Es klingt nach einer guten Idee: Statt zuzuschauen, wie Hausärzte in den Ruhestand gehen, wollen drei Kommunen im Hegau aktiv gegen den sich abzeichnenden Mangel angehen. Sie wollen Medizinische Versorgungszentren gründen, abgekürzt MVZ. Ein MVZ ist eine Rechtsform, in der sich Arztpraxen organisieren können. Die Stadt Singen will eines davon mit drei Arztsitzen schaffen, die Gemeinden Gottmadingen und Gailingen zusammen eines mit zwei Arztsitzen. Die MVZen sollen jeweils als GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) organisiert sein, deren Anteile die Kommunen halten. Das bedeutet: Die Kommunen werden Arbeitgeber von Hausärzten.
Die Hoffnung von Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler, Gottmadingens Bürgermeister Michael Klinger und Gailingens Bürgermeister Thomas Auer: Der Beruf des Hausarztes soll durch die Festanstellung attraktiver werden im Vergleich zur klassischen Alleinpraxis, in der ein niedergelassener Arzt als Freiberufler nicht nur für die Medizin, sondern auch für die gesamte Bürokratie verantwortlich ist. Im Gegensatz dazu steht das Modell des MVZ: Die Verwaltungsarbeit übernehmen Spezialisten, die Mediziner machen Medizin.
So weit, so gut, die drei Gemeinderäte haben den Plänen zugestimmt, es kann an die Gründung der GmbHs gehen. In Gottmadingen und Gailingen soll das MVZ frühestens zum 1. April den Betrieb aufnehmen, in Singen laut dem Gemeinderatsbeschluss im ersten Halbjahr 2024.
Es gibt auch Gegenwind
Und doch ziehen dunkle Wolken auf – wie so oft wegen des Geldes. Denn die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) verlangt pro Arztsitz, der in ein solches MVZ eingebracht wird, eine Bürgschaft für mögliche Abrechnungsfehler – und zwar in Höhe von fünf Jahresumsätzen, wie Kai Sonntag, Pressesprecher der KVBW, auf Anfrage bestätigt. Dass es daran Kritik geben könnte, dafür äußert er Verständnis. Doch man gehe mit dem Geld der Versicherten um, verteidigt er das Vorgehen.

Trotzdem ärgern sich die drei betroffenen Gemeindeoberhäupter über die Bürgschaftsforderungen. Als sich die Hegauer Bürgermeister mit dem Konstanzer Landrat Zeno Danner, Singener Amtsleitern und Gemeinderäten sowie anderen Kommunalpolitikern kürzlich zum Singener Nachbarschaftswein trafen, nannte Singens OB Häusler die Bürgschaftsforderungen „eigentlich eine bodenlose Frechheit“.

Dieser Wertung schließt sich Gailingens Bürgermeister Thomas Auer an: „Das nervt uns drei tierisch an“, sagt er auf Anfrage. Häusler sagte beim Nachbarschaftswein weiter: Man rette der KV praktisch den Allerwertesten, doch die verlange dafür Bürgschaften, „dass man vom Glauben abfällt, um das letzte wirtschaftliche Risiko abzuwälzen“. Das sei kontraproduktiv, so Häusler, der dafür Applaus aus der Runde seiner Amtskollegen bekam. Am Rande der Veranstaltung sagte Häusler: „Wie man damit noch jemanden motivieren will, ein MVZ zu gründen...“

Gottmadingens Bürgermeister Michael Klinger hieb am Rande der Veranstaltung in die gleiche Kerbe: „Es gibt eine echte Notlage und die KV legt einem Steine in den Weg.“ Ihn ärgert besonders ein Punkt: Zuletzt habe die KVBW zwei Jahresumsätze als Bürgschaft für Abrechnungsfehler verlangt, diesen Wert jedoch kurz zuvor auf fünf Jahresumsätze pro Arztsitz erhöht. Und Klinger rechnet weiter, dass der Jahresumsatz für einen vollen Arztsitz mit etwa 300.000 Euro taxiert werde. Bei den beiden Arztsitzen, die ins MVZ für Gottmadingen und Gailingen eingebracht werden sollen, müssten die beiden Gemeinden also für 3 Millionen Euro bürgen. In Singen sollen drei Arztsitze ins MVZ einfließen, was eine Bürgschaft von 4,5 Millionen Euro nach sich ziehen würde.
Das Risiko der Gemeinden ist extrem gering – doch Aufwand und laufende Kosten sind trotzdem da
Das Risiko, dass die Gemeinden solche Beträge tatsächlich bezahlen müssen, ist extrem gering. Denn es handelt sich ja nur um Bürgschaften. Nur im Fall, dass ein Arzt, der an einem MVZ angestellt ist, falsch abrechnet, müssen die Gemeinden bis zu diesem Betrag geradestehen. Das sieht auch die Kommunalberatungsagentur Dostal und Partner so: „Die Gefahr, aus der Bürgschaft im Umfang von sechs- oder siebenstelligen Beträgen zu haften, besteht eigentlich nur bei nachgewiesener fortwährender Falschabrechnung (meist sogar in Form eines gewerbsmäßigen Betruges). Bei ordnungsgemäßer Führung eines MVZ durch einen kundigen und vorsichtigen ärztlichen Leiter ist dies kein realistisches Szenario“, heißt es in einem Beitrag des Unternehmens vom April. Dieselbe Agentur haben die drei Gemeinden beauftragt, die Gründung ihrer MVZen zu begleiten.

Das Ärgernis für die Bürgermeister ist also weniger das finanzielle Risiko als Aufwand und laufende Kosten für die Bürgschaft. Denn die müsse eine Bank stellen, erklärte Klinger. Diese Bank müsse wiederum für die Bereitstellung des Geldes bezahlt werden, auch eine Ausfallversicherung sei sinnvoll. Und die Rechtsaufsicht müsse auch noch zustimmen. Bei der Stadt Singen ist das das Regierungspräsidium Freiburg, bei den beiden Gemeinden das Landratsamt in Konstanz. Also einige Bürokratie und einige Kosten, selbst wenn die Bürgschaft selbst höchstwahrscheinlich nie in Anspruch genommen wird.
Kassenärztliche Vereinigung erklärt, warum sie die Bürgschaften verlangt
Zu den Bürgschaften sind die Gemeinden nach dem Sozialgesetzbuch verpflichtet. Dort ist deren Höhe allerdings nicht festgeschrieben, diese werde laut Klinger von den KVen festgelegt. Und warum gibt es die Bürgschaften überhaupt? KVBW-Sprecher Sonntag erklärt, dass zum gesetzlichen Auftrag der KV auch die Abrechnung zwischen Praxen und Krankenkassen gehöre. Diese Honorare können, sollte falsch abgerechnet worden sein, auch zurückgefordert werden: „Da bei einer GmbH dann aber die Haftung beschränkt ist, verlangt die KVBW eine Bürgschaft für diesen Fall.“ Dass diese mit fünf Jahresumsätzen angesetzt wird, habe „wiederum damit zu tun, dass die Frist, in der die Abrechnung geprüft werden kann, einige Jahre beträgt“. Auf die Kritik der Bürgermeister reagiert Sonntag so: „Wir verstehen die Kritik an den komplizierten Strukturen und Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung. Wir gehen aber mit Geldern der Versicherten und der Unternehmen um, da müssen bestimmte Mechanismen greifen.“