Der Scheffelhallen-Prozess hat mit einem Geständnis begonnen: Ein ehemaliges Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr hat beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Konstanz zugegeben, im November 2020 eine Papiermülltonne in unmittelbarer Nähe des Gebäudes angezündet zu haben. Das dabei entstehende Feuer habe laut Gutachten der Kriminalpolizei auf die Scheffelhalle übergegriffen und hatte diese vollkommen zerstört. Es ist nicht die einzige Brandstiftung, für die sich der Angeklagte jetzt vor Gericht verantworten muss. Laut dem Vorsitzenden Richter Marc Gerster habe der Mann im Zeitraum zwischen November 2020 und Januar 2021 drei weitere Papiermülltonnen – unter anderem am Blauen Haus in Singen und in der Hegaustraße – in Brand gesteckt.
Der Auftakt zum Scheffelhallen-Prozess beginnt mit einem schabenden Geräusch. Der 37-jährige Angeklagte wird mit Fußfesseln zu seinem Platz geführt, dabei klirrt die Fußfessel immer wieder auf den Holzboden. Sein Gesicht verdeckt er mit einer blauen Mappe. Äußerlich macht er einen gefassten Eindruck. Der Mann leidet nach eigenen Angaben an einer Persönlichkeitsstörung. Sein Anwalt Günter Manogg spricht von einer 70-prozentigen Behinderung. Dennoch wirkt er beim Verfahren völlig klar. Auch Richter Marc Gerster befindet nach den ersten zwei Stunden der Vernehmung, dass von einer Persönlichkeitsstörung nur sehr wenig zu bemerken sei. „Um ehrlich zu sein, hat man den Eindruck, dass sie ganz intelligente Dinge erzählen. Dinge, die wir hören wollen“, sagt er.

Ein Blick in das Vorstrafenregister des Angeklagten macht aber deutlich: Die vier Brandstiftungen, für die er sich jetzt verantworten muss, sind nicht die ersten. Der Angeklagte saß bereits von Januar 2013 bis April 2014 für 15 Monate in Haft. Er wurde verurteilt, nachdem er im Hegau die Scheune eines Bauernhofes angezündet hatte.
Doch wer ist der Angeklagte eigentlich? Vor Gericht erfährt man, dass er 1984 in Singen geboren wurde und mehrere Jahre im Hegau lebte. SÜDKURIER-Recherchen im Umfeld des Angeklagten zeigen, dass er schon in jungen Jahren immer wieder kleinere Feuer gelegt habe. So berichten mehrere Menschen aus seinem Umfeld, dass der Angeklagte bereits in seiner Jugend häufig gezündelt habe. Er war zudem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, musste den Dienst dort aber laut eigener Aussage quittieren.
Ein ehemaliger Mitschüler beschreibt den Angeklagten als ruhigen Menschen, der nicht viel zur Klassengemeinschaft beigetragen habe. „Was mir noch in Erinnerung ist: Er konnte einem nie in die Augen schauen“, sagt er. Zwei Jahre sei er mit ihm zur Schule gegangen. Nach der Schule hatte der Angeklagte mehrere Ausbildungen angefangen, allerdings nicht beendet. Über Anstellungen bei einer Zeitarbeitsfirma verdiente er seinen Lebensunterhalt.
Für den Angeklagten sind Feuer eine Befriedigung
Dass er seinen Dienst bei der Feuerwehr quittieren musste, lag laut Richter Marc Gerster daran, dass der Angeklagte immer wieder Fehlalarme selbst auslöste. Auch wenige Tage vor seiner Festnahme im April 2021 soll er laut dem Richter in einer Singener Sparkassen-Filiale auf den Feuermelder gedrückt und einen Fehlalarm provoziert haben. Warum er immer wieder zum Feuerzeug greift? „Das ist eine Art innere Befriedigung für mich, es musste einfach etwas brennen“, sagt er.

Der Angeklagte selbst beteuert vor Gericht, dass er die Scheffelhalle nicht absichtlich zerstört habe. „Ich wollte dies wirklich nicht“, betont er. Die Nacht vom 16. auf den 17. November schildert er wie folgt: Er habe sich mit seiner Ex-Freundin, die ihn wegen seiner Alkohol- und Spielsucht verlassen habe, und deren Freund getroffen. Danach sei er gestresst gewesen. „Ich habe wieder diesen Druck verspürt“, sagt er.
Angeklagter postet Film der brennenden Scheffelhalle
Zwar sei er erst nach Hause gegangen, habe dann aber noch einmal kehrt gemacht und sei zur Scheffelhalle gegangen. Dort habe er die Papiertonne angezündet. „Ich bin dann noch zwei oder drei Mal um die Halle herumgelaufen und habe noch einmal in die Tonne geschaut, dann bin ich wieder heim“, sagt er. Und ergänzt: „Ich dachte, das Feuer war aus.“ Erst in der Nacht habe er bemerkt, dass dem nicht so war: „Ich habe dann bei meinen Eltern angerufen und gesagt: Mama, die Scheffelhalle brennt.“ Danach sei das schlechte Gewissen gekommen und er habe sich nicht getraut, direkt zur Polizei zu gehen und sich zu stellen. Die Angst vor einer erneuten Haftstrafe sei zu groß gewesen. Explizit habe er sich die Scheffelhalle nicht ausgesucht. Laut eigenen Aussagen habe er keine persönliche Beziehung zur Halle gehabt. Besonders makaber: Am Abend nach dem verheerenden Feuer teilte der mutmaßliche Brandstifter auf seinem Facebook-Account ein Video der brennenden Scheffelhalle.
Vor Gericht beteuerte der 37-Jährige, dass er sein Leben nun ändern wolle: „Ich möchte einen Job und geregelte Strukturen. Ich will einfach, dass meine Eltern wieder stolz auf mich sind.“ Richter Marc Gerster nahm ihm das nicht ganz ab: „Sie kennen sich mit Feuer aus, Sie waren in der Feuerwehr“, sagte er. Dazu käme, dass er auch nach der Scheffelhallen-Katastrophe weitere Feuer gelegt habe. „Es ist unfassbar gefährlich, wenn man Schulterklopfer durch selbst gelegte Brände erzwingen will“, so Gerster.