Frau Linster, wie sind Sie zum Beruf der Lektorin gekommen?

Ich wusste früh, dass ich etwas mit Kultur machen will. Zunächst hatte ich überlegt, Regie zu studieren und war als Regie-Hospitantin in Konstanz tätig. Da ich schon immer neugierig war, wie Bücher entstehen, habe ich mich damit näher beschäftigt und der Lektoratsberuf hat mich vom ersten Moment an begeistert. Er verbindet meine Leidenschaft für Bücher mit Aufgaben, die ich im Arbeitsalltag am liebsten mache.

Was bedeutet es für Sie, Lektorin zu sein?

Im Allgemeinen sind Lektoren die Personen im Verlag, die von Literaturagenturen bisher noch unveröffentlichte Manuskripte erhalten und als Erste im Verlag einschätzen, ob sich ein Text zur Veröffentlichung eignet. Natürlich können wir das nicht ganz alleine entscheiden, aber wir lesen die Manuskripte und stellen sie dann dem Verlag vor und argumentieren, warum wir denken, dass aus diesem Text ein Buch werden sollte. Wenn ein Manuskript eingekauft ist, betreuen wir das Buch auf allen Entstehungsstufen und arbeiten den anderen Abteilungen zu, bis das Buch am Ende im Buchladen steht. Für mich persönlich bedeutet es also, Texte zu entdecken und mich mitreißen zu lassen und dann dem Buch auf die Welt zu helfen.

Sie haben die Erfolgsbiografie „I‘m glad my mom died“ der ehemaligen iCarly-Darstellerin Jennette McCurdy auf den deutschen Buchmarkt geholt. Wie war Ihre Erfahrung, an einem solchen Bestseller beteiligt zu sein?

Bei diesem Buch war alles anders als gewöhnlich. Es wurde uns nicht von Agenturen angeboten. Am amerikanischen Erscheinungstermin wurde es mir auf Instagram ausgespielt, deswegen habe ich es für mich persönlich bestellt. Ich wurde dabei sofort eingesogen, obwohl das bei Biografien meiner Erfahrung nach eher ungewöhnlich ist. Ich habe nicht gedacht, dass ich das akquirieren könnte. Immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt noch Volontärin. Aber dann wurde mir von meiner Mentorin geraten, ich solle doch versuchen, ein Angebot zu machen, und es hat tatsächlich geklappt. Nach der Veröffentlichung hatte ich das Glück, dass viele Zeitungen direkt daran interessiert waren. Es gab auch von Seiten der Leser viele positive Rezensionen. Direkt bei Erscheinen ist es auf Platz 4 der Bestseller-Liste eingestiegen. Ich war vollkommen überrascht und habe mich riesig gefreut.

Wie ist der reguläre Ablauf für solch Buch-Veröffentlichungen?

Normalerweise habe ich Kontakt zu deutschen und internationalen Agenturen, die uns Verlagslektoren Manuskripte schicken. Wenn mir ein Buch gefällt und ich die anderen Abteilungen davon überzeugen konnte, mache ich ein Angebot. Danach muss ich bei fremdsprachigen Texten einen Übersetzer suchen und ein Außenredakteur redigiert das Manuskript.

Das könnte Sie auch interessieren

Was mögen Sie an Ihrem Beruf besonders?

Ich mag, dass ich mit Leuten arbeite, die die gleiche Leidenschaft haben. Ich liebe Krimis und Thriller, da kommen häufig absurde Gespräche mit den Kollegen heraus. Außerdem mag ich, dass Bücher Kultur- aber gleichzeitig auch Unterhaltungsprodukte sind. Und am besten ist, dass ich noch vor allen anderen lesen kann, was rauskommt.

Was sind die größten Herausforderungen?

Zunächst muss natürlich ein Manuskript da sein, von dem wir uns vorstellen können, dass es viele Leser interessiert. Auch das Cover kann sehr viel entscheiden. Unter den ganzen Konkurrenztiteln hervorzustechen, aber doch das richtige Publikum anzusprechen, ist gar nicht so leicht. Das Erscheinungsbild ist der erste Punkt, um einen Leser zu anzusprechen.

Das Buch „Im glad my mom died“ von Jeanette Mc Curdy wurde von Anna Linster lektoriert.
Das Buch „Im glad my mom died“ von Jeanette Mc Curdy wurde von Anna Linster lektoriert. | Bild: Anna Linster

Welche Projekte stehen bei Ihnen als Nächstes an?

Mir wurde aktuell eine Autorin übergeben, die schwedische Krimis schreibt. Ich fahre demnächst auf ihre Lesung in Norddeutschland. Darauf freue ich mich. Skandi-Crime ist eines meiner Lieblingsgenres. Es ist immer wieder schön, eine Autorin zu treffen und sie begleiten zu dürfen.

Als beruflicher Vielleser stellt sich die Frage, ob Sie Bücher überhaupt noch privat lesen können?

Ja und nein. Ich lese privat andere Bücher, als ich sie auf der Arbeit lese. Mir gefallen alle Bücher, an denen ich arbeite, aber oft fühle ich mich beim privaten Lesen zu Themen hingezogen, die mich nicht schon bei der Arbeit beschäftigen. Und privat lese ich viel langsamer. Häufig denke ich mir auch, wenn ich zu Hause schon lese, kann ich auch eigentlich direkt etwas für meine Arbeit machen. Trotzdem versuche ich immer, ein Buch nur für mich selbst zu haben.

In Ihrem Beruf dreht sich alles um Bücher. Wie viel lesen Sie?

Für die Arbeit lese ich mehrere Manuskripte die Woche. Natürlich lese ich nicht jedes Mal ein ganzes Buch, sondern erstmal nur die ersten 50 Seiten. Ich muss dabei so eine Art Sog fühlen. Wenn dem nicht der Fall ist, dann höre ich auf. Die Menge ist sehr unterschiedlich und abhängig davon, was ich sonst noch machen muss. Um Messen herum bekomme ich beispielsweise auch mehr Manuskripte, im Sommer und um Weihnachten dagegen sind es nicht so viele.

Das könnte Sie auch interessieren

Können Sie als Expertin uns aktuell eine Buchempfehlung geben?

Meine persönliche Empfehlung ist der Roman Identitti von Mithu Sanyal. Das Buch war für mich ein extremes Auf und Ab. Ich schätze Literatur, die sich anfühlt, als wäre man einmal ‚durchgeschüttelt‘ worden, aus der man anders herausgeht, als man beim Lesen reingegangen ist. Auch richtig gut fand ich Piranesi von der Britin Susanna Clark. Eine spannende Neuerscheinung ist meiner Meinung nach der dritte Band der Skandi-Crime Reihe von Maria Grund, die ich grundsätzlich sehr empfehlen kann.

Wie entscheiden Sie denn überhaupt, was ein gutes Buch ist?

Ich persönlich mag es, wenn ich mir denke ‚Oh me

in Gott, wie krass‘. Das Thema ist auch entscheidend. Ich bin in der Unterhaltungsliteratur tätig, deswegen suche ich Bücher, die eine große Menge Leser mitreißen. Das ist der Idealfall. Es gibt so viele Manuskripte, aber es ist schwer, so etwas zu finden. Ganz, ganz viele Manuskripte werden gar nicht veröffentlicht. Von Agenturen erhalte ich zum Teil mehrere Manuskripte pro Tag. Daraus muss ich eine Vorauswahl treffen. Erst dann schaue ich mir Manuskripte näher an. Eine Lektorin hat mal zur mir gemeint, man weiß sehr schnell, wenn etwas nicht gefällt. Es ist viel schwerer zu entscheiden, ob man für etwas ein Angebot macht.

Auf welche Bücher sind Sie sonst noch stolz?

Zum Beispiel eine Schauspieler-Biografie, an der ich beteiligt war. Außerdem erscheint im März ein Titel von einer jungen Autorin bei Fischer. Es ist ihr Thriller-Debüt. Es war schön, eine junge Autorin und ein so tolles Projekt entstehen zu sehen.

Sie kommen ja eigentlich aus Singen. Was verbindet Sie noch mit Ihrer Heimat?

Größtenteils komme ich um die Feiertage nach Hause. Mit meiner Heimat verbinde ich vor allem das Gefühl der Vertrautheit. Ich habe 19 Jahre in Singen gelebt und bin dort aufgewachsen. Außerdem wohnt meine Familie immer noch in der Stadt.