Immer mehr Menschen mit italienischen Wurzeln leben in Pflegeheimen. Franco Pancamo, Hausmeister im Emil-Sräga-Haus in der Singener Südstadt, ist selbst ein Gastarbeiterkind. Mit seinem italienischem Charme holt er die Bewohner mitten im Alltag ab – und nicht nur die Italiener.

„Franco hier. Was kann ich tun?“, lautet sein Standardsatz, wenn die Tür der Spülmaschine streift, der Internetanschluss bei einem Heimbewohner nicht funktioniert oder der Wasserhahn tropft. Dann dauert es nicht lange, und das Telefon des Hausmeisters klingelt.

Erinnerungen an Urlaub oder Heimat

Doch dank seiner italienischen Wurzeln kann Franco Pancamo (56) weit mehr als im Garten buddeln, Wände streichen oder die Heizungsanlage warten. „Come stai?“, fragt er eine 87-jährige Dame nach ihrem Befinden. Vor dem Essen wünscht er „Buon appetito“ und mit „Buongiorno“ wünscht er einen guten Tag.

Bei den betagten Heimbewohnern kommt das gut an. Bei so manchem Deutschen weckt es Erinnerungen an den Italien-Urlaub in der Kindheit oder Jugend. Für italienische Heimbewohner ist es die Muttersprache. Sie sprechen oft mehr darauf an, als auf die deutsche Sprache, die sie erst später gesprochen haben, als sie als Gastarbeiter nach Deutschland kamen.

Die „Sprache des Herzens“

Italienisch sei „die Sprache des Herzens, Deutsch die Sprache der Arbeit“, fasst es die Tochter einer aus Umbrien stammenden Heimbewohnerin zusammen. Und gerade bei Menschen mit Demenz sei es wichtig, das Herz zu berühren und Erinnerungen an die frühen Lebensjahre anzustoßen. Diese seien ihnen häufig viel präsenter als das, was später im Leben passiert ist.

Dominik Eisermann, Heimleiter des Emil-Sräga-Hauses bestätigt diese Beobachtung: „Die Fremdsprache, die jemand im Laufe seines Lebens gelernt hat, tritt im Laufe einer Demenz zurück. Viel besser reagieren Betroffene häufig auf die Muttersprache.“

„Mein Vater hat sich hochgearbeitet“

Franco Pancamo kann die Situation der betagten Menschen, insbesondere wenn sie einen italienischen Hintergrund haben, gut einordnen: „Die Bewohner haben das gleiche Leben gehabt wie meine Eltern.“ Franco Pancamo etwa stammt aus Sizilien. Er ist mit seinen Eltern und den vier älteren Geschwistern nach Süddeutschland gezogen. Seine Mutter habe 25 Jahre in einer Spinnweberei in Volkertshausen gearbeitet.

Der Hausmeister erinnert sich: „Mein Vater hat sich hochgearbeitet. Er hat bei Null angefangen, hat anfangs Sofa und Tisch aus dem Sperrmüll gezogen.“ Angefangen habe der Vater in einer Lackiererei in Gottmadingen, zum Schluss sei er selbstständig gewesen. Oder, wie Franco Pancamo es mit einer italienischen Redensart ausdrückt: Vom Stall (italienisch: stalle) zu den Sternen (italienisch: stelle).

Von Portugal nach Singen

Ein anderer Gastarbeiter der zweiten Generation liefert noch die portugiesische Sichtweise. Luis Brito hat seine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker am 8.8.88 bei den damaligen Aluminium Walzwerken begonnen. Er weist darauf hin, dass die erste Generation der Gastarbeiter in den 1950er- und 60er-Jahren nicht nur aus Italien gekommen sei, sondern auch aus Portugal, Spanien und der Türkei.

Der Vater von Luis Brito kam aus Portugal.
Der Vater von Luis Brito kam aus Portugal. | Bild: privat

„Mein Vater hat ebenfalls zur ersten Generation der Gastarbeiter gehört“, berichtet der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Amcor mit portugiesischen Wurzeln. Die Generation seiner Väter sei häufig davon ausgegangen, dass sie nur fünf bis zehn Jahre in Deutschland arbeitet – und dann in ihr Heimatland zurück zieht. Entsprechend habe man auch nicht allzuviel Wert darauf gelegt, von Anfang an die deutsche Sprache zu lernen.

Bei der Arbeit habe man sich oft mit seinen Kollegen aus dem gleichen Heimatland in der Muttersprache unterhalten – und in der Freizeit habe man sich ebenfalls mit den Landsleuten getroffen. Zum Beispiel im portugiesischen Clubheim des Fußballvereins. Dort habe damals die ganze Familie Anschluss gefunden – von Folklore-Gruppen über die Volleyball-Damen-Mannschaft bis hin zu Jugend-Fußball-Gruppen. Die Notwendigkeit, schnell Deutsch zu lernen, sei also nicht gegeben gewesen.

Vom Stall zu den Sternen

Demenz kennt Hausmeister Franco Pancamo nicht nur aus dem Pflegeheim. Auch eine Tante von ihm war betroffen: „Sie hat mich nicht mehr erkannt. Das hat mir Angst gemacht und mich traurig gemacht.“ Als Hausmeister sieht er sich neben seiner praktischen Tätigkeit als Ergänzung zum übrigen System in der Altenpflege.

Serie Leben mit Demenz

Er sei nicht dafür zuständig, dass die Bewohner satt und sauber sind. „Ich kann fröhlich sein mit den Leuten. Und manchmal kommt auch etwas zurück.“ Zum Beispiel dann, wenn die italienische Bewohnerin seinen Gruß erwidert oder manchmal auch nur, wenn jemand lächelt. Oder wenn ein dementer Italiener plötzlich ins Erzählen kommt – und von seiner Zeit als Gastarbeiter und seiner Kindheit in Italien berichtet. „Da kommen Sachen raus, die sie schonmal erlebt haben“, so Pancamo. Das sind dann die Momente, in denen der Hausmeister die dementen Bewohner herausholt – vom Stall zu den Sternen.