Ein Kästchen nach dem anderen füllt den Bildschirm; Kollegen und Kolleginnen begrüßen sich freundlich und die Stimmung ist heiter, aber das Thema ernst: Beleidigungen, Hass und Hetze im Internet begegnen uns immer häufiger im Alltag. Die Expertinnen Anna Wegscheider und Cordelia Moore klären ihr digitales Publikum, darunter viele Schulsozialarbeiter, über die Gefahren des Netzes auf und zeigen wie man damit am besten umgehen kann.

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Cordelia Moore freut sich, denn Baden-Württemberg sei eines der Bundesländer, die am aktivsten gegen das Thema digitale Gewalt vorgehen. Auch Marcel Da Rin, Leiter der Stabstelle Kriminalprävention in Singen, weiß, dass der Fachtag zu Digitaler Gewalt nur durch das Förderprogramm „Demokratie Leben“ möglich ist. Es sei wichtig, über die Gefahren des Internets aufzuklären und den Ansprechpartnern für Kinder und Jugendliche, Handlungsempfehlungen und Kompetenzen zu zeigen, betont er.

Unlängst hatte auch der SÜDKURIER im Rahmen der Veranstaltung zu „25 Jahre Klasse!“ das Thema Fake News vor mehr als 500 Schülern und Lehrern in der Stadthalle in Singen aufgegriffen.

Die Digitalisierung der Gewaltformen

Eine gute Nachricht für die Sozialarbeiter: „Alle Beratungskompetenz, die Sie schon mitbringen, ist die Basis. Das Einzige was hinzukommt, ist die Digitalisierung – also technische Verständnisse und vielleicht auch rechtliche Aspekte“, erklärt Moore. „Es ist eine Digitalisierung von Gewaltformen, die sowieso schon in unserer Gesellschaft existiert haben. Es ist keine neue Form von Gewalt“, führt sie fort. Man müsse sich also nicht in ein neues Thema einarbeiten, meint die Beraterin für digitale Gewalt. Man solle allerdings nicht davon ausgehen, dass es sich bei digitaler Gewalt nur um psychische Gewalt handle, betont sie. „Oft ist es auch mit physischer und sexualisierter Gewalt verbunden“, weiß die Expertin.

Digitale Plattformen sind Teil der realen Welt

Eine wichtige Grundlage der Beratung sei es, den digitalen Raum auch als einen realen Raum anzuerkennen, meint Moor. „Jedes Gefühl, wenn man einen Hasskommentar liest, ist ein reales Gefühl, insofern ist es ein auch reales Erlebnis“, erläutert sie. Aber das Netz hat nicht nur schlechte Seiten: „Das Internet und digitale Medien sollten immer auch als Raum der Möglichkeiten für enge soziale Interaktionen gesehen werden“, meint Cordelia Moore. „Ich höre oft, es sei doch besser, wenn wir gar keine sozialen Medien mehr hätten“, erzählt sie.

Cordelia Moore arbeitet als Beraterin zu geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt. Sie bildet Fachkräfte im Umgang mit Cyberstalking und ...
Cordelia Moore arbeitet als Beraterin zu geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt. Sie bildet Fachkräfte im Umgang mit Cyberstalking und digitaler sexualisierter Gewalt aus. Betroffene unterstützt sie durch eine kombinierte psycho-soziale und technische Beratung. | Bild: Simon Vogler

Die Beraterin sieht die Sache allerdings anders: „Ich glaube, man muss da etwas mehr ausdifferenzieren und Kinder und Jugendliche dabei unterstützen die Vorteile gut auszunutzen, ohne dabei von den Nachteilen gefährdet zu sein“. Denn es sei nicht das Ziel, die Leute vom Internet fernzuhalten, betonen die beiden Expertinnen Cordelia Moore und Anna Wegscheider immer wieder: „Digitale Medien sind nicht nur ein Raum von Gewalt, sondern vor allem auch ein Raum sozialer Kontakte und der Entwicklung Jugendlicher“, weiß Moore.

Es ist kein rechtsfreier Raum

„Es wird oft gesagt, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. Das ist natürlich falsch. Man kann im Internet nicht tun und lassen, was man will“, sagt Moore. „Es gibt diverse Möglichkeiten, es auch strafrechtlich zu verfolgen“, führt sie fort. Auch Anna Wegscheider, als Juristin bei der gemeinnützigen Organisation „HateAid„ aktiv, stimmt dem zu. Sie betont auch die Wichtigkeit einer Anzeige im Falle digitaler Gewalt „Nur etwa ein Prozent der Betroffenen von digitaler Gewalt bringen dies zur Anzeige“, weiß Wegscheider. Dabei würden mehr Anzeigen als Prävention fungieren und einen Abschreckungseffekt erzeugen: Es halt andere davon ab, Täter zu werden, und wirke einem Effekt entgegen, den die Experten Silencing (auf Deutsch „Zum Schweigen bringen“) nennen. „Das führt dazu, dass Personen sich nicht mehr trauen, die eigene Meinung im Netz zu teilen, aus Angst davor Hasskommentare zu erfahren“, erklärt die Expertin. Fast jede zweite Person sei davon betroffen, weiß die Juristin.

Schutzkonzepte sind die Basis

„Die eigentlicheDie Grundlage für Schulen ist ein Schutzkonzept, an dem man sich entlang hangeln kann, wenn so ein Fall aufkommt“, erklärt Moore. In immer mehr Bundesländern würde es auch verpflichtend, Schutzkonzepte zu digitaler Gewalt einzuführen, weiß die Beraterin. Für die Leiterin der Schulsozialarbeit in Singen, Marietta Schons, ist ein Schutzkonzept keineswegs ein Fremdwort. „Wir arbeiten daran seit September letzten Jahres“, berichtet sie. Das Schutzkonzept enthalte viele präventive und intervenierende Maßnahmen und stelle ein Leitbild für Jugend- und Schulsozialarbeit dar, erklärt sie. „Wenn wir das Schutzkonzept verabschieden, ist es noch nicht fertig, denn wir müssen immer wieder schauen, ob es noch aktuell ist und gegebenenfalls wieder anpassen“, weiß Schons.

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Hier gibt es Hilfe

Cordelia Moore machte während des Vortrags auf viele verschiedene Anlaufstellen aufmerksam. Darunter Angebote der Psycho-sozialen Beratung wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (08000 116016), das Hilfe-Portal sexueller Missbrauch (0800 2255530). Speziell für Jugendliche nannte sie die Online-Beratungsplattform „Juuport“, bei der sich die junge Menschen melden können, die Probleme im Netz haben und von Psychologen und Pädagogen per Krisenchat beraten werden können. Weiter Hilfsangebote gegen digitale Gewalt seien HateAid, Hatefree und Hassmelden, fügte sie hinzu.