„Wie will ich sterben?“ ist eine Frage, der sich auch Reinhild Kappes stellt. Über 30 Jahre hat sie als Stadtarchivarin die Geschichte Singens bewahrt und aufgearbeitet. Vergangenes Jahr beging sie ihren 70. Geburtstag und jetzt sitzt sie als unheilbar Kranke auf einem Platz des Podiums. Dort nehmen nur wenige gerne Platz, um zu berichten, wie sie sich ihr Lebensende vorstellt und wie sie dieses Ziel erreichen will. „Auf alle Fälle selbst bestimmt“, wird sie in einer Pressemitteilung des Gesundheitsverbundes im Landkreis Konstanz (GLKN) zitiert.
Schwierige Entscheidungsfindung für Politiker
Unter dem Titel „Bitte helfen Sie mir zu sterben“ hat die Krankenhausseelsorge gemeinsam mit dem Arbeitskreis Klinische Ethik (AKE) am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen und dem Hospizförderverein Singen-Hegau zu einem Podiumsgespräch mit anschließender Diskussion in die Lutherkirche eingeladen.
Weitere Positionen auf dem Podium vertraten neben dem Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci (SPD), Palliativmediziner Michael Kurz, Krankenhaus-Ethiker Stefan Bushuven und Jan Harder, Leiter des Onkologischen Zentrums Hegau-Bodensee, als Moderator.
„Assistierter Suizid – ein schwieriges Thema, ein vielschichtiges Thema und eines, das den Menschen unter den Nägeln brennt. Wie sehr zeigte die gemeinsame Abendveranstaltung“, lautet Jagodes Bilanz. Mit der jährlichen Auftaktveranstaltung wollten die Veranstalter gemeinsam Denkanstöße zu aktuellen und gesellschaftsrelevanten Themen geben und zum Erfahrungsaustausch einladen.
„Wir sind bei diesem Thema Suchende“ bekannte Klinikseelsorger Christoph Labuhn in seiner Einführung und der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci habe ihm laut Pressemitteilung beigepflichtet.

Auch für die Politik sei noch unklar, wo die Reise hingehe, nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hat. Aktuell befinde sich der assistierte Suizid in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone und der Bundestag müsse die Sterbehilfe neu regeln. Dazu gibt es drei Gesetzesinitiativen.
„Suizid darf nicht zur Normalität werden“
Ein Vorschlag stammt von Castellucci. Der Bundestagsabgeordnete aus dem Rhein-Neckar-Kreis wolle, wie es in der Pressemitteilung heißt, dass assistierter Suizid grundsätzlich strafbar bleibt, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Eine Regelung für alle zu finden, mache es so schwer. Er will assistierten Suizid nicht verhindern: „Aber Suizid darf nicht zur Normalität werden“, begründet er seinen Ansatz laut Pressemitteilung. Er wolle die Suizidprävention ausbauen.
Aber wie das in der Praxis funktionieren soll, wollte das Publikum wissen. Weit über 200 Bürgerinnen und Bürger aus Singen und dem ganzen Hegau waren laut Gesundheitsverbund gekommen, um Informationen und damit eine Orientierungshilfe zu bekommen.

Krankenhausethiker Stefan Bushuven, Chefarzt des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention im Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz, startete den Abend mit vielen Fragen: Was ist selbstbestimmt? Was Autonomie? Und was bedeutet freier Patientenwille?Kommt da eine neue Bürokratie am Ende des Lebens? Palliativmediziner Michael Kurz erklärte, was die Palliativmedizin leisten kann – als Alternative zum assistierten Suizid.
Indirekt wird schon Sterbehilfe geleistet
Die palliative Sedierung habe er als indirekte Sterbehilfe bezeichnet. Das heißt: Es sei schon heute erlaubt, Medikamente zu geben, um Leiden zu lindern und zu vermeiden, auch wenn es eine Verkürzung des Lebens bedeutet. Doch das treffe für Menschen zu, die unheilbar krank und deshalb in ärztlicher Behandlung sind. Was aber machen die anderen? Diejenigen die an Demenz erkrankt sind und sich nicht mehr klar äußern können?
Harder habe engagiert die lebendige Diskussion moderiert, die viele Fragen beleuchtete und Antworten gab – auch auf die zahlreichen Publikumsfragen, die Christina Wöhrle und Andrea Jagode gesammelt, strukturiert, zusammengefasst und an das Podium weiter gegeben hatten. Harder zog am Ende das Fazit: „Wir wünschen uns eher das Sterben an einer Hand als durch eine Hand“. Er warb für die Patientenverfügung, die es den Ärzten im Krankenhausalltag erleichtert, den Patientenwillen umzusetzen.
Gut informiert fühlte sich nach rund zweieinhalb Stunden auch Gabriele Eckert vom Hospiz-Förderverein. Sie fasste die Veranstaltung am Ende zusammen und dankte allen Beteiligten für eine gelungene Veranstaltung, zu der auch Simon Götz mit seinen Saxophonklängen beigetragen hatte.