Gnade konnte ein 22-jähriger Stuttgarter kaum noch erwarten. Zu oft ist er in seinem jungen Leben mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Zuletzt hat er überdies mehrere Menschen in Gefahr gebracht, darunter auch etliche Polizeibeamte. Jetzt musste er sich wieder einmal für seine Taten vor Gericht verantworten. „Auffällig ist das immer gleiche Vorgehen des Angeschuldigten“, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Neben vielen weiteren Delikten von Sachbeschädigungen bis zu Diebstahl ist er bereits zweimal einschlägig verurteilt worden.

Der Angeklagte sagt, er sei Schüler, ledig und Vater eines Kindes. Eine Meldeanschrift hatte er zuletzt nicht. Seit er nach der wilden Verfolgungsjagd Ende Oktober festgenommen wurde, wartet er in Untersuchungshaft auf den Prozess. Die Justizvollzugsanstalt wird er aber auch künftig nicht verlassen. Richterin Daniela Krack und die Schöffen am Singener Amtsgericht verurteilten den Unverbesserlichen zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft.

Ein Polizeibeamter wird bei der Verfolgungsfahrt verletzt

Der Angeklagte hat Ende September versucht, einer Polizeikontrolle zu entwischen. Außerdem habe er sich im Oktober laut Anklage zwei weitere Hochgeschwindigkeitsverfolgungsfahrten mit der Polizei geliefert. Jetzt sitzt er in sich zusammengesackt im großen Saal des Amtsgerichts.

Wie rücksichtslos der Fahrer dabei vorgegangen ist, belegen Videoaufnahmen, die durch sogenannte Dash-Cams in den Polizeifahrzeugen aufgezeichnet wurden. Mitte Oktober ist der 22-Jährige außerdem aufgefallen, weil er in einem Fahrzeug ohne Heckscheibe unterwegs war und zwei Wochen später, weil er kurz vor einer Polizeikontrolle am Singener Waldfriedhof abbremste, wendete und wieder davonfuhr.

Mit einem sogenannten Stop-Stick sollte der Raser gestoppt werden.
Mit einem sogenannten Stop-Stick sollte der Raser gestoppt werden. | Bild: Hersteller

Was sich danach abgespielt hat, erinnert eher an ein Videospiel der Kategorie GTA. Das Kürzel steht für Grand Theft Auto – zu Deutsch ungefähr großartige Autodiebe. Dabei war der Fluchtwagen, in dem der Angeklagte mit einer 17-jährigen Beifahrerin unterwegs war, dieses Mal nicht gestohlen, sondern günstig erworben. Der Fahrer war aber weder im Besitz eines Führerscheins, noch war der Audi A4 ordentlich angemeldet. Stattdessen seien ungültige Kennzeichen angebracht worden. „Um die Polizei zu täuschen“, vermutet die Staatsanwältin.

Die wilde Fahrt führte nach 21.30 Uhr quer durch die Stadt. An der Münchriedstraße habe der Beschuldigte zunächst auf ein Anhaltesignal der Polizei reagiert. Doch als die Beamten ausgestiegen waren, habe er seine Fahrt fortgesetzt. Auch eine Querblockade konnte den Raser nicht stoppen. „Er fuhr mit etwa 80 Stundenkilometern auf das querstehende Fahrzeug zu, ohne dass er Anstalten zu bremsen oder auszuweichen unternommen hätte“, erinnert sich eine Zeugin der Polizei vor Gericht.

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Dabei habe er eine Kollision und Verletzungen der beiden Polizeibeamten zumindest billigend in Kauf genommen. Erst im letzten Moment hätten die Einsatzkräfte den Polizeiwagen zurückgesetzt, um eine Kollision zu vermeiden.

Verfolgungsjagd von Singen bis nach Oberndorf

Die Verfolgungsjagd führte weiter über Twielfeld zur Autobahn, wo der junge Mann „auf die Tube gedrückt“ habe. Er habe den Audi durchgehend mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit zwischen 180 und 220 Stundenkilometern über die Autobahn gesteuert, um sich der Kontrolle zu entziehen. Doch die Ermittler blieben ihm auf den Fersen.

Nach der Raststätte Hegau sahen die Verfolger eine Gelegenheit, den Flüchtigen zu überholen. Als beide Fahrzeuge sich auf gleicher Höhe befanden, sei das Fluchtfahrzeug bewusst gegen den Streifenwagen gesteuert worden. Es kam zur Kollision und nur mit Mühe konnte der Fahrer den Streifenwagen auf Kurs halten.

Behörden melden Schaden von 50.000 Euro

Im Verlauf der Verfolgungsjagd wurde aber nicht nur ein Streifenwagen beschädigt. Die Polizei geht von einem Gesamtschaden von rund 50.000 Euro aus. „Der Angeschuldigte wollte sein Fahrzeug bewusst zweckwidrig, ähnlich einer Waffe einsetzen und nahm eine erhebliche Verletzung der Polizeibeamten sowie eine Beschädigung des Streifenwagens billigend in Kauf“, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Überdies sei den Beamten aus dem geöffneten Seitenfenster der gestreckte Mittelfinger gezeigt worden, um Missachtung auszudrücken.

Von Singen bis nach Oberndorf verfolgte die Polizei den Flüchtenden quer durch die Nacht (Symbolbild).
Von Singen bis nach Oberndorf verfolgte die Polizei den Flüchtenden quer durch die Nacht (Symbolbild). | Bild: Silas Stein

An der Anschlussstelle Rottweil erwarteten weitere Polizisten den Raser mit einer weiteren Straßensperre. Dabei seien auch sogenannte Stop-Sticks zum Einsatz gekommen, durch die die Reifen eines Fahrzeugs beschädigt werden, um die weitere Flucht zu unterbinden. Stoppen lassen wollte sich der junge Mann dadurch nicht. Zielstrebig habe er einen Polizeibeamten angesteuert, um den Stop-Stick zu umfahren. „Ich musste zur Seite springen, um nicht erfasst zu werden“, berichtet der betroffene Beamte vor Gericht. Dabei habe er sich an der Hand verletzt.

Angeklagter formuliert sein Bedauern aufrichtig

Der Angeklagte verfolgt die Aussagen der Zeugen aufmerksam und betroffen. In sich zusammengesackt sitzt er im großen Saal des Amtsgerichts. Die Haare akkurat frisiert und mit einem weißen Hemd bekleidet, macht er den Eindruck, sein Fehlverhalten allmählich zu begreifen. „Ich möchte mich entschuldigen und bin heute froh, dass ich nicht noch mehr angerichtet habe“, richtet er seine Worte an mehrere der betroffenen Ordnungshüter im Zeugenstand, die er gefährdet hat.

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An jenem Abend im Oktober war er weniger nachsichtig. Statt aufzugeben, gab er Gas, machte eine Kehrtwende und fuhr zurück zur Autobahn, um seine waghalsige Flucht fortzusetzen. Vor Oberndorf habe er sein Fahrzeug zunächst stark beschleunigt, um plötzlich eine Vollbremsung einzuleiten. Ein Auffahrunfall sei nur durch ein Ausweichmanöver verhindert worden. Dies nutzte der Fahrer, um erneut ein Polizeifahrzeug in die Leitplanken zu drängen. Das Streifenfahrzeug wurde derart beschädigt, dass es nicht mehr fahrbereit war.

Doch die Verfolgungsjagd ging weiter, von der Autobahn ab und schließlich über eine Obstwiese, wo er gegen einen Baum gefahren ist. „Nach kurzzeitiger Flucht zu Fuß konnte der Angeschuldigte festgenommen werden“, beschreibt die Staatsanwältin. Ein Drogentest verlief negativ, weder Canabis noch Alkohol konnte im Blut des jungen Mannes festgestellt werden. Der Rausch der Geschwindigkeit war ihm wohl genug.

Zeit zum Nachdenken im Gefängnis

Grob verkehrswidrig und rücksichtslos habe sich der 22-Jährige mehrfach verhalten. Eine Fahrerlaubnis hat er nie erworben. Nicht nur Fahren ohne Führerschein und ohne Haftpflichtversicherung wird ihm zur Last gelegt, sondern auch vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs, Körperverletzung und Beleidigung.

Auch der Verteidigerin, Rechtsanwältin Vera Eberz, war bewusst, dass mit einer weiteren Bewährungsstrafe nicht zu rechnen ist, da ihr Mandant mit den Raserfahrten im vergangenen Jahr gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Sie hatte auf zwei Jahre und drei Monate Haft plädiert. Bedauerlich sei, so Eberz, dass im Strafmaß kein Platz für eine Therapie gefunden wurde.