Bei der Neurochirurgie am Krankenhaus Singen herrscht Aufbruchstimmung: Dieses Signal ging von einem Pressetermin aus, bei dem die Krankenhausleitung den neuen Chefarzt in dieser Disziplin, Sven Gläsker, vorgestellt hat. Gläsker hat die Stelle zum 1. Mai angetreten und soll nun die neurochirurgische Versorgung von Patienten am Singener Krankenhaus sicherstellen und neu aufbauen. Vorausgegangen war die Kündigung der bisherigen Kooperation mit der Praxis des niedergelassenen Neurochirurgen Aram Bani zu Ende März, gegen die sich dieser derzeit bei Gericht wehrt.

Doch die Neurochirurgie ist ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung, sagt Moritz Wente, Direktor Medizin und Pflege am Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN): „Der GLKN muss den Anspruch haben, Notfallpatienten in dieser Hinsicht zu versorgen.“ Dies sei auch vor dem Hintergrund dessen wichtig, was das Krankenhaus Singen anbietet. So gebe es einen Schwerpunkt in der Krebsbehandlung, aber auch Top-Versorgung bei der Behandlung von Frühgeborenen.

Und bei Frühgeborenen könne es auch zu Komplikationen kommen, die neurochirurgischer Behandlung bedürfen: „Dann ist es sehr sinnvoll, nicht von externen Partnern abhängig zu sein.“

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Pläne und Investitionen für die Neurochirurgie

Was hat der neue Mann nun vor? Krebs- und Wirbelsäulenerkrankungen machen etwa 40 Prozent des Patientenaufkommens aus, erklärt Gläsker. Bislang sei man sehr gut bei der Behandlung von Krebserkrankungen mit Medikamenten oder per Strahlentherapie. Doch sobald das Gehirn beteiligt sei, müsse ein Patient bisher anderswo behandelt werden, erklärt Gläsker: „Solche Operationen will ich auch hier anbieten.“

Die Behandlung von Wirbelsäulenleiden soll interdisziplinär erfolgen und dabei auch die konservative Therapie stärker zum Einsatz kommen. Darunter verstehen Fachleute grob gesagt eine Therapie ohne Operation, etwa durch Physiotherapie oder Medikamente. „Die Operation ist dann nur ein letzter Schritt. Das ist eine gewisse Neuerung gegenüber bisher und kommt den Patienten zugute“, sagte Gläsker bei dem Termin.

Auch die Behandlung der von Hippel-Lindau-Krankheit, einer seltenen Erbkrankheit, die mit der Entstehung von Tumoren einhergeht, wolle er etablieren, so der neue Chefarzt. „In Konstanz gibt es das so nicht“, sagte GLKN-Geschäftsführer Bernd Sieber über das geplante Ausmaß der neurochirurgischen Versorgung.

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Eine Wunschliste an Ausstattung hat Gläsker auch mitgebracht. Ein neues Operationsmikroskop sei bereits da, berichtet er. Anschaffen wolle er aber noch ein Gerät zur Tumorentfernung per Ultraschall, minimalinvasive Systeme für den Zugang zur Wirbelsäule, Ultraschall für die Diagnose am Gehirn und ein Gerät, das gewissermaßen die Navigation mit nadelfeinen Instrumenten im Gehirn ermöglicht, erklärt Gläsker.

Klinikum will Hauptabteilung einrichten

Ziel der Beteiligten ist, eine Hauptabteilung für Neurochirurgie zu gründen, sagt GLKN-Chef Sieber bei dem Termin. Der Antrag auf 18 neurochirurgische Planbetten sei bereits beim Land eingereicht. Bis Ende März wurden neurochirurgische Patienten im Rahmen einer Kooperation mit der Praxis von Aram Bani versorgt. Die Patienten hätten in der Regel in der Unfallchirurgie gelegen, so Sieber auf Anfrage.

Für die geplante Hauptabteilung benötige man keine Aufstockung der Bettenzahl. Schließlich habe der GLKN das Krankenhaus in Stühlingen geschlossen. Im Sommer 2022 endete der Betrieb in dem Haus mit zuletzt 44 Betten. Und noch in diesem Jahr wird auch das Radolfzeller Krankenhaus seine Pforten schließen: „Über die Bettenzahl müssen wir mit dem Land wohl nicht streiten“, so Sieber.

Bald Hirntumor-OPs im Singener Klinikum?

Ein Ziel ist laut GLKN-Geschäftsführer Sieber, dass man zusätzlich zur Notfallversorgung künftig mehr planbare Eingriffe anbieten und mit Krankenkassen abrechnen kann. Ein Beispiel dafür ist eine Operation an einem Hirntumor. Dafür habe es zuletzt engere Grenzen gegeben: Manche Eingriffe habe man nur abrechnen dürfen, wenn es sich um einen Notfall handelte. Um das zu ändern, brauche man eine Hauptabteilung mit Betten, die ausdrücklich der Neurochirurgie zugewiesen sind, erklärt Sieber.

Die Personalsuche läuft schon gut an

Für eine eigene Hauptabteilung Neurochirurgie braucht es allerdings mehr ärztliches Personal. Es sei angepeilt, vier Oberärzte der Neurochirurgie zu haben, sagt Sven Gläsker bei dem Termin. Erste Bewerbungsgespräche habe er schon geführt, es seien gute Bewerber dabei gewesen. Wann weitere Neurochirurgen am Krankenhaus anfangen können, sei aber noch nicht klar – denn Bewerber müssten auch Kündigungsfristen in ihren derzeitigen Jobs beachten.

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Bis weitere Neurochirurgen in der Singener Klinik an Bord sind, seien er und Axel Probst im wochenweisen Wechsel in Rufbereitschaft, um die 24-Stunden-Versorgung sicherzustellen. Probst ist Chefarzt der Klinik für Unfall- und Handchirurgie am Singener Krankenhaus, bei der Gläsker als Sektionsleiter derzeit angedockt ist. „Wir sind froh, Sven Gläsker bei uns zu haben“, sagt er bei dem Pressegespräch. Und unterstreicht, wie wichtig ein Neurochirurg für ein Krankenhaus ist. Sobald das Rückenmark bei einem Patienten verletzt ist, sei man dringend auf einen Neurochirurgen angewiesen, sagt Probst.

Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit dem Kooperationsarzt habe man nicht gewusst, wie es weitergehen soll, gibt Probst freimütig zu. Doch nun gebe es eine deutlich breitere Basis beim Personal. Die Schlaganfall-Einheit des Krankenhauses sei wegen der vierwöchigen Unterbrechung bei der neurochirurgischen Versorgung nicht gefährdet gewesen, so Probst.