Landeverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ist nicht gerade als Mensch verschrien, der den sprichwörtlichen Schuss Benzin im Blut hat. Er radelt oft ins Ministerium, will die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr verdoppeln und einst stillgelegte Bahnstrecken wiederbeleben. Das klingt erst einmal nicht nach übertriebener Nähe zum Verkehrsmittel Auto.

Kürzlich wagte sich Hermann jedoch in Singen gewissermaßen in die Höhle des Löwen. Er war bei einer Veranstaltung des Mercedes-Händlers Südstern Bölle und des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft (BVMW) am Singener Standort des Autohauses zu Gast. Eingeladen war eine illustre Schar von ausgewählten Kunden sowie Verbandsmitglieder.

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Das Thema der Veranstaltung: „Mobilität der Zukunft – wie gelingt uns die gemeinsame Wende im Individualverkehr?“ Nach dem Vortrag der Ministers gab es noch eine Podiumsdiskussion mit Hermann, dem Wahlkreisabgeordneten im Bundestag, Andreas Jung (CDU), und Südstern Bölle-Vorstand Ingo Engel.

Volles Haus beim Besuch von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
Volles Haus beim Besuch von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). | Bild: Freißmann, Stephan

Gastgeber Engel vertrat die Interessen der Autohändler und warnte vor Wohlstandsverlust, verhehlte aber auch nicht die Unsicherheit in der Branche. Wenn die E-Mobilität wachse, welche Bedeutung haben dann die Händler? Wie geht es ihnen in zehn Jahren? Das sind Fragen, die viele Autohändler umtreiben dürften.

Bis 2030 in Deutschland 15 Millionen E-Autos zu haben, wie es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, sei ein „wahnsinnig hohes Ziel“, so Engel, dessen Unternehmen 600 Mitarbeiter an sieben Standorten habe. Dafür sei noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Und für Autohändler sei entscheidend, was die Kunden wollen: „Welche Mobilität wollen die Bürger in zehn Jahren?“

Der Minister hat unbequeme Botschaften mitgebracht

Was der Minister an dem Abend sagte, hörte sich nicht nach einem „Weiter-So“ an und erst recht nicht nach platter Parteinahme für die Autoindustrie. Da in Baden-Württemberg ein Drittel des CO2-Ausstoßes vom Verkehr – „hauptsächlich vom Auto“ – komme, könne Klimaschutz nicht erfolgreich sein ohne eine grundlegende Wende. Das Land wolle daher 65 Prozent CO2 im Verkehrssektor bis 2030 sparen: „Wenn man das schaffen will, muss man alles ändern.“

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zu Gast im Autohaus – vor der Kulisse eines Elektroautos. Im Hintergrund Volker ...
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zu Gast im Autohaus – vor der Kulisse eines Elektroautos. Im Hintergrund Volker Goerz vom Mitveranstalter Bundesverband mittelständische Wirtschaft. | Bild: Freißmann, Stephan

Hermann zählt auf: Doppelt so viele Menschen wie bisher müssten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, jedes zweite Auto klimaneutral fahren, jede zweite Tonne Fracht klimaneutral transportiert werden – und es müssten auch insgesamt weniger Autos unterwegs sein. Fuß- und Radverkehr müsste man deutlich erhöhen, der öffentliche Verkehr solle im ganzen Land besser werden, und wer wenig fährt, für den sei es klüger, ein Auto zu teilen, statt es zu kaufen.

Drei Fragen an Winfried Hermann

Auch einen sozialen Punkt zeigte er auf, als die Sprache auf die Förderung von Elektro-Autos kam. Für manche dürfte es schwer sein zu akzeptieren, dass wohlhabende Menschen auch noch eine Förderung für ein neues Auto bekommen: „Warum kriegt ein Radfahrer nicht 1500 Euro, weil er nur Rad fährt? Und warum gibt es keine Freifahrscheine für alle, die nur öffentliche Verkehrsmittel nutzen?“ Irgendwann müsse eine Subvention auch vorbei sein, sagte der Minister und erntete dafür Szenenapplaus aus dem Publikum. Das gelte auch für den Aufbau des Ladenetzes, der wie bei den Tankstellen keine Staatsaufgabe sein könne.

Förderung von E-Autos bereitet Kopfschmerzen

Überhaupt, die Förderung von E-Autos: Deren Regeln seien oft ein Hemmnis, sagte Katrin Plewka, die als Landesbeauftragte Öffentlichkeitsarbeit des BVMW die Podiumsdiskussion moderierte. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung sagte daraufhin, seine Partei setze sich dafür ein, dass nicht der Lieferzeitpunkt eines Autos entscheidend für die Förderung sei, sondern der Bestellzeitpunkt. Denn: Ein jetzt bestelltes E-Auto werde dieses Jahr nicht mehr geliefert – und die Förderung sei daher ungewiss. Hansjörg Blender, Kreishandwerksmeister und Renault-Händler aus Radolfzell, unterstrich diesen Punkt.

Genüsslich breitete Hermann in seinem Vortrag auch Merkwürdigkeiten rund ums Auto aus. Zum Beispiel, dass es in Deutschland 80 Millionen Einwohner und 250 Millionen Autositze gebe. Und dass man einen teuren Gegenstand, der 23 Stunden am Tag nicht genutzt wird, wohl in keinem anderen Bereich als lohnende Investition betrachten würde. „Wir können nicht weiter so autozentriert unterwegs sein“, lautete die klare Botschaft. Auch dass das Unternehmen Daimler zuletzt mit weniger verkauften Autos mehr Geld verdient habe, gehörte zu diesen spitzen Beobachtungen.

Ingo Engel, Vorstand des Autohauses, bei der Begrüßung.
Ingo Engel, Vorstand des Autohauses, bei der Begrüßung. | Bild: Freißmann, Stephan

Doch dem Minister ist auch klar: „Wenn wir die Wende nicht schaffen, wird es zu einem ökonomischen Problem.“ Denn das „Autoland Baden-Württemberg“ (BVMW-Vertreter Volker Goerz in seiner Begrüßung) habe seinen Wohlstand zum großen Teil der Autoindustrie zu verdanken, sagte Hermann. Dasselbe gelte für die Stadt Singen, sagte Oberbürgermeister Bernd Häusler in seinem Grußwort, in dem er auf Zulieferbetriebe wie Fondium und Constellium hinwies.

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Der Wohlstand dürfe für die Mobilitätswende nicht geopfert werden, da waren sich alle auf dem Podium einig. Andreas Jung argumentierte, dass die wirtschaftlich aufstrebenden Länder sich wohl kaum für eine Mobilitätswende begeistern lassen, wenn sie nicht funktioniert: „Wir haben die Verantwortung, es so zu machen, dass wir Industrieland bleiben.“ Besucher Andreas Konzept brachte es anders auf den Punkt: „Die Zukunft ist elektrisch, ob wir wollen oder nicht. Wohlstand wird nie gesichert durch Festhalten an alter Technologie.“