist normal, dennoch klingen auch andere Teile des Berichts der Behinderten über den Abschied von Thomas seltsam ungewohnt. Zum Beispiel, dass er ein Testament geschrieben und darin sein Fahrrad einem Mitbewohner vermacht hat. Sonderbar anrührend auch das Bild von der Beerdigung, das Claudia Wollensack und Marc Nowak zusammen mit den Caritas-Mitarbeitern beschreiben: Wie da die Gruppe der Behinderten um das Grab steht und bunte Luftballons himmelwärts steigen lässt...
Doch auch für die erfahrenen Hospiz-Mitarbeiter ist der Tod von betagten Menschen mit Behinderung und deren Sterbebegleitung etwas Neues. "Im Prinzip haben wir es mit der ersten Generation von Menschen mit einer Behinderung zu tun, die altersbedingt sterben", sagt Wolfgang Heintschel. Bis 1945 wurden sie vielfach Opfer der sogenannten Euthanasie, danach dauerte es noch Jahrzehnte bis Menschen mit Behinderung – zumal im Fall geistiger Einschränkungen – in der allgemeinen Wahrnehmung als akzeptiert galten. Und dass beispielsweise Menschen mit geistiger oder psychischen Einschränkung ein nach ihren Möglichkeiten selbstständiges Leben in Wohngemeinschaften führen können, erreicht erst allmählich den Status von Normalität.
Inzwischen aber erntet die Gesellschaft Dankbarkeit. Die Behinderten, so die Erfahrung von Martina Kaiser und Wolfgang Heintschel, seien sich bewusst, dass sie auf Hilfe angewiesen sind, und etwas zurückzugeben sei ihnen ein Bedürfnis. Sie wollen mitmachen, dabei sein, was sich zum Beispiel beim Singener Stadtfest zeigt. Martina Kaiser bringt in diesem Zusammenhang lobend die Mitarbeit von Claudia Wollensack im Bewohnerbeirat der drei Häuser zur Sprache, worauf diese schüchtern auf ihre Hände blickt. Ähnlich ist es bei der Trauer um Thomas: Sie ist spürbar, aber unverkennbar ist auch der Stolz, dass man mit 40,66 Euro beim großen Projekt des Singener Hospizhauses dabei ist.
Spenden fürs Hospiz
Die Unterstützung für das Hospiz ist groß – und zwecks Finanzierung nötig. Clemens Fleischmann von der Geschäftsleitung der Randegger Ottilienquelle ist einer der Spender, die das Projekt unterstützen. Beim Pressetermin über die 40,66-Spende der behinderten Mitbewohner war er mit dabei, der von seinem Unternehmen zur Verfügung gestellte Betrag beläuft sich auf 1000 Euro. Das Ökumenische Hospiz- und Palliativzentrum in Singen ist einen kreisweite Einrichtung und wird als gemeinnützige GmbH geführt (Infos und Angaben zu Spenden unter horizont-hospizzentrum.de). (tol)