Arthur Kaminiski ist die Trauer sofort anzumerken. Hinter der FFP2-Maske, die vor dem Coronavirus schützen soll, ist nur wenig von seinem Gesicht zu sehen. Doch er gerät beim Erzählen von seiner Frau immer wieder ins Stocken, überlegt und erinnert sich. Kurz vor ihrem Tod hätten sie sich noch darüber unterhalten, wie schrecklich es sei, wenn Menschen einfach aus der Tür gehen und nicht wieder kommen. Und dann wurde Anja Kaminski-Paprosch zu genau so einem Menschen. Die 44 Jahre alte Frau aus Gottmadingen starb völlig unerwartet am 21. März. Impfgegner und Corona-Leugner nutzen ihren Tod, um im Internet ihre Behauptungen zu verbreiten, denn die Krankenschwester starb einige Tage nach einer Corona-Impfung.

Doch das geht der Familie zu weit: „Die sagen, sie hätten Informationen direkt aus dem Familienkreis. Doch das stimmt nicht“, sagt Claudia Fehringer, die ihrem Bruder in diesen schweren Tagen beisteht. „Das ist für mich pietätlos.“ Denn so einfach sei der Fall nicht.

Die Familie nimmt die Gefahr des Coronavirus ernst

Wer die Familie Kaminski in Gottmadingen besucht, soll sich erstmal die Hände desinfizieren. Die beiden nehmen das Risiko einer Corona-Erkrankung ernst. „Auch meine Frau hat immer aufgepasst“, sagt Arthur Kaminski. Sie habe im Hegau-Bodensee-Klinikum im Bereich der Inneren Medizin gearbeitet, aber nicht auf der Corona-Station arbeiten wollen. Anja Kaminski-Paprosch war Mutter von zwei Kindern und wollte ihre Familie schützen.

Das könnte Sie auch interessieren

Als es dann um eine schützende Impfung ging, hätten sie stundenlang darüber gesprochen, ob sie sich impfen lassen soll oder nicht. „Wir haben nie gedacht, dass Nebenwirkungen nur die anderen erwischen können“, sagt der 56 Jahre alte Familienvater. Ob sie tatsächlich an den Nebenwirkungen der Impfung starb, sei aber noch unklar.

Erst Schüttelfrost, dann ein Blutgerinnsel

„Ihr Immunsystem hat kollabiert“, benennt Arthur Kaminski, woran seine Frau am 21. März gestorben ist. Dabei sei es ihr nach der Impfung mit AstraZeneca anfangs gut gegangen. „Sie hatte keine Nebenwirkungen, außer dass es ihr ein bisschen kalt war.“ Dann habe sie nach einer Woche nachts starken Schüttelfrost bekommen. Das kann ein Symptom für eine Covid-19-Erkrankung sein, aber auch eine Nebenwirkung der Impfung. Also fuhr seine Frau weg, um einen Corona-Test zu machen. Weil zum Schüttelfrost noch Brustschmerzen kamen, sei sie weiter ins Klinikum gefahren – und kam nie wieder nach Hause.

„Ich wurde dann irgendwann ungeduldig, weil sie sich nicht gemeldet hat“, erinnert sich Arthur Kaminski. Bei einem Anruf im Klinikum habe man ihm gesagt, dass ihr ein Blutgerinnsel am Herz entfernt werden müsse. Danach habe es Probleme mit der Blutgerinnung gegeben, sagt Claudia Fehringer.

Die Familie war in Quarantäne statt am Krankenbett

Sie war die einzige, die ihre Schwägerin zu der Zeit besuchen konnte: Ehemann und Kinder waren als Kontaktpersonen in Quarantäne. Denn der PCR-Test war positiv, die inzwischen Verstorbene hatte sich mit dem Coronavirus infiziert. „Ich bin hier fast durchgedreht vor Sorge, weil ich Angst um sie hatte. Zu Recht, wie sich herausgestellt hat“, erinnert sich der 56-Jährige. Körperlich sei es seiner Frau soweit gut gegangen, nur Rückenschmerzen habe sie gehabt. Und ihr Blut war deutlich zu dünn.

Nach drei, vier Tagen in Singen wurde sie daher nach Freiburg verlegt. Dort hätten die Ärzte fieberhaft versucht, ihr zu helfen. Vergeblich. „Morgens hat sie noch geschrieben, dass sie uns liebt. Und dann habe ich nichts mehr von ihr gehört.“ Danach sei sie aufgestanden, um ins Bad zu gehen, und zusammengebrochen. „Das Herz war offenbar noch zu schwach“, sagt Claudia Fehringer. Trotz langer Reanimation hätten die Ärzte nichts mehr tun können. Als die Angehörigen in Freiburg eintrafen, war Anja Kaminski-Paprosch schon im künstlichen Koma und wenig später tot.

Einige Punkte wundern die Familie: Warum wird vor einer Impfung nicht getestet?

Der Witwer und seine Schwester haben viele Fragen. Sie halten für möglich, dass die Verstorbene schon am Coronavirus erkrankt war, bevor sie geimpft wurde – unentdeckt. Claudia Fehringer hält es für einen Fehler im System, dass vor einer Impfung nicht getestet wird. Denn wenn jemand erkältet sei, würde man ihm auch keine Grippe-Impfung geben. Ihre Schwägerin habe selbst um einen Schnelltest gebeten, dieser sei negativ ausgefallen – doch ein Schnelltest biete keine absolute Sicherheit. Andrea Jagode bestätigt als Pressesprecherin des Hegau-Bodensee-Klinikums auf Nachfrage, dass vor einer Impfung regulär kein Test stattfindet. Doch Mitarbeiter würden schon lange mindestens einmal pro Woche getestet.

Das könnte Sie auch interessieren

Eine Impfung stelle auch dann keine Gefährdung dar, wenn eine unbemerkte Coronavirus-Infektion vorliegt, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter Berufung auf die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts: „Die Verträglichkeit der Impfung wird durch eine unbemerkte Coronavirus-Infektion zu der Zeit der Impfung nicht negativ beeinflusst.“ Es könne nach der Impfung aber zu vorübergehenden stärkeren Impfreaktionen kommen.

Wurde Biontech wirklich verlost? Ja, das stimmt

Für Verwunderung sorgte auch, dass der Biontech-Impfstoff, der weniger Nebenwirkungen haben soll, unter dem Klinik-Personal verlost worden sei. Stimmt das? Ja, bestätigt Andrea Jagode. Die Kliniken hätten ein Kontingent an Impfterminen im Kreisimpfzentrum erhalten, wo Biontech geimpft wurde: „Die Termine, die dem GLKN [Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz] zugeteilt wurden, wurden im GLKN mit dem Zufallsgenerator vergeben, da nur so Chancengleichheit erzielt werden konnte. Das Verfahren war transparent über unseren Ethikkreis entwickelt worden und wurde gut akzeptiert.“ Dieses Terminangebot habe für Personal mit besonders hohem Risiko gegolten.

Das könnte Sie auch interessieren

Ist die Verstorbene eine Corona- oder Impf-Tote? Warum das keiner beantworten will

Ob Anja Kaminski-Paprosch als Corona-Tote oder möglicherweise Impf-Tote geführt ist? Ob das der erste Todesfall in der Region nach einer Impfung ist? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Ein Grund dafür ist, dass nach einer Obduktion in Freiburg noch kein Ergebnis bekannt ist. Ein anderer Grund ist die ärztliche Schweigepflicht: „Danach haben Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen“, sagt Andrea Jagode. Ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht könne neben berufsrechtlichen oder berufsgerichtlichen Maßnahmen auch Schadensersatzansprüche und sogar strafrechtliche Konsequenzen zur Folge haben.

Pressesprecherin: Es gab keine Impf-Komplikationen am Klinikum

Die Pressesprecherin erklärt aber allgemein, dass bislang keine Komplikationen von Klinik-Mitarbeitern nach einer Impfung bekannt seien. Es habe die erwarteten Impf-Reaktionen gegeben, dazu zählen ein schmerzender Impfarm, Müdigkeit, Schüttelfrost, Fieber oder Kopfschmerzen. „Knapp die Hälfte der geimpften Mitarbeiter hat nach der Impfung einen Tag gefehlt.“ Das sei aber eingeplant gewesen und der Betrieb dadurch nicht einschränkt. Manche Mitarbeiter hätten auch gar keine Reaktionen gezeigt.

Das könnte Sie auch interessieren

Wusste die Uniklinik Freiburg nichts von der Corona-Infektion?

Die Befürchtung der Angehörigen, dass eine Corona-Erkrankung der Verstorbenen nicht kommuniziert worden sei, dementieren beide Kliniken: „In dem von Ihnen erwähnten Fall war eine Corona-Infektion bekannt und die Patientin wurde isoliert behandelt“, erklärt Benjamin Waschow als Pressesprecher des Universitätsklinikums Freiburg. „Natürlich werden die nachfolgenden Kliniken bei Verlegung eines Patienten über den Gesundheitszustand des Patienten informiert. Diese Informationen stehen im Arztbrief an die aufnehmende Klinik“, sagt auch Andrea Jagode für das HBK.

Ihr Bedauern über den Tod der Krankenschwester hat das Klinikum in einer Todesanzeige zum Ausdruck gebracht: „Wir werden Frau Kaminski als engagierte, kompetente und zuverlässige Kollegin in Erinnerung behalten und sind dankbar für die vielen Jahre ihrer wertvollen Mitarbeit“, schrieb Bernd Sieber als Vorsitzender der Geschäftsführung.

Der Witwer will sich trotzdem impfen lassen

Ob Anja Kaminiski-Paprosch an oder mit Corona verstorben ist und welchen Einfluss die Corona-Schutzimpfung mit AstraZeneca hatte, soll eine Obduktion klären. Zurück bleibt ein völlig neuer Alltag, ein völlig neues Leben für ihren Mann und ihre beiden Söhne. „Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt Arthur Kaminski. Überall sei seine Frau präsent: Ein Bild von ihr in Schwarz-Weiß steht auf dem Küchentisch, ihre Wäsche hat er noch gewaschen und in den Schrank geräumt, auf dem Balkon saßen sie vor wenigen Wochen noch zusammen.

Doch er sagt auch: „Man kann niemanden beschuldigen. Wir müssen jetzt klar kommen mit der neuen Situation.“ Zum Impfgegner wird er nicht. Er lasse sich jedes Jahr gegen die Grippe impfen und habe das auch weiter vor. Auch gegen das Coronavirus will er sich impfen lassen – allerdings nur mit dem Wirkstoff von Biontech.

Das könnte Sie auch interessieren

Die meisten am HBK sind geimpft

  • Die Bereitschaft: „Mittlerweile wurden weit über 75 Prozent aller 3600 Beschäftigten im GLKN geimpft“, erklärt Andrea Jagode als Pressesprecherin des Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz auf Anfrage. Eine Impfung sei freiwillig, die Bereitschaft aber sehr groß. Jagode führt das auch auf die zahlreichen Informationsveranstaltungen zurück, die online über Impfungen und Impfstoffe aufgeklärt haben. Jeder, der eine Impfung wollte, habe sie auch bekommen. Statt zu beantworten, warum manche sich nicht impfen lassen wollen, lenkt Jagode den Blick auf die in ihren Augen gute Akzeptanz des Angebots: Mitarbeiter würden sich impfen lassen, „weil sie tagtäglich erleben, wie gefährlich eine Covid-19-Erkrankung ist und wie sinnvoll, nützlich, hilfreich und schützend die Impfung vor dieser Erkrankung ist.“
  • Der Impfstoff: Der Gesundheitsverbund habe nur mit AstraZeneca geimpft, weil das Land nur diesen Impfstoff zur Verfügung gestellt habe. Rund 25 Impftage habe es in den Kliniken gegeben, über 1900 Beschäftigte wurden dabei immunisiert. Dazu kommen rund 800 Beschäftigte, die sich extern mit Biontech haben impfen lassen.
  • Die Probleme: „Da sehr lange unklar war, ob und wie viel Impfstoff den Kliniken zur Verfügung gestellt wird, haben sich viele Mediziner und Pflegekräfte frühzeitig, also auch lange vor Eröffnung des Kreisimpfzentrums, selbstständig um einen Impftermin in einem der zentralen Impfzentren des Landes Baden-Württemberg bemüht“, erklärt Andrea Jagode. Die unklare Lage habe dazu geführt, dass Mitarbeiter bei winterlichen Bedingungen nach Tübingen, Freiburg, Ulm, Offenburg oder Stuttgart gefahren sind, um sich dort impfen zu lassen. „Sie wollten sich nicht auf die vage Zusage des Landes verlassen“, so die Pressesprecherin.