Egal ob Haushalts-, Verkehrs- oder Industrieunfälle: Wenn gefährliche chemische, biologische oder gar radioaktive Stoffe austreten, benötigt es Experten. Und die mussten in Singen und im Landkreis in diesem Jahr schon mehrfach zu besonderen Einsätzen ausrücken, ob Gasalarm im Mai oder Chemieunfall im August. Für Sondereinsätze dieser Art ist der sogenannte Gefahrstoffzug zuständig, der eine taktische Einheit der Freiwilligen Feuerwehr bildet. Nelson Luzio ist seit 2011 Zugführer des Gefahrstoffzugs Singen und gleichzeitig Einsatzführer der fünf Stützpunktfeuerwehren des Landkreises. „Das wichtigste Ziel der Sondereinheit ist, die Ausbreitung der Gefahrstoffe zu verhindern und somit Zeit zu gewinnen, um den Stoff zu bekämpfen“, sagt er.
Pro Jahr ist der Gefahrstoffzug dem Zugleiter zufolge an fünf bis sieben Einsätzen beteiligt. Obwohl die allgemeine Vorgehensweise – bestehend aus Menschenrettung, Absperrung, Erkundung und Einsatzablaufplan – immer gleich sei, sei jeder Einsatz sehr individuell und spannend. „Die konkrete Vorgehensweise und der damit verbundene Materialeinsatz ist jedes Mal völlig unterschiedlich“, weiß Luzio aus Erfahrung.
In Singen gebe es bereits seit 1994 eine Gruppe für Dekontamination, also das Entfernen gefährlicher Verunreinigungen. Gruppen dieser Art bestehen in der Regel aus neun Personen und rücken mit einem extra Einsatzfahrzeug aus. 2011 etablierte sich dann der Gefahrstoffzug. Dieser setzt eine 21-köpfige Mindestanzahl voraus, damit in brenzligen Fällen mehrere Fahrzeuge gleichzeitig ausrücken können.
In Singen besteht der Gefahrstoffzug sogar aus 31 Feuerwehrleuten, die für spezielles Einsatzmaterial ausgebildet sind. Denn seit 2017 besitzt Singen den sogenannten Abrollbehälter Gefahrgut. Hinter dem sperrigen Begriff steckt ein Container mit unzähligen Ausrüstungen für die Spezialeinsätze, quasi ein Werkzeugkasten, so Luzio.
Das gehört alles zur besonderen Ausrüstung
Und was da genau drin ist, weiß der erfahrene Feuerwehrmann ganz genau: „Wir haben spezielle Messgeräte, wie den Photoionisationsdetektor, der Stoffe tendenziell identifizieren kann“, beginnt Luzio aufzuzählen. Des Weiteren gebe es spezielle Pumpen, Abdichtungsmaterialien und Auffangbehältnisse. „Die wohl auffälligste Ausrüstung sind unsere Chemikalienschutzanzüge, die komplett gasdicht sind und somit vor gefährlichen Stoffen und Kontamination schützen“, erklärt der Gefahrstoffzugführer. Der sogenannte Silberflash trotze sogar Flammen, was einen Zutritt zu brennenden und verätzten Einsatzorten möglich mache.

Dass dieser Container in Singen stationiert ist, liegt an der zentralen Lage der Stadt innerhalb des Landkreises Konstanz. „So können alle potenziell betroffenen Orte möglichst schnell erreicht werden“, erklärt der Einsatzführer. Denn der Singener Gefahrstoffzug ist nicht nur in Singen tätig, sondern im gesamten Landkreis.
Es gibt drei verschiedene Alarmierungsszenarien: Innerhalb der Stadt Singen mit einem kompletten Zug, innerhalb des Stützpunktbereichs mit einem verkleinerten Zug und im gesamten Landkreis mit lediglich dem Spezialcontainer. Denn in solchen Fällen kommen die restlichen Einsatz- und Spezialfahrzeuge von anderen Stützpunkten.
Im Landkreis wird Zusammenarbeit großgeschrieben
Die fünf Stützpunktfeuerwehren Singen, Engen, Radolfzell, Stockach und Konstanz arbeiten eng zusammen. Denn sie ergänzen sich durch die verschiedenen Spezialisierungen: Konstanz beispielsweise hat einen Messwagen. Auch die Feuerwehr aus Rielasingen-Worblingen sei gegebenenfalls Teil der Einsätze, auch wenn sie keinen eigenen Gefahrstoffzug hat. „Dieser Standort hat 2017 das Dekontaminationsfahrzeug von uns übernommen“, so Luzio.
Um Teil des Gefahrstoffzugs zu werden, bedarf es einer speziellen Ausbildung an der Landesfeuerwehrschule Bruchsal. Diese besteht aus verschiedenen Lehrgängen über Themen wie beispielsweise Dekontamination oder ABC-Einsatz – also Einsätze bei atomaren, biologischen und chemischen Gefahren.
Die Feuerwehr Singen bietet zudem eine interne Ausbildung an. Dazu gehören unter anderem jährlich zehn Proben für das Stadtgebiet und vier weitere für Landkreiseinsätze, die Spezialwissen über Stoffe und zugehörige Werkzeuge vermitteln. Darüber hinaus finden immer zwei Proben für den gesamten Landkreis statt, bei denen die fünf Stützpunkte das Material und die Mannschaft der jeweils anderen kennenlernen.
Das Erlernte in den Proben wird dann in Ernstfällen umgesetzt, auch wenn das Team natürlich hofft, diese möglichst selten auf der Tagesordnung zu haben. Denn selbst jetzt bekommt Nelson Luzio noch Gänsehaut, wenn er an den Gasalarm im Mai zurückdenkt. Es sei emotional höchst fordernd gewesen, da die ganze Zeit alle erdenklichen Folgen durch seinen Kopf geschwirrt seien. Auch wenn alles ein gutes Ende nahm, ist er sich über eines im Klaren: „Sowas will ich nie wieder erleben müssen!“