Er sollte den Zugang zu den Gymnasien regulieren – damit diese nicht aus allen Nähten platzen. Eigentlich. Doch am Ende hat er für jede Menge frustrierte Grundschüler gesorgt: der Kompetenztest Kompass 4. Denn der Kompetenztest ist Teil der neuen Grundschulempfehlung, die sich aus zwei weiteren Teilen – der Einschätzung der Lehrkräfte und dem Elternwunsch – zusammensetzt.
Am Kompass 4-Test, der hälftig aus Mathe- und Deutschaufgaben besteht, mussten im November erstmals alle Viertklässler an staatlichen Schulen verpflichtend teilnehmen. Unmittelbar danach wurden Rufe von Eltern wie auch von Grundschullehrkräften laut, die Aufgaben seien zu schwer gewesen – insbesondere in Mathe, wo die Schüler deutlicher schlechter abschnitten als in Deutsch. Was sagen die Hegauer Schulleiter zum Kompetenztest und welche Auswirkungen hat er für die weiterführenden Schulen?
Anja Claßen, Leiterin der Grundschule Waldeckschule und geschäftsführende Schulleiterin in Singen, nennt die Ergebnisse von Kompass 4 enttäuschend. Nur sechs Prozent der Viertklässler hätten das erweiterte Niveau erreicht, während 86 Prozent lediglich das grundlegende Niveau erreicht hätten. „Eine Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ergab, dass 80 Prozent der befragten Lehrkräfte größere Abweichungen zwischen den Testergebnissen und ihrer eigenen Einschätzung der Schülerleistungen feststellten“, schildert sie.
Zu anspruchsvoll und textlastig
Im Kollegium seien laut Claßen vor allem die Matheaufgaben kritisiert worden: zu anspruchsvoll und textlastig. Besonders für Schüler, die eine nicht-deutsche Muttersprache hätten und Sprachdefizite aufweisen würden, hätte dies eine zusätzliche Herausforderung bedeutet. „Um dann Aufgaben gut verstehen zu können, benötigen sie viel mehr Zeit als muttersprachliche Kinder.“

„Für Kinder bedeuten Aufgaben auch immer dann eine Hürde, wenn sie Aufgabenformate nicht gewohnt sind“, so Claßen. Eine weitere Rückmeldung von Lehrkräften sei, dass sie für teilweise richtig gelöste Aufgaben keine Teilpunkte geben durften.
Zu all dem sei auch der Leistungsdruck gekommen, gut abschneiden zu wollen. „Aus unserer Sicht führte das gesamte Prozedere zur Verunsicherung bei Kindern und Eltern“, betont Claßen. Viele Kinder seien laut der Singener Schulleiterin über die Ergebnisse enttäuscht und entsprechend niedergeschlagen gewesen. „Da die pädagogische Gesamtwürdigung letztendlich auf der Grundlage der zurückliegenden dreieinhalb Jahre Unterrichtszeit, in der eine Einschätzung über Lernen, Arbeiten und Verhalten getroffen wird, erstellt wurde, kam es bei der Empfehlung für eine weiterführende Schulart zu keinen sehr hohen Abweichungen“, sagt sie.
Mathe befindet sich im Abwärtstrend
Daniel Jedlicka, geschäftsführender Schulleiter der Engener Schulen und Leiter des Anne-Frank-Schulverbunds, hat eine etwas andere Meinung zum Kompass 4-Test. Das liegt auch daran, dass er aus dem Blickwinkel eines Mathelehrers auf den Test schaut.

Für ihn ist nicht der Kompetenztest das Problem, sondern der Umstand, dass die Schüler für diese Form der Aufgaben nicht bereit seien. „Ich glaube, dass Kompass 4 eine Gelbe Karte für das Bildungssystem war“, sagt Jedlicka. Es wäre gut, wenn die Schüler auf dem Niveau des Tests wären, sagt er mit Blick auf die Anforderungen, die ab Klasse fünf auf die Schüler warten.
Als Mathelehrer an der Realschule stelle er immer wieder fest, dass oft die Grundvorstellungen in Mathematik fehlen würden. „Die Kinder lernen in der Grundschule Kochrezepte für Aufgaben, aber nicht die Denkstruktur, die wir in Mathe bräuchten“, so Jedlicka. Darin, dass viele Lehrkräfte Mathe unterrichteten ohne es auch studiert zu haben, sieht er einen Grund für den schlechten Stand der Schüler im Fach. Es brauche aus seiner Sicht eine Änderung der Studienordnung. „Der Abwärtstrend in Mathe muss gestoppt werden“, so der Schulleiter. Kompass 4 habe gewisse Defizite aufgezeigt und sei „eine Warnung zur richtigen Zeit“ gewesen. Es sei wichtig, die Grundlagen zu stärken und da sei man mittlerweile auch dran.
„Ich finde den Test sinnvoll, vielleicht war er ein bisschen zu umfangreich und etwas zu textlastig“, resümiert Jedlicka. Spürbare Auswirkungen bei den Anmeldezahlen habe der Test aber zumindest in Engen nicht. „Wir haben kaum Schwankungen bei den Anmeldungen“, so der Schulleiter.
Frustrierende Schulkarrieren sollten vermieden werden
Sabine Beck ist Leiterin am Friedrich-Wöhler-Gymnasium in Singen. Ähnlich wie viele ihrer Kollegen habe sie große Hoffnungen in den Kompass 4-Test gehabt: „Die Hoffnung geht natürlich dahin, dass Kindern, die zumindest im Alter von zehn Jahren noch nicht für eine gymnasiale Beschulung geeignet sind, eine frustrierende, von Versagen und Versagensängsten geprägte Schulkarriere erspart bleibt.“

Denn über eine Nichtversetzung bereits in der fünften Klasse zu entscheiden, sei natürlich keine schöne Aufgabe. Und dennoch: „Eine Garantie, dass dies nicht passiert, ist aber auch die verbindliche Grundschulempfehlung für das Gymnasium nicht.“
Welche Auswirkungen die eher schlechteren Ergebnisse von Kompass 4 auf ihre Schule haben werden, lasse sich laut Beck noch nicht abschätzen. „Für eine fundierte Einschätzung sollten die Kinder ja erst einmal bei uns angekommen sein“, so Beck weiter. Aber zumindest mit Blick auf die Anmeldezahlen gibt es laut der Singener Schulleiterin Entspannung: „Die Anmeldezahlen liegen minimal unter denen des Vorjahres, wir sprechen hier von einer Hand voll Kinder, und das kann viele Gründe haben – natürlich kann der Grund auch bei der verbindlichen Grundschulempfehlung liegen“. Beck nennt aber auch einen kleineren Jahrgang, die Entscheidung für benachbarte, auch private Gymnasien oder für die Realschule aufgrund einer schnelleren Erreichbarkeit als Gründe.
Kompass 4 führt zu erhöhtem Schüler-Druck
Martin Trinkner, Leiter der Peter-Thumb-Gemeinschaftsschule in Hilzingen, steht dem Kompass 4 offen gegenüber. Aber der Schulleiter habe laut eigenen Aussagen auch festgestellt, dass die starke Verbindlichkeit des Tests auch zu einem erhöhten Druck bei den Kindern geführt habe. Vor allem die Aufgaben in Mathe seien laut Trinker völlig missglückt. „Eine Nachbearbeitung von Kompass 4 ist dringend notwendig“, sagt er.

Laut Trinker seien vor allem Gymnasien in Deutschland gut gefüllt. Im Vergleich zu noch vor ein paar Jahren würden deutlich mehr Kinder nach der Grundschule auf ein Gymnasium gehen. Die hänge laut Trinkner auch mit der bis vor kurzem ausgesetzten Grundschulempfehlung zusammen. Im Vergleich dazu hätten Realschulen und Gemeinschaftsschulen geringere Anmeldezahlen. Dort seien die Zahlen eher rückläufig, was Trinkner allerdings als nicht schlimm beschreibt.
Ein Blick in die aktuellen Anmeldezahlen geben Trinkner zumindest in der Peter-Thumb-Schule Recht. Laut dem Schulleiter seien für das neue Schuljahr in der Klasse fünf 45 Schüler angemeldet. Dies bedeute eine Zweizügigkeit ab September mit einer Klassenstärke von 23 Schülern. „Darauf freuen wir uns sehr, das ist eine ideale Klassengröße“, sagt er. Im aktuell laufenden Schuljahr sei die Klasse fünf ebenfalls zweizügig, allerdings mit einer Klassenstärke von je 30 Schülern.