Die Impfungen nehmen zu – auch wenn die Termine rar bleiben. Vor allem Hausärzte treiben das Tempo voran. Das ist die Botschaft, die Arnulf Hamann ärgert. „Das läuft überhaupt nicht reibungslos“, sagt der Hausarzt aus Mühlhausen-Ehingen im Kreis Konstanz. Denn Hamann hat in dieser Woche gar keinen Impfstoff erhalten. Damit ist er nicht der Einzige. In der Region berichten mehrere Ärzte von demselben Problem.

48 Dosen, die maximale Anzahl, hat Hamann bestellt. Dass er weniger bekommt, damit hat er gerechnet. Die Apotheke sagte ihm für diese Woche 30 zu, Hamann verteilt Termine an seine Patienten, dann kommt die Absage der Apotheke. Keine Lieferung. „Das kann doch nicht sein“, schimpft er.
Die zuständige Apotheke antwortet schließlich mit einem Schreiben, das dem SÜDKURIER vorliegt. Eine Erklärung, wie es passieren konnte, dass die Lieferung nicht kam, hat auch sie nicht, verspricht aber, dass Hamann kommende Woche 30 Dosen bekomme. „Wir verstehen Ihre Verärgerung nur zu gut und sind selbst nicht glücklich mit der äußerst komplizierten, intransparenten und fehleranfälligen Organisation der Impfstoffversorgung“, heißt es in dem Schreiben.
Viele Hausarztimpfungen gemeldet
Dabei sprechen die Zahlen für sich. 192.719 Impfungen schafften die deutschen niedergelassenen Ärzte allein am Dienstag, in Baden-Württemberg waren es 23.376. Wie kann es da sein, dass einzelne Ärzte keine Lieferungen bekommen? Wir fragen beim Landesapothekerverband nach. Sprecherin Katina Lindmayer sagt dem SÜDKURIER, dass es aufgrund von Lieferengpässen insbesondere bei Astrazeneca in dieser Woche vereinzelt zu Problemen gekommen sein könne.
Die Impfstoffverteilung an die Arztpraxen läuft zentral über den Bund. Die Praxen müssen zwar ihren Bedarf bestellen. Die Mengen sind allerdings kontingentiert. Was da ist, geht an die Großhändler und von dort an die Apotheken, die die Arztpraxen beliefern.
Die Rückmeldungen der Ärzte seien positiv, betont Lindmayer. Das System sei komplex, funktioniere aber. Wie es dazu kommen konnte, dass Hamann gar keinen Impfstoff erhalten hat, kann auch sie sich nicht erklären. Spätestens ab kommender Woche, wenn größere Lieferungen eintreffen, sollten sich solche „Einzelfälle“ regulieren, ergänzt sie.
Aufwendige Beratungen
Für den Mühlhausener Hausarzt ist das kaum ein Trost. Weil er nicht beliefert wurde, musste er 30 Patienten wieder abbestellen. 30 Patienten, die er zuvor telefonisch beraten hat, damit er eine Einteilung vornehmen kann, für wen er Biontech und für wen er Astrazeneca bestellen muss. „Das ist ein irrer Aufwand“, schimpft der Arzt.

Etwa zehn Minuten pro Patient rechnet er für die Beratung. „Und am Ende sagen sie dann, sie überlegen es sich noch mal.“ Oder sie lehnten den Impfstoff direkt ab, teilweise unbegründet, sagt Hamann. „Sie pauschalieren dann einfach, dabei ist der Impfstoff für ältere Menschen problemlos geeignet“, so der Hausarzt. Dennoch: 75 Prozent seiner Patienten, die für Astrazeneca vorgesehen sind, lehnen den Impfstoff ab, so seine Schätzung.
Dann muss Hamann den nächsten anrufen. Mehr wie beraten kann er nicht. Der Impfstoff sei für über 70-Jährige unbedenklich, betont er noch einmal. Das Risiko, an der Krankheit zu sterben, ist seiner Einschätzung nach dagegen real. „Das sage ich auch meinen Patienten.“ Einige seien schon schwer erkrankt und müssten noch heute beatmet werden.
Nur noch Biontech für die Hausärzte
Dennoch berät Hamann gerne und geduldig – er ist froh, wenn er Impfstoff bekommt, egal welchen. Aber er braucht Planungssicherheit. Die könnte es ab kommender Woche geben. Denn dann sollen Hausärzte nur mit Biontech beliefert werden: Das hat das Bundesgesundheitsministeriums entschieden. „Biontech ist kein Problem“, sagt Hamann: „Den nehmen alle.“ Für ihn dürfte es viel Zeit sparen bei den Beratungsgesprächen.
Tatsächlich ist der Impfstoff aber schon jetzt deutlich stärker in Gebrauch. Biontech ist in den Praxen sogar der meist verabreichte Impfstoff. 278.902 Erstimpfungen sind allein im Südwesten mit Biontech in den Hausarztpraxen verabreicht worden, dagegen nur 13.303 Erstimpfungen mit Astrazeneca.
Handhabung mit Astrazeneca leichter
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg stecken Lieferengpässe dahinter. An der Haltung der Hausärzte zu dem Impfstoff liege es jedenfalls nicht, betont Sprecher Kai Sonntag auf Anfrage: „Viele Hausärzte, vor allem diejenigen, die bereits Erfahrung in einem Impfzentrum gesammelt haben, bevorzugen Astrazeneca.“
Das liege daran, dass der Impfstoff für die Ärzte leicht zu handhaben sei. Die Vorbereitung für die Impfstoffe sei einfacher und leichter lagerbar. Astrazeneca kann ohne Einschränkung im Kühlschrank gelagert werden kann, Biontech dagegen nur kurze Zeit.
Zudem sind laut Sonntag die Nebenwirkungen mit Astrazeneca geringer. Er betont: „Es gibt viele Patienten, die sehr pragmatisch sind, die froh sind, wenn sie geimpft werden können – egal womit.“ Der Impfstoff sei zu Unrecht ins Gerede gekommen, sagt Sonntag.
1,5 Millionen Dosen für die Hausärzte
Das Bundesgesundheitsministerium sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage, dass die Umstellung auf Biontech schlicht mit zusätzlichen Lieferungen zu tun habe: Der Hersteller habe als einziger zehn Millionen zusätzliche Dosen für das zweite Quartal angekündigt. „Allein von Biontech können die Arztpraxen deshalb im Mai mit wöchentlich über 1,5 Millionen Impfstoffdosen rechnen – im Juni mit deutlich über 3 Millionen, erklärt ein Sprecher des Ministeriums.
Verdopplung des Impftempos?
Das bedeutet, dass in der kommenden Woche „doppelt so viele Patienten von den Hausärzten geimpft werden wie in den drei Kalenderwochen zuvor“, ergänzt der Sprecher. Wegen der großen Mengen von Biontech werden die Arztpraxen deshalb in der nächsten Woche nur mit diesen Impfstoffen beliefert.
Allerdings mussten die Ärzte dafür neue Bestellungen aufgeben – Astrazeneca-Bestellungen wurden ersatzlos gestrichen, hieß es in einer Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung. Hausarzt Hamann sagt, er hat die Höchstmenge bestellt. Und hofft, dass er diesmal beliefert wird.