Herr Lobo, auf Ihrer Website finden sich viele Beiträge, die Sie zu Themen rund um das Internet und die Digitalisierung verfasst haben. Beim Lesen denkt man sich: Mensch, da kennt sich einer aus – und fragt sich, warum Sascha Lobo nicht Digitalminister von Deutschland ist.

Danke für die freundliche Unterstellung. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Fachkenntnisse unbedingt die Befähigung für politische Aufgaben beinhalten. In der Politik geht es eher um die Professionalität bei der Bewertung von Interessen und ich weiß nicht, ob ich das könnte oder überhaupt wollte.

Aber wenn Sie Minister wären und bei den großen Linien der Politik etwas zu bestimmen hätten – was würde bei Ihnen ganz oben auf der Liste der Notwendigkeiten stehen?

Das sind zwei Dinge. Erstens muss man ran an die katastrophale Infrastruktur. An der Schweizer Grenze wird das besonders deutlich, aber in Berlin sieht es nicht anders aus. Kaum ist man ein paar hundert Meter weiter weg, kann man unter Umständen nicht einmal mehr telefonieren. Zweitens muss die Politik unbedingt Regularien für die großen Plattformen finden. Es ist doch ein Witz, was Google und Co an Steuern bezahlen.

Bild 1: "Soziale Medien sind zumeist nur Propaganda-Schleudern": Im Interview mit dem SÜDKURIER redet Spiegel-Online Starschreiber Sascha Lobo Klartext
Bild: Jens Weber

Sie fordern also eine Art Digitalsteuer?

Ja. In Frankreich beispielsweise macht Facebook einen Umsatz von einer Milliarde Euro und zahlt 1,9 Millionen Euro Steuern. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern es werden Strukturen zerstört, die meiner Meinung nach erhalten werden müssen.

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie als Beispiel die regionalen Medien. Die sind absolut notwendig, denn woher bekommt man sonst die relevanten Informationen? Für die Gesellschaft ist das unerhört wichtig – soziale Medien aber profitieren nur davon. Sie nutzen die Informationen und generieren daraus Werbeeinnahmen, während sie selbst zumeist nur als Propaganda-Schleudern unterwegs sind. Eben deshalb halte ich auch schon seit langem den Medienunterricht an den Schulen für ein Pflichtfach.

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Und warum bekommt das die Politik nicht in den Griff?

Das Kernproblem sehe ich in dem Versuch, die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte mit den Instrumentarien des 20. Jahrhunderts managen zu wollen. Da prallen zwei Welten aufeinander und das führt zu chaotischen Verhältnissen. Davon profitieren die Unternehmen wie Google, Facebook oder Youtube und da muss man ran. Es muss in der neuen Welt fair zugehen und nicht chaotisch.

Bild 2: "Soziale Medien sind zumeist nur Propaganda-Schleudern": Im Interview mit dem SÜDKURIER redet Spiegel-Online Starschreiber Sascha Lobo Klartext
Bild: Matthias 'mattness' Bauer

Man hängt aber auch an Gewohnheiten. Hat das Chaos seine Begründung darin, dass wir an alten Instrumentarien festhalten und uns nicht verändern wollen?

Das stimmt, und was das Mentalitätsproblem anbelangt, agieren wir in Deutschland auf sehr hohem Niveau. Auf der anderen Seite kann ich auch Positives an den Gewohnheiten oder der typischen deutschen Angst erkennen. Ein guter Wein verträgt nun einmal keine Revolution und gerade wenn man Baden-Württemberg und seinen funktionierenden Mittelstand anschaut, dann bewegt man sich damit im Prinzip seit 35 Jahren auf einer Welle des Erfolgs. Es ist verständlich und hat durchaus seine Berechtigung, wenn man bei der Digitalisierung vorsichtig agiert.

Dazu ein Beispiel: Die Sparkasse Hegau-Bodensee als führendes Geldhaus der Region stuft das Online-Banking als sicherer ein als klassische Arten des Zahlungsverkehrs. Ist da die deutsche Mentalität nicht kontraproduktiv?

Darauf gibt es, glaube ich, noch keine eindeutige Antwort. Es geht ja nicht nur um die Sicherheit des Zahlungsverkehrs, sondern auch um die Frage, wer im Fall des Betrugs versichert ist und wer nicht. Auch in diesem Bereich wird man sich etwas Neues einfallen lassen müssen. Und das Neue muss sich dann erst einmal bewähren.

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In diesem Zusammenhang: Würden Sie Bargeld abschaffen?

Auf keinen Fall. Ich bin ein Freund der Optionen und Bargeld ist eine Form der Absicherung, mit der man zum Beispiel um so etwas wie Negativzinsen herumkommt. Außerdem entstünden mit der Abschaffung des Bargelds weitere Datenspuren, die die Kontrollmöglichkeiten ausweiten würden.

Andererseits plädieren Sie für die flächendeckende Digitalisierung. Warum?

Die Bildungsministerin hat vor einiger Zeit gesagt, dass man 5G nicht an jeder Milchkanne benötige und diese Position halte ich tatsächlich für falsch. Die Digitalisierung ist auf dem Land ebenso erforderlich wie in Wirtschaftszentren. Selbstfahrende Landmaschinen beispielsweise gehören in anderen Teilen der Welt schon zum Alltag – aber es geht nicht nur darum. Die dezentrale Struktur Deutschlands mit seinem Föderalismus ist eine Stärke etwa im Vergleich mit hyperzentralisierten Ländern wie Frankreich. Der Erhalt der hohen Wirtschaftlichkeit hängt ganz wesentlich von den ländlichen Regionen ab. Hinzu kommt ein energiepolitischer Aspekt. Bei 5G lassen sich die Arbeitsmodule mit einer sehr viel höheren Energieeffizienz einsetzen. Es wäre fatal, dies nicht zu nutzen.

"Was ich Sascha Lobo schon immer fragen wollte? Wie lange es wohl dauert, die Frisur hinzubekommen." IT-Unternehmer und Influencer Felix ...
"Was ich Sascha Lobo schon immer fragen wollte? Wie lange es wohl dauert, die Frisur hinzubekommen." IT-Unternehmer und Influencer Felix Hummel ist Lobos Gesprächspartner beim Wirtschaftsforum in Singen. | Bild: Reto Klar

Apropos Effizienz. In Singen wird mit einem dreistelligen Millionen-Betrag in das neue Einkaufszentrum Cano investiert. Hat das angesichts des Internet-Handels überhaupt noch Sinn oder muss man das Zentrum schon bald wieder abreißen?

Ich gehe davon aus, dass man eher den Berliner Flughafen wieder abreißen muss. Es ist zwar sicher so, dass die Digitalisierung den Einzelhandel verändern wird. Und klar ist auch, dass der Einzelhandel den Kampf nicht über den Preis gewinnen kann. Aber in der Inszenierung des Einkaufserlebnisses in Kombination mit dem Service und gemeinsamer Plattformen halte ich ein erfolgreiches Upgrade des Einzelhandels für möglich.

Fokus Digitale Revolution: Das passiert kommende Woche beim Wirtschaftsforum

  • Das Streitgespräch: Mit Sascha Lobo sowie dem Influencer und Marketing-Experten Felix Hummel bietet das Wirtschaftsforum zwei führende Köpfe in der Diskussion um die Digitalisierung auf. Zu erleben sein wird das Duo am Donnerstag, 11. April, ab 19.30 Uhr in der Stadthalle. Moderiert wird der Abend vom stellvertretenden SÜDKURIER-Chefredakteur Jörg-Peter Rau. Zur Lebendigkeit der Veranstaltung trägt das Improtheater Konstanz bei, das die Ergebnisse auf spielerische Art zusammenfassen wird.
  • Die Kontrahenten: Sascha Lobo ist ein Spiegel-Online Kolumnist, der sich bereits als Buchautor, Blogger, Journalist und Werbetexter betätigt hat. Lobo wurde 1975 in West-Berlin geboren. An der TU Berlin studierte er Publizistik, an der Universität der Künste legte er sein Diplom in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation ab. Er teilt sich die Bühne mit Internet-Unternehmer Felix Hummel, der als Autor und Influencer Bekanntheit erlangt hat und sich besonders in den Bereichen Marketing und Webvideo auskennt.
  • Weiteres Programm: Nach dem Mittagessen um 12.30 Uhr hält Ralf Kluth, Geschäftsführer der Unternehmensberatungs-Gesellschaft Avura, um 13.30 Uhr einen Impulsvortrag. Seine These: "Die digitale Revolution stellt die Spielregeln grundlegend infrage, nach denen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur funktioniert haben." Am Nachmittag bietet das Wirtschaftsforum eine Reihe spannender Workshops. Wer schon immer wissen wollte, wie Hacker Kundendaten stehlen, Überweisungen oder Preise manipulieren, der kann sich bei Thomas Haase von T-Systems anhand realer Szenarien informieren. Ein weiteres Beispiel für die Praxisnähe der Workshops: Nils Passau, Geschäftsführer von Meteolytix, zeigt den Einsatz maschinellen Lernens am Beispiel mittelständischer Bäckereien.
  • Tickets: Die Teilnahme an Abendprogramm und am kompletten Wirtschaftsforum kann bei der Tourist Information Singen, Telefon (07731) 85504, sowie unter www. singencongress.de gebucht werden.