Er sollte ein Alarmsignal an die Bundes- und Landesregierung sein: Der Brandbrief, den Oberbürgermeister Bernd Häusler und Gerd Springe, Vorsitzender des Standortmarketingvereins Singen aktiv, an Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Winfried Kretschmann verfasst haben. Auch Tage nach dem Versenden des Schreibens stehen die beiden Verfasser zu dessen Inhalt. „Wir erhalten zunehmend die Rückmeldung, dass der Bogen schon sehr gespannt ist“, sagt Gerd Springe auf SÜDKURIER-Nachfrage.

Gerd Springe, Vorsitzender des Standortmarketingvereins Singen aktiv: „Wir erhalten zunehmend die Rückmeldung, dass der Bogen ...
Gerd Springe, Vorsitzender des Standortmarketingvereins Singen aktiv: „Wir erhalten zunehmend die Rückmeldung, dass der Bogen schon sehr gespannt ist.“ | Bild: Hanser, Oliver

Wieso der Brandbrief gerade jetzt zum richtigen Zeitpunkt verfasst wurde, macht OB Bernd Häusler deutlich: „Die Menschen haben geduldig die beschlossenen Maßnahmen mitgetragen und das seit mittlerweile einem Jahr. Doch die Opferbereitschaft kommt an ihre Grenzen, das spüren wir an allen Ecken und Enden.“ Es gehe um Existenzen. Die Sorgenfalten der Familien, Kinder, Schulen und Kitas, Vereine, einfach aller Lebensbereiche würden immer tiefer werden.

Bernd Häusler, Oberbürgermeister: „Die Opferbereitschaft kommt an ihre Grenzen, das spüren wir an allen Ecken und Enden.“
Bernd Häusler, Oberbürgermeister: „Die Opferbereitschaft kommt an ihre Grenzen, das spüren wir an allen Ecken und Enden.“ | Bild: Hans Noll

„Alle gehen so langsam auf dem Zahnfleisch, nicht wenige kämpfen ums blanke Überleben, immer in der Hoffnung auf einen Plan, eine Strategie der Regierung, die die Menschen schützt und trotzdem ein weitgehend normales Leben ermöglicht. Doch diese Hoffnung wurde nicht erfüllt“, so Häusler weiter. Die Intention sei gewesen, die akut bedrohliche Lage für den Singener Einzelhandel noch vor der Bund-Länder-Konferenz am vergangenen Mittwoch zu schildern.

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Für Thomas Kornmayer vom Modegeschäft Heikorn ist es ein richtiges und wichtiges Signal vom Singener Oberbürgermeister und Singen aktiv. „Der Brandbrief zeigt, dass unsere Sorgen zumindest vom OB und Herrn Springe ernst genommen werden“, sagt Kornmayer. Gegenüber dem SÜDKURIER sagt er, dass er mit den Ergebnissen der Konferenz zufrieden sei. Ob der Brandbrief dafür entscheidend beigetragen habe, wisse er nicht. „Aber es war ein klares Alarmsignal und das ist gut so“, sagt Kornmayer.

Thomas Kornmayer, Einzelhändler: „Das ist wie ein kleines Öffnen, wir müssen mit kleinen Dingen zufrieden sein.“
Thomas Kornmayer, Einzelhändler: „Das ist wie ein kleines Öffnen, wir müssen mit kleinen Dingen zufrieden sein.“ | Bild: Brumm, Benjamin

Öffnung ab Montag, 8. März, möglich

Die Beschlüsse aus der Konferenz sehen eine mögliche Öffnung des Einzelhandels ab 8. März abhängig vom Infektionsgeschehen vor. Bei einer Corona-Inzidenz von unter 50 darf ein Kunde pro zehn beziehungsweise 20 Quadratmetern in das Geschäft, abhängig von der Verkaufsfläche. Bei einem Inzidenzwert zwischen 50 und 100 ist Termin-Shopping im Einzelhandel möglich, also ein Kunde auf 40 Quadratmeter mit Terminvereinbarung. Bei einem Anstieg der Inzidenzzahlen ist in den Beschlüssen aber auch eine Notbremse vorgesehen, die für den Einzelhandel wieder einen kompletten Lockdown bedeutet.

Claudia Kessler-Franzen, Geschäftsführerin Singen aktiv: „Dies alles sind Zeichen für Öffnungen, aber sie sind abhängig von der ...
Claudia Kessler-Franzen, Geschäftsführerin Singen aktiv: „Dies alles sind Zeichen für Öffnungen, aber sie sind abhängig von der Landesverordnung.“

Claudia Kessler-Franzen, Geschäftsführerin von Singen aktiv, rechnet die Situation anhand eines Beispiels vor: Wenn ein Geschäft eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern habe, dürfen 80 Menschen zum Einkaufen rein. Hat der Laden 1000 Quadratmeter, kommen zu den 80 Menschen noch einmal zehn dazu. Kessler-Franzen betont aber auch. „Dies alles sind Zeichen für Öffnungen, aber sie sind abhängig von der Landesverordnung“, sagt sie.

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Die Situation bleibt trotz Öffnungs-Szenario anspruchsvoll

Viele Händler würden am Montag starten und so schnell wie möglich in ein normales Fahrwasser, inklusive Öffnung der Gastronomie kommen wollen. Aber: Für die Händler bleibe die Situation weiter anspruchsvoll, da die Öffnungsszenarien für einige Händler aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sein werde. „Natürlich werden diese Beschlüsse Entlastung bringen, aber der Einzelhandel wünscht sich konkretere Öffnungsbedingungen, denn so ist das alles nicht mehr als Kaffeesatzleserei“, so Kessler-Franzen weiter.

Ein Licht am Ende des Tunnels für die Einzelhändler

Bei den Einzelhändler selbst sorgen die in Aussicht gestellten Öffnungen zumindest für ein leichtes Aufatmen. „Das ist wie ein kleines Öffnen, wir müssen mit kleinen Dingen zufrieden sein“, sagt etwa Thomas Kornmayer. Die ersten Terminanfragen seien für sein Modegeschäft schon eingegangen. Auch Alexander Kupprion von Sport Müller ist ob der möglichen Öffnung des Einzelhandels am 8. März gedämpft optimistisch. „Die Politik hat endlich reagiert. Das ist ein kleines Licht am Ende des Tunnels“, sagt er.

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Allerdings sei die Öffnung gerade mit Blick auf Terminvereinbarungen auch mit einem enormen Mehraufwand verbunden. Gerade das Termin-Shopping sei für große Geschäfte schwer umsetzbar. Kupprion kalkuliere aktuell Beratungsgespräche mit maximal 15 Kunden zeitgleich im Laden für eine Dauer von 45 Minuten. „Das ist alles Neuland, aber wir werden es jetzt einfach probieren“, gibt er sich hoffnungsvoll.

Die Sache mit der OB-Wahl im Sommer

OB Bernd Häusler und Gerd Springe senden in ihrem Brandbrief nicht nur ein Alarmsignal aus dem Singener Einzelhandel. Sie kritisieren auch, dass die Parteien im Zuge der Landtagswahl die Corona-Krise für den Wahlkampf nutzen. Aber da war doch was: Auch in Singen wird 2021 ein neuer Oberbürgermeister gewählt. OB Häusler nimmt dazu Stellung.

Herr Häusler, was entgegnen Sie Bürgern, die sagen, dass man den Brandbrief auch als Wahlkampf sehen könnte?

„Wenn es danach geht, dann befinde ich mich seit acht Jahren im Wahlkampf. Dieser Brief ist nur einer von vielen, den ich im Laufe meiner Amtszeit verfasst habe, zu den unterschiedlichsten Themen wie Kiesabbau im Dellenhau, Klappenauspuff, Karstadt-Schließung, Ungleichbehandlung des Handels nach dem ersten Lockdown durch Quadratmeter-Begrenzung, Petition Gastronomieschließung zweiter Lockdown, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Es ist mein Verständnis als Singener Oberbürgermeister, Themen oder Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, auf Missstände hinzuweisen, Verbesserungsvorschläge einzubringen und die Bürgerinnen und Bürger, sowie alle Akteure unserer Stadt zu vertreten. Denn wir sind hier vor Ort direkt an den Menschen, müssen die Entscheidungen umsetzen und immer wieder feststellen, dass gut gemeint noch lange nicht gut gemacht ist.“