Die aktuelle Situation mag täuschen: Zwar sinken die Inzidenzzahlen im Landkreis seit Tagen stetig. Trotzdem rollte die dritte Corona-Welle über die Intensivstationen in der Region hinweg. Die Lage im Gesundheitssystem bleibt ernst – auch im Singener Krankenhaus, wie Frank Hinder, Chefarzt des Instituts für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen, auf SÜDKURIER-Nachfrage bestätigt. Er beschreibt die aktuelle Lage so: „Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Beanspruchung noch einmal zugenommen.“ Auch weil neben der eigentlichen medizinischen Behandlung und Pflege die notwendigen Schutzmaßnahmen aufwendig und zeitraubend seien. Gibt es Grund zur Sorge im Singener Klinikum?

Die Lage im Klinikum in
Singen bleibt weiter angespannt

Chefarzt Frank Hinder macht keinen Hehl aus der derzeitigen Situation: „Aktuell ist die Lage noch angespannt.“ Da die Inzidenzwerte im Landkreis bis vor wenigen Tagen hoch gewesen seien, könne es sein, dass die Kapazitätsgrenze in den kommenden zehn bis 14 Tagen noch einige Male erreicht werde.

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Aber es gibt Grund zur Hoffnung: „Danach erwarten wir eine deutliche Entspannung, denn die Inzidenzwerte im Landkreis Konstanz sind am Sinken, weil die Impfungen voran schreiten und die Menschen sich testen lassen und so mithelfen, Infektionsketten zu unterbrechen. Wir haben also eine gute Perspektive“, betont Hinder. Im Singener Krankenhaus werden laut Hinder aktuell 24 Intensivbetten mit voller Beatmungsmöglichkeit auf zwei Intensivstationen vorgehalten. Dazu kommen noch sechs Betten der Schlaganfallabteilung, was einer Intensivüberwachungspflege entspreche. „Dort wird nicht beatmet, und diese Station wird nur für neurologische Patienten genutzt und ist meistens voll belegt“, so Hinder.

Chefarzt Frank Hinder: „Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Beanspruchung noch einmal zugenommen. Aktuell ist die Lage noch ...
Chefarzt Frank Hinder: „Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Beanspruchung noch einmal zugenommen. Aktuell ist die Lage noch angespannt.“ | Bild: Andrea Jagode

Von den 24 Intensivbetten werden in Singen bis zu zehn Betten für Corona-Patienten genutzt. „Schon wenn sich die Vollbelegung abzeichnet, machen wir strategische Verlegungen, um immer aufnahmebereit zu bleiben“, sagt Hinder. Denn sollte sich der Gesundheitszustand eines Patienten mit einer Corona-Infektion auf den Allgemeinstationen in Singen oder Radolfzell verschlechtern, müsse man in der Lage sein zu reagieren.

Das Gleiche gelte, wenn ein Patient in schlechtem Zustand in die Notaufnahme komme. „Haben wir freie Kapazitäten, übernehmen wir Patienten aus dem Cluster der Region Freiburg, zu dem wir gehören. Das waren in den letzten Tagen zum Beispiel Patienten aus Tuttlingen, als dort die Intensivstation voll war“, so Hinder. Auch als es vor zehn Tagen im gesamten Allgäu kein freies Intensivbett mehr gegeben habe, seien Patienten nach Singen verlegt worden.

„Wir kannten die Bilder
aus Italien und Frankreich.“

160 – dies ist die Anzahl an Patienten mit einer nachgewiesenen Corona-Erkrankungen, die auf der Intensivstation in Singen bis Ende April behandelt wurden. Davon seien laut Chefarzt Hinder 23 vom Singener Krankenhaus verlegt worden. 16 Patienten nach Freiburg, jeweils drei nach Konstanz und Donaueschingen und einer in die Kliniken in Sigmaringen.

Auch im weiteren Verlauf der Pandemie könne es zu Patientenverlegungen kommen. Die Verlegungen zwischen den Krankenhäusern erfolge je nach Zustand des Patienten mit einem Rettungstransportwagen oder mit Hubschrauber – immer in Arztbegleitung. „Dabei erfolgen in der aktuellen Situation die Absprachen noch bilateral zwischen den Krankenhäusern und wir erleben eine wirklich gute Zusammenarbeit. Alle wissen, worum es geht“, verdeutlicht Hinder. Bei einer möglichen Zuspitzung der Situation würden von einer zentralen Koordinierungsstelle in Freiburg Verlegungen in diejenigen Krankenhäuser veranlasst werden, die noch Intensivkapazitäten frei haben.

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Können größere Mengen an Intensivbetten im Singener Klinikum freigehalten werden? Auf diese Frage gibt es von Frank Hinder ein klares Nein. „Eine größere Anzahl an Intensivbetten freizuhalten, ist nicht möglich.“ Denn auch im Nicht-Covid-Bereich habe das Krankenhaus aufgrund seines Einzugsgebietes permanent aus allen Fachbereichen Bedarf für Intensivkapazität. „Dabei haben wir – wie auch viele andere Kliniken im Land – Operationen, die nicht dringlich sind und ein Intensivbett für die Nachsorge voraussetzen, schon verschoben“, so Hinder.

Hinder: „ Wir alle kannten die Bilder aus Italien und Frankreich.“

Trotz andauernder Pandemie und dem Arbeiten an der Kapazitätsgrenze in den deutschen Intensivstationen bleibt Frank Hinder optimistisch: „Bei uns herrscht ein guter Teamgeist. Wir arbeiten interdisziplinär und interprofessionell sehr gut zusammen, vertrauen einander, sind uns der Bedeutung der eigenen Arbeit bewusst und wir dürfen sehr stolz darauf sein.“ Als Corona ausbrach, seien alle Mitarbeiter und Kollegen an Bord geblieben, „obwohl man die Bilder aus Frankreich und Italien gesehen hatte und um das eigene Risiko wusste“. Zudem habe es kaum Krankmeldungen gegeben und auch die meisten aller Mitarbeiter auf der Singener Intensivstation seien in der Zwischenzeit bereits gegen Corona geimpft.