Nach wie vor flüchten Menschen vor dem Krieg in der Ukraine und suchen Schutz in Singen, im Hegau und im Kreis Konstanz. Die Vorstandsmitglieder des ukrainischen Vereins Evgenij Starchak, Mila Babkin und Vitalii Tomnuik wissen, wie es ihren Landsleuten in Singen geht. „Im Gegensatz zur Flüchtlingswelle zu Beginn des Krieges sind die Strukturen jetzt da, um die Flüchtlinge eine Integration zu ermöglichen“, erklärt Evgenij Starchak, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und wie seine Vorstandskollegen aus Kiew stammt.

Die Stadt Singen, der Landkreis und der Integrationsverein InSi engagierten sich sehr für die Integration der rund 8000 Ukrainer im Kreis, sagt Starchak. Während aus anderen Ländern vorwiegend junge Männer nach Deutschland flüchteten, kämen aus der Ukraine zu 95 Prozent Frauen mit Kindern. Auf deren Bedürfnisse will der Verein eingehen, Hilfe anbieten und sich mit seiner Kultur in das Leben in Singen einbringen. Ihr nächster Einsatz wird beim Burgfest auf dem Hohentwiel sein.

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Die größten Themen für die Geflüchteten sei die Integration in den Arbeitsmarkt und die Wohnungssituation. Bei der Arbeitsplatzsuche unterstütze laut Starchak der ukrainische Verein bei Bewerbungen und bei der Kommunikation mit Ämtern. Die Bürokratie sei für viele Flüchtlinge eine Herausforderung: „In Deutschland funktioniert alles gut und geregelt, aber das Amtsdeutsch zu verstehen, ist für viele schwierig“, erklärt Starchak. Die ukrainischen Hochschulabschlüsse würden zum Glück anerkannt, jetzt gehe es darum, die Sprache zu erlernen.

Da hauptsächlich Frauen kämen, sei für die, die arbeiten gehen, auch die Kinderbetreuung wichtig. Hier hat der Verein ein Angebot organisiert. „Viele Frauen haben ihre Männer im Krieg verloren und müssen sich jetzt allein ein Leben aufbauen“, erklärt Mila Babkin. Sie hätten oft alles verloren, was eine Rückkehr in die Heimat nahezu unmöglich machen. Die Kinder würden zudem hier zur Schule gehen und sich integrieren: Auch ihnen würde ein erneuter Neuanfang schwer fallen. Der Wille zur Integration sei da und Ukrainer, die in technischen Berufen, in der Pflege oder der Gastronomie arbeiteten, fänden schnell eine Stelle.

Wohnraum ist für alle knapp

Die Wohnsituation vieler Familien sei nach wie vor ein Problem. Nach der ersten Solidaritätswelle, bei der viele Wohnraum zur Verfügung gestellt hätten, sei die Hilfsbereitschaft inzwischen abgeflaut. Wohnraum sei aber derzeit für alle knapp, da könne man nicht erwarten, dass Geflüchtete bevorzugt werden, sagt Starchak.

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Die Vereinsmitglieder versuchten deshalb, ihren Landsleuten zu vermitteln, dass sie selbst aktiv werden, sich einbringen und zum Beispiel in Vereine Kontakte knüpfen müssen. Für ihre Kommunikation nutzen die Ukrainer ein Forum in den sozialen Medien: Jeder kann dort einfach seine Fragen reinschreiben und die Gemeinschaft versucht, zu helfen.

Auf die Frage, wie es den Menschen in der Ukraine gerade geht, antwortet Vitalii Tomnuik, der seit einem Jahr und vier Monaten in Deutschland ist. „Diejenigen, die geblieben sind, haben sich ein Stück weit mit der Realität der Krieges abgefunden“, übersetzt Evgenij Starchak für ihn. Die größte Angst der Menschen sei, dass die Besatzer das Atomkraftwerk Saporischschja in die Luft sprengen und so das Leben im ganzen Land unmöglich machen.

„Hass und Propaganda stirbt nicht mit Putin“

Es sei verständlich, dass nach der anfängliche Solidaritätswelle eine gewisse Kriegsmüdigkeit in Europa herrsche. „Man muss sich aber immer wieder vor Augen führen, dass das kein Krieg zwischen zwei Ländern ist, sondern ein Krieg zwischen den europäischen Idealen und einem imperialistischen Verständnis des 19. Jahrhunderts“, erklärt Starchak.

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Wenn die Besatzer merken würden, dass sie Erfolg hätten, würden sie nicht aufhören und anderen Machthabern „ein schreckliches Vorbild sein“, sagt Mila Babkin. Das hänge nicht nur an der Person Putin, erklärt ihr Vorstandskollege Tomniuk. Putin werde von einer breiten Schicht unterstützt, die den Angriffskrieg gut heiße. „Hass und Propaganda stirbt nicht mit der Person Putin“, stimmt Evgenij Starchak ihm zu.