Herr Wöhrle, wie ist die Stimmung im Singener Handel, der schon seit Mitte Dezember Corona-bedingt die Geschäfte schließen musste?

Die Stimmung ist wie auch in den anderen Städten sehr angespannt. Hätte ja niemand geahnt, dass diese zweite Welle so eine lange und hohe Welle verursacht. Es geht jetzt wirklich vielen an die Substanz.

Was erwarten die Einzelhändler von den neuesten Beschlüssen von Bund und Ländern am Mittwoch?

„Wir erwarten nun eine klare Entscheidung und Strategie, wann die Geschäfte und Gaststätten wieder öffnen dürfen, sonst werden wir ungehalten und dagegen angehen, notfalls über Klagen. Eine Öffnung ab 8. März oder eine Woche später wäre eminent wichtig.

Gibt es Geschäfte, deren Existenz akut gefährdet ist?

Es gab schon vor der Pandemie Geschäfte, deren Konzepte im stationären Handel schwierig waren. Das hat sich jetzt wie ein Brandbeschleuniger verstärkt. Die Existenz von Geschäften – wie in der Bekleidungsbranche – ist stark bedroht, je länger die Schließungen dauern. Die Gewinner waren jene, die schon vor Jahren Online-Geschäfte getätigt haben.

Hatten diese Geschäfte auch schon vor Corona Probleme?

Ja, viele Geschäfte vor allem in der City hatten schon vor Corona Probleme, da die Frequenz durch vermehrte Online-Tätigkeiten zurückging. Deshalb ist es um so wichtiger, dass sich die Einkaufsstädte immer wieder fragen: Was können wir besser machen? Dazu gehört eine gute Kombination von Städtepolitik in Verbindung mit dem Handel, Gastronomie, Kultur, aber auch Dienstleistung. Hier steht an oberster Stelle die Aufenthaltsqualität. Der Bummelfaktor in Verbindung mit toller Urbanität ist das, was die Menschen in die Städte bewegt. Und da können wir als Einkaufsstadt wirklich punkten.

Der wichtige Umsatz vor und Weihnachten ist weggebrochen. Lässt sich das Minus durch die Schließung noch aufholen oder vermindern?

Ja. Ab dem 2. November wurde die Gastronomie geschlossen und die Menschen ermahnt, am besten zuhause zu bleiben. Bei allem Verständnis für die Gesunderhaltung bedeutete es doch für den Handel 30 Prozent Umsatzverlust. Ab 16. Dezember wurde der Handel ganz zugemacht. Es gab immer wieder Lockdown-Verlängerungen. Es blieb somit die Winterware größtenteils unverkäuflich. Und jetzt kommt die Frühjahrsware, die ja immer etwa ein halbes Jahr zuvor bestellt werden muss und auch finanziell fällig wird. Jetzt haben wir Anfang März, die Frühjahrsware ist da und wir haben noch geschlossen.

Hat das Clic & Collect (Bestellen und Abholen) einzelnen Händlern geholfen?

Es ist für viele Händler ein Tropfen auf den heißen Stein. Gerade Mode-, Schuh- oder Sporthandel sind auf beraten, anprobieren und auswählen angewiesen. Da funktioniert Clic & Collext in den wenigsten Fällen. Online-Handel ist für stationäre Händler, mit Ausnahme des Buchhandels, schwierig.

Müssen sich die Geschäfte anders aufstellen, wie etwa durch die Intensivierung des Online-Handels?

Für unsere Branche ist die Digitalisierung wichtig. Deshalb ist eine gute Homepage heutzutage mit entscheidend für den Erfolg eines Geschäfts. Der stationäre Handel muss sich auf seine Stärken berufen: Gute Qualität, super Beratung, den Kunden als Partner sehen, und Fachgeschäfte sollten sich auf ein bestimmtes Segment spezialisieren. Der Kunde muss wissen, was ihn im jeweiligen Geschäft erwartet.

Wie groß sehen Sie die Wettbewerbsverzerrung durch die Internetriesen?

Die Innenstädte leiden darunter, weil die Online-Bestellungen nicht nur für die Jugend sehr bequem geworden sind. Es ist aber auch Sache der Politik, hier etwas zu ändern, gerade bei den ganz großen internationalen Onlinehändlern. Sie sollten stärker zur Kasse gebeten werden. Wir wollen und können sie nicht abschaffen, man sollte jedoch dafür sorgen, dass sie auch einen Anteil an der Steuerlast tragen, wie jeder städtische Händler.

Gibt es auch Fälle, bei denen Kunden klar sagen, wir stehen zum lokalen Handel?

Es gibt etliche Kunden, die sich freuen, wieder in die Geschäfte zu gehen und zu kaufen. Ich bin auch sicher: Wenn die Lage entspannter wird, wird es der Kunde wieder wertschätzen, in die Läden zu gehen und sich beraten zu lassen. Zumal auch ein Nachholbedarf besteht.

Nun dürfen Geschäftszweige, wie Blumenhandel, wieder aufmachen. Und größere Einkaufsmärkte können ohne Unterbrechung auch Artikel aller Gattungen außerhalb von Lebensmitteln, wie Bekleidung, verkaufen. Wie bewerten Sie dies und wie Ihre Kollegen, die Fachgeschäfte betreiben?

Da besteht eine Wettbewerbsverzerrung. Das verstehen die Menschen nicht, wenn ein Geschäft 60 Prozent Lebensmittel oder systemrelevante Waren verkauft, dass dann zum Beispiel Kleider, Schuhe, Spielwaren, Sportartikel, Elektronik, und so weiter angeboten werden dürfen. Soll es da weniger Gefahren von Infektionen geben als im Fachgeschäft mit gutem Hygienekonzept und Absperrung?

Der Schweizer Einzelhandel darf weitestgehend wieder öffnen. Sind Sie in Sorge, dass die vielen Kunden aus der Schweiz nun größere Käufe, die in Singen geplant waren, in ihrem eigenen Land tätigen?

Die Schweizer sind wichtige Kunden in unserem Gebiet. Die Umsätze belaufen sich zwischen 15 und 20 Prozent an den Gesamteinnahmen. Ich denke, dass dieses Klientel sich auch wieder freut, wenn sie bei uns einkaufen dürfen. Sie haben immer noch einen großen Vorteil, wie die Rückerstattung der Mehrwertsteuer, aber auch ein großstädtisches Angebot.

Hat der Singener Handel einen Vorschlag, wie sich die Geschäfte wieder möglichst coronagerecht öffnen lassen?

Wir sind ständig im digitalen Dialog mit dem Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler und den Funktionären des Singener Handels, um an Konzepten zu arbeiten, wie wir wieder öffnen dürfen. Eines ist auch schon bei der Kanzlerin angekommen: Durch Schnell- und Eigentests gibt es Möglichkeiten zur schnelleren Öffnung.

Fragen: Albert Bittlingmaier