Die Bilder gleichen sich seit Wochen. Jeweils am Montag gehen sogenannte Spaziergänger deutschlandweit auf die Straßen, um gegen die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern zu demonstrieren. Auch in Singen und dem Hegau waren sie am Montag gegen 19 Uhr wieder mit einem Protestzug unterwegs. Mit Trillerpfeifen und Protestrufen zogen sie in Singen durch die Innenstadt. Aber drei Umstände sind an diesem Montagabend in Singen anders als sonst.
2000 Protestierende in Singen
Die Protestierenden werden immer mehr. Laut Polizeiangaben lag die Zahl der Teilnehmer am Montag bei mehr als 2000 Menschen.
Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Montag, 17. Januar, nahezu verdoppelt. Denn vor einer Woche gingen laut Polizeiangaben rund 1100 Menschen auf die Straße, um sich dem Protestzug anzuschließen.
Erneut lässt die Anzahl von mehr als 2000 protestierenden Menschen in Singen aufhorchen, auch mit Blick auf andere Städte und Gemeinden im Landkreis Konstanz. Denn schon wieder gehen in Singen besonders viele Menschen auf die Straße.

Zum Vergleich: In Konstanz nahmen laut Polizeisprecher Dieter Popp 750 Menschen an dem Protestzug teil, in Radolfzell waren es etwa 600. Auch in weiteren Hegau-Gemeinden waren zeitgleich Protestierende unterwegs. Auffällig war auch, dass am Montagabend zahlreiche Handzettel der Alternative für Deutschland (AfD) auf den Frontscheiben der Autos entlang des Umzugsweges verteilt wurden.
Eine Mahnwache am Rathaus
Zum ersten Mal sind die sogenannten Spaziergänger auf dem Rathausplatz, wo sie sich immer für ihren abendlichen Protestzug treffen, von Teilnehmern einer Gegen-Aktion begrüßt worden. Dem Aufruf von Initiatorin Birgit Schinkel zu einer Mahnwache sind laut Polizeiangaben etwa 50 Menschen gefolgt. Darunter auch Vertreter aus dem Singener Gemeinderat. „Es ist an der Zeit, dass die Mehrheit, die sonst ruhig ist, Kante zeigt“, betonte Schinkel.

Mit der Aktion wolle sie ein Zeichen dagegen setzen, dass rechte Kräfte sich an die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen dranhängen. Sie könne allerdings verstehen, wenn Menschen Angst vor einer Impfung haben. Dennoch müsse auch bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen jemand da sein, der die Verantwortung übernehme: „Warum meldet keiner die Spaziergänge an? Das ist doch absolut feige“, so Schinkel. Sie sei stolz darauf, dass 50 Menschen gereicht hätten, um die sogenannten Spaziergänger zu vertreiben. Denn diese hatten sich zum ersten Mal nicht direkt am Rathausplatz getroffen, sondern kamen in kleineren Gruppen aufgeteilt zusammen.
Auch Hans-Peter Storz, Landtagsabgeordneter der SPD, war Teil der Mahnwache. Auch er spielt auf die bewusste Anonymität der sogenannten Spaziergänger an: „Wir wollen zeigen, dass wir uns trauen, mit unserer Haltung an die Öffentlichkeit zu gehen, und uns nicht hinter dem Mantel der Anonymität verstecken.“ Er sei sich sicher, dass die absolute Mehrheit der Bürger hinter den Corona-Maßnahmen stehe. Stadträtin Karin Leyhe-Schröpfer (Grüne) sieht das ähnlich: „Die Spaziergänger sind eine laute Minderheit. Es wird Zeit, dass wir zeigen, dass wir die Mehrheit sind.“
Die Polizei schaut genauer hin
Wie Polizeisprecher Dieter Popp mitteilte, verlief der sogenannte Spaziergang in Singen friedlich: „Es gab keine besonderen Vorkommnisse, die Veranstaltung blieb ruhig“, sagte er. Allerdings sei es an diesem Montagabend in Singen zu teilweise erheblichen Verkehrsbehinderungen durch den Protestzug gekommen.
Eine Szene am Esso-Kreisel verdeutlicht dies am besten: Dort wird ein in den Kreisverkehr einfahrendes Auto plötzlich von der Menschenmasse umringt. Zwar passieren die Protestierenden das Fahrzeug friedlich, doch genau solche Szenen bergen für die Polizei Gefahrenpotenzial, wie Polizeisprecher Dieter Popp schildert: „Die sogenannten Spaziergänger laufen willkürlich und das macht die Sache schwierig für uns.“

Da die Polizei weder einen Verantwortlichen noch die Route kenne, könne sie keine entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen treffen. „Bei einer angemeldeten Versammlung können wir es so steuern, dass der Verkehr nicht beeinträchtigt wird. Da dies strikt umgangen wird, kann es zu solchen Gefahrensituation kommen“, so Popp weiter.

Allgemein kündigte Polizeisprecher Dieter Popp an, dass die Polizei künftig bei den Protestzügen intensiver vorgehen werde. „Wir nehmen die Rädelsführer genauer ins Visier, wir erkennen die mittlerweile in der Menge“, sagte er. Zudem sollen Verstöße gegen die Maskenpflicht konsequenter geahndet werden. Laut Popp wurden im Landkreis Konstanz am Montag vier Strafverfahren und 40 Identitätsermittlungen gegen sogenannte Spaziergänger eingeleitet, 29 Verstöße gegen die Maskenpflicht geahndet und 17 Platzverweise erteilt. „Die Polizei agiert, aber wir versuchen bei allen Veranstaltungen zu deeskalieren“, so Popp.