Zwei junge Männer auf Raubzügen in Singen. Sie holen sich nicht nur Wertsachen, einer verletzt bei zwei Taten zwei Opfer mit Waffen am Kopf. Ein bisher völlig unbescholtener 18-Jähriger fährt mit dem Auto seines Vaters die „Verbrecher“, wie es Richter Franz Klaiber ausdrückt, vor und nach den Taten. Er will sich keine Gedanken gemacht haben, auch nicht als einer der Täter mit einem blutverschmierten Radschlüssel, mit dem er eben einen Mann niedergeschlagen hat, für Fotos posiert. Wie war das alles möglich?
Diese Frage steht im Zentrum eines Prozesses, in dem sich der Angeklagte in Konstanz vor dem Jugendschöffengericht wegen Beihilfe zu schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung verantworten muss. Es geht um Taten im September und im November 2022 nahe einer Diskothek in Singen. In beiden Fällen hat der Angeklagte die inzwischen zu Haftstrafen verurteilten Räuber vor und nach den Taten mit dem Auto gefahren.
Beklagter schreibt Entschuldigungsbriefe
Der heute 20-Jährige schüttelt über sich selbst den Kopf. „Wieso habe ich nicht Nein gesagt?“ Er schäme sich jeden Tag dafür. Er räumt weitgehend die Tatvorwürfe ein, will aber nicht gesehen haben, dass einer der Täter auch Waffen hatte. Er hat Entschuldigungsbriefe an die Opfer geschrieben. Der Angeklagte ist Ministrant und Sportler im Verein. Er kommt aus einer intakten Familie. Er wohnt in seinem Kinderzimmer. Er hat Schulabschlüsse, wenn auch die Ergebnisse unter seinen Möglichkeiten liegen, wie Theo Rüttinger von der Jugendgerichtshilfe sagt.
Dieser streicht heraus, dass der Angeklagte sehr hartnäckig sei, um die Taten durch einen Finanzbeitrag auszugleichen. Er wolle deshalb 100 Arbeitsstunden ableisten, 50 habe er schon hinter sich. Er habe sich dabei als sehr zuverlässig gezeigt, auch als das Wetter schlecht war, und ihm das Wasser aus den Schuhen lief. Der Angeklagte wolle bald für ein halbes Jahr im Schichtbetrieb bei einer Firma arbeiten. Danach könne er eine Ausbildung beginnen. Rüttinger schlägt ein Sozialtraining vor, damit der 20-Jährige Empathie und Mut entwickle, auch mal Nein zu sagen.

Zwischen dem Leben des Angeklagten und den grausamen Taten klafft eine riesige Kluft. Im ersten Fall kündigen die Täter an, „Geld machen“ zu wollen, wie der Angeklagte sagt. „Ich wusste nicht, dass die auch Gewalt anwenden.“ Die beiden ziehen Sturmhauben über und gehen los. Einer hat eine Schreckschuss-Pistole dabei. Mit dieser versetzt er zwei Opfer in Todesangst. Die Täter fordern Wertsachen. Ein Opfer zögert. Der bewaffnete Täter schlägt mit der Pistole auf den Kopf des Mannes. Dieser erleidet unter anderem eine Schädelprellung und eine Platzwunde, die genäht werden muss. Der Wert der Beute rund 1300 Euro. Danach, so berichtet der Angeklagte, fahren die Täter gemeinsam mit ihm in ein Burger-Restaurant, und laden ihn ein.
Nach Raubzug folgt Einladung
Im zweiten Fall nimmt der Angeklagte die Täter schon ab Konstanz mit. Beide seien sehr betrunken gewesen, einer davon gereizt und sauer. „Er war nicht so gut drauf.“ Am Industriebahnhof in Singen habe er geparkt. Das Auto eines der Täter sei etwa fünf bis zehn Meter entfernt gestanden. Er habe gesehen, wie einer der beiden etwas aus diesem Wagen holte, aber nicht was. Er habe vermutet, dass es sich um eine Jacke handelt. In Wirklichkeit war es ein Radschlüssel. Die beiden hätten gesagt, sie wollten noch jemanden treffen. Er habe gewartet. Während dessen ereignet sich Dramatisches. Ein Räuber bedroht mit dem Radschlüssel einen Mann, er schlägt ihn am Kopf, das Opfer verliert das Bewusstsein.
Die Täter kommen zurück zum Wagen des Angeklagten. Dieser sagt, er habe den blutverschmierten Radschlüssel gesehen. Sie hätten ihm auch erzählt, dass ein Mensch damit am Kopf geschlagen wurde. Richter Klaiber möchte wissen: „Haben Sie gefragt, was mit dem Opfer ist?“ Der Angeklagte verneint: “Ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt.“ Klaiber erinnert an die stark blutende Kopfverletzung des Mannes, der um fünf Uhr morgens am Straßenrand lag: „So wie der geschlagen wurde, hätte er auch vor sich hinsterben können.“
Richter folgt Antrag der Staatsanwaltschaft
Das seien „erhebliche Verletzungen, das kann man nicht kleinreden“, stellt Verteidiger Thomas Röder fest. Er sagt, damals sei die Persönlichkeit des Angeklagten noch nicht gefestigt gewesen. Aber er habe Verantwortung für die Tat übernommen und sei um Wiedergutmachung bemüht. Er schlage eine Zahlungsauflage vor. Staatsanwältin Morgenthal sagt: Dem Angeklagten hätte klar sein müssen, dass die enormen Verletzungen im zweiten Fall zum Tode hätten führen können. Sie hält vor Augen, dass nur „Klimmzüge“ eine Verurteilung nach dem Strafrecht für Erwachsene verhinderten. Denn nach diesem würde eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren drohen, die keine Bewährung zulässt. Sie plädiert schließlich für acht Monate Jugendstrafe und die Aussetzung auf Bewährung.
Richter Franz Klaiber sagt bei der Urteilsverkündung, man folge den Ausführungen der Staatsanwältin. Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt offenbar nicht reif genug gewesen, um sich von den Tätern klar abzugrenzen. Man glaube ihm, dass er keine Details gewusst habe, aber er habe sich auch nicht danach erkundigt. „Sie waren nicht in der Lage, Empathie zu entwickeln“, und entsprechend zu handeln. Er und die Schöffen hätten überlegt, ob es sinnvoll wäre, dem Angeklagten für einige Zeit die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Doch ohne Führerschein wäre es ihm kaum möglich, dem Schichtbetrieb einer Firma im Hinterland nachzugehen. Nur aus diesem Grund habe man davon abgesehen. Klar sei: Der Angeklagte habe die Fahrerlaubnis missbraucht, um zwei Verbrecher bei erheblichen Straftaten zu unterstützen. Weiter stellt Klaiber fest: Der 20-Jährige sei jetzt durch die Bewährung für zwei Jahre unter Beobachtung. Wenn er aber alle Auflagen erfülle, straffrei bleibe, wovon alle ausgehen, und sich dem Trainingskurs unterziehe, sei die Tat gesühnt. Die Verurteilung tauche auch nicht im Führungszeugnis auf. „Es gibt dann keinen Grund mehr, sich jeden Tag schämen zu müssen.“