So ganz schlau wird man nicht aus dem, was kürzlich vor dem Singener Amtsgericht verhandelt wurde – zumindest nicht, wenn man wissen will, was wirklich rund um den Neurochirurgen Bahram Hashemi vorgefallen ist. Im Prozess wurde deutlich, dass es schwerwiegende Anschuldigungen gab, die Existenzen hätten vernichten können – und die offenbar jeglicher Grundlage entbehrten. Am Ende führten die Vorgänge zu heftigen Turbulenzen in der Singener Neurochirurgie – einem überregional wichtigen Zweig der Patientenversorgung. Ein genauerer Blick auf die Aussagen zeigt ein mögliches Motiv hinter der Eskalation: War ein verpasster Geburtstag der Auslöser?
Zur Erinnerung: Vor Gericht wurde schier Unglaubliches verhandelt. Da erhebt eine junge Frau schwere und letztlich haltlose Vergewaltigungsvorwürfe gegen zwei Männer, den niedergelassenen Neurochirurgen Aram Bani und einen weiteren Arzt, der an hochrangiger Position im Singener Krankenhaus arbeitet. Beide treten als Nebenkläger auf. Die Frau macht dazu eine fast fünfstündige Aussage bei der Polizei, der jedoch rasch Zweifel an der Glaubwürdigkeit kommen.
Sie gesteht Fehler, er nicht
Wie einer der vernehmenden Polizisten im Zeugenstand sagte, wuchsen seine Zweifel unter anderem bei einem Ortsbesuch. Denn das Büro, in dem die angeblichen Vergewaltigungen stattgefunden haben sollen, habe überhaupt nicht so ausgesehen wie von der Frau geschildert. Vor Gericht gestand sie unter Tränen, dass sie die Anschuldigungen wider besseres Wissen erhoben habe und die Vorwürfe gar nicht stimmen.
Kein Geständnis gab es von Hashemi, er wurde schließlich wegen Beleidigung und unwahrer Tatsachenbehauptung, jeweils zum Nachteil von Bani, verurteilt. Dass er die junge Frau, mit der er damals eine Beziehung hatte, zu der Falschaussage anstiftete, sah Richterin Anke Baumeister als nicht erwiesen an. Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig, denn die beiden Angeklagten und die beiden Nebenkläger haben Rechtsmittel eingelegt. Das bestätigt Johannes Daun, Direktor des Amtsgerichts, auf Nachfrage.
Was das Motiv für die Auseinandersetzung unter der Gürtellinie sein könnte, darüber weiß nach eigenen Angaben auch Hashemis Verteidiger Sylvester Kraemer nicht Bescheid: „Das werden wir wohl nie erfahren“, sagt er am Telefon. Auch Nebenkläger Bani und Bernd Sieber, Geschäftsführer des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN), sagen auf Anfrage nichts über die Motive hinter der Auseinandersetzung. Das Singener Krankenhaus, an dem Hashemi und Bani per Kooperationsvertrag neurochirurgische Eingriffe machten, gehört zum GLKN.
Prozess gibt Anhaltspunkte für mögliche Motive
Die Beweisaufnahme vor dem Singener Amtsgericht gibt aber immerhin Anhaltspunkte zum Motiv hinter der Auseinandersetzung im Jahr 2021, die schließlich zum Ende der Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Hashemi führte. Und sie gibt Anhaltspunkte darüber, was hinter den Kulissen des Medizinbetriebs vor sich gehen kann – und was in dieser Ausprägung außergewöhnlich ist. In dieser Form sei ihm, der viele Jahre Erfahrung als Krankenhauschef hat, eine Auseinandersetzung unter Ärzten noch nicht vorgekommen, erklärt GLKN-Chef Sieber. Es seien „menschlich bedenkliche Vorgänge abgelaufen“ und für einige Beteiligte werde die Angelegenheit möglicherweise nie abgeschlossen sein.
Streit um Notdienst statt Geburtstag
Im Hintergrund stand laut Banis Zeugenaussage bei Gericht ein Streit um einen neurochirurgischen Notdienst im Januar 2021, von dem Hashemi sich abgemeldet habe. Er, Bani, habe eine wütende Mail an Hashemi geschrieben, weil er den Notdienst übernommen habe und dadurch nicht mit seiner Tochter habe Geburtstag feiern können. Hashemi antwortete demnach mit der Mail, die Richterin Anke Baumeister als beleidigend einstufte. Am Ende habe es ein Gespräch von Bani und Hashemi bei GLKN-Chef Sieber gegeben.
Bani sagte weiterhin als Zeuge: Am Ende dieses Termins habe Hashemi gesagt, in drei Wochen wisse er, Bani, Bescheid. Er habe sich bei dem Termin entschlossen, eine Anzeige gegen Hashemi an die Ärztekammer zu schicken, so Bani weiter. Deren Inhalt wurde vor Gericht nicht deutlich.
Handelte es sich bei den falschen Beschuldigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen also um einen Racheakt gegen Bani? Richterin Baumeister sah zumindest nicht als erwiesen an, dass Hashemi die Mitangeklagte zu den falschen Aussagen angestiftet hat, und sprach ihn in diesem Punkt frei. Falls das Verfahren aufgrund der eingelegten Rechtsmittel in Berufung geht, werde es aber auch um das Motiv gehen, kündigte Nebenkläger Bani an.
Alle Seiten machen psychische Folgen geltend
Folgen hatte der Streit offenbar für alle Seiten. Die beiden zu Unrecht beschuldigten Mediziner erklärten vor Gericht, wie sehr die Vorgänge sie belasteten. So sagte Bani im Zeugenstand, die Kriminalpolizei habe ihm zeitweise untersagt, das Krankenhaus alleine zu betreten. Auch wenn er nachts einen Notfall versorgen musste, habe ihn seine Ehefrau Juliane begleiten müssen. Und: „Ich steige auch jetzt nicht mehr in einen Aufzug ein, in dem nur eine einzelne Frau steht.“
Auch der zweite beschuldigte Arzt sagte im Zeugenstand, er sei nach den Vorwürfen für ein Jahr in Psychotherapie gewesen und werde bei der Arbeit täglich an den Vorgang erinnert. Denn die Frau, die ihn beschuldigt hatte, arbeitete damals als Auszubildende bei Hashemi, der seine Praxis auf dem Gelände des Krankenhauses hatte. Zumindest deren Räume hat man also häufig vor Augen.
Psychische Belastung durch das Verfahren führt allerdings auch Verteidiger Kraemer für seinen Mandanten Hashemi ins Feld. Und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe berichtete, dass auch die junge Mitangeklagte für längere Zeit in Therapie gewesen sei, dies allerdings schon bevor sie die offenbar unbegründeten Vorwürfe erhob.
Gesundheitsverbund fühlt sich bestätigt
Auch wenn alle beteiligten Ärzte durch die Auseinandersetzung offenbar belastet waren, so habe die medizinische Qualität nicht gelitten, erklärt GLKN-Chef Sieber. Dennoch habe man die Angelegenheit genutzt, um die Neurochirurgie am Krankenhaus mit einer eigenen Abteilung neu aufzustellen, statt mit Praxen zu kooperieren. Mit der Entwicklung sei man extrem zufrieden, so Sieber. Über das Urteil des Amtsgerichts zeigt er sich erleichtert: „Es ist durch den vom Gericht aufgearbeiteten Sachverhalt deutlich geworden, dass sich die behaupteten Vorgänge so nicht zugetragen haben.“
Die Aufkündigung der Verträge durch den GLKN sei daher die richtige Lösung gewesen. Und richtig sei auch gewesen, den zu Unrecht beschuldigten Krankenhausarzt zu unterstützen und nicht freizustellen. Auch angesichts der teilweise abstrusen Behauptungen sei diese Einzelfallentscheidung so gefallen. Dabei habe er es sich nicht leicht gemacht, so Sieber.
Dennoch: Die juristische Auseinandersetzung geht weiter, für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.