„Bildung soll noch besser werden“. Mit diesem Anspruch sind die Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen auf Einladung von Dorothea Wehinger zu ihrer zweitägigen Klausurtagung nach Singen gekommen. In der Bildungsakademie des Handwerks haben die Abgeordneten einen idealen Tagungsort gefunden. Doch Dorothea Wehinger will mehr. Sie will den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses Bildung zeigen, wie Verzahnung verschiedener Systeme funktionieren kann.

Und dazu sind die Mitglieder des Arbeitskreises nun ins Kinderhaus Münchried gekommen. Diesen Schaulauf wollen sich auch die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper und Staatssekretärin Sandra Boser nicht entgehen lassen. Schade nur, dass ausgerechnet an diesem Morgen so gut wie keine Kinder im Haus sind, weil die Erzieherinnen ihren Planungstag haben. So bleibt es doch ein Rundgang in der Theorie.

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„Wir kommen mit dem Bauen kaum hinterher“

Man teilt sich in zwei Gruppen auf. Die Leiterin der Kita Münchried, Julia Schmid, übernimmt die Ministerin und Singens Sozialbürgermeisterin Ute Seifried. Die skizziert den Umbau der ziemlich heruntergekommenen ehemaligen Pestalozzischule zur Einrichtung für frühkindliche Erziehung. „Ich bin immer wieder erstaunt, was die Magier vom Gebäudemanagement hier vollbracht haben“, erklärt sie und verweist auf die hellen Räume und die weitläufigen Außenanlagen. Das Meisterwerk liege jedoch im Zusammenspiel verschiedener Einrichtungen: Regel-Kita Münchried und Schulkindergarten für Kinder mit geistiger Behinderung in Verbindung mit dem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) in der benachbarten Haldenwangschule.

Gruppenbild mit Kultusministerin Theresa Schopper (Mitte): Die Grüne Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger (Dritte von rechts) hatte ...
Gruppenbild mit Kultusministerin Theresa Schopper (Mitte): Die Grüne Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger (Dritte von rechts) hatte Kollegen des Arbeitskreises Bildung nach Singen eingeladen. Singens Bürgermeisterin Ute Seifried (Zweite von rechts) schilderte die Probleme der Stadt bei der Kinderbetreuung. | Bild: Trautmann, Gudrun

Schnell entspinnt sich beim Rundgang eine rege Diskussion über Gruppenstärken, Betreuungszeiten und Einstufungen. In der Küche räumt eine ehemalige Schülerin der Haldenwangschule das Frühstück ab und bereitet die Snacks für das Mittagessen vor. Von ihrem Autismus hat niemand etwas bemerkt.

Beim Blick auf die Fotos der Gruppenkinder bemerkt Theresa Schopper die kulturelle Vielfalt. Ute Seifried erklärt, wie sich durch den starken Zuzug von geflüchteten Menschen die Sprachprobleme in Bildungseinrichtungen in der ohnehin schon weltoffenen Stadt Singen noch einmal verschärft haben. Es fehle an allem: an Wohnraum und an Kita-Plätzen. „Seit der ersten Flüchtlingswelle 2015 zählt Singen rund 300 nachgeborene Kinder“, sagt die Bürgermeisterin. „Wir kommen mit dem Bauen kaum hinterher. Zudem fehlen uns Erzieher. Deshalb haben wir eine lange Warteliste.“

Die Ministerin hört aufmerksam zu

Bisher geht es um Alltagsprobleme aller Kommunen. Doch was ist mit der Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen? Haldenwang-Schulleiter Daniel Baerwind und Konrektor Udo Klaiber kennen vor allem diese Probleme. Hier sind individuelle Begutachtungen und Empfehlungen für die Eltern nötig. Doch viele Eltern würden die Handicaps ihrer Kinder nicht akzeptieren. Die Folge ist Überforderung ihrer Kinder. „Wann steht Elternrecht über dem Kindeswohl?“, fragt Ute Seifried.

Mittlerweile hat Singen 16 Familienberatungsstellen installiert. Von den 600.000 Euro, die es braucht, übernimmt der Landkreis gerade mal zwischen 70.000 und 80.000 Euro. Doch mit diesen Beratungen könnten viele Hilfen zur Erziehung abgepuffert werden, so die Bürgermeisterin. Zumeist handle es sich um eine umfassende Sozialberatung. „Wir sehen Eltern, die selber Betreuung bräuchten“, erklärt Ute Seifried der Ministerin und verweist auf ein bürokratisches Gerangel um Frühförderung in desolaten Familien zwischen Stadt und dem Landratsamt.

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Inklusive Beschulung wird schwieriger

Mittlerweile hat die Leiterin des Schulkindergartens Claudia Graf die Besuchergruppe übernommen. Vier sonderpädagogische Gruppen mit je sechs Kindern werden hier betreut. Fünf Kinder mit Autismus haben Schulbegleiter. Die inklusive Beschulung, also die Integration von Kindern mit einer Behinderung in den Regelunterricht, werde schwieriger. Die Zahl der Kinder mit Autismus nehme zu.

„Für die Inklusion brauchen wir Gruppen mit besonderem Umfeld“, sagt Daniel Baerwind. Die Grundschule in Überlingen am Ried ist so eine Schule. Dort gebe es sehr kleine Klassen. Das SBBZ berät alle Kindergärten im Landkreis über die Unterstützungssysteme. „Eine wichtige Voraussetzung für die richtige Beschulung der Kinder“, wie Baerwind erklärt.

Bürgermeisterin Ute Seifried (links) staunt immer noch über den Umbau der ehemaligen Pestalozzischule zu einem Kinderhaus, während ...
Bürgermeisterin Ute Seifried (links) staunt immer noch über den Umbau der ehemaligen Pestalozzischule zu einem Kinderhaus, während Kita-Leiterin Julia Schmid, Kultusministerin Theresa Schopper und Staatssekretärin Sandra Boser den Gang entlang laufen. | Bild: Trautmann, Gudrun

Am Ende des Rundgangs ist Theresa Schopper beeindruckt von der Singener Einrichtung: „Ich habe gesehen, wie wichtig es ist aufzuholen, was in manchen Familien in der frühkindlichen Bildung nicht erreicht werden kann.“ Die Kooperation der verschiedenen Bildungseinrichtungen in Singen sieht sie als Besonderheit an.

Ein Termin, viele angesprochene Probleme

Und was verspricht sich die Sozialbürgermeisterin Ute Seifried von diesem kleinen grünen Gipfel? „Wir hoffen, dass wir sowohl für die Kitas und Schulen deutlich machen konnten, dass wir mit Blick auf unsere Fragestellungen (Fachkräftemangel, Lehrermangel, große soziale und kulturelle Heterogenität der Kinder und Jugendlichen et cetera) viele gute Ideen haben, die wir aber wegen der geltenden Vorschriften nicht umsetzen können“, erklärt sie. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir uns hier das Vertrauen und die gesetzlichen Möglichkeiten wünschen, diese Ideen umzusetzen.“

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Beim Landratsamt liege das Grundproblem schon in der Systematik der Gesetze. Für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder ist das Sozialamt nach dem SGB XII zuständig, für „nur“ verhaltensauffällige Kinder das Jugendamt nach dem SGB VIII. „Das führt zu diesem Verschiebebahnhof“, so Ute Seifried. „Denn je jünger Kinder sind, umso schwieriger ist es oft eine Behinderung, die nicht im körperlichen Bereich liegt, festzustellen. Wir fordern schon lange, dass die Hilfen für alle Kinder und Jugendliche in einem Gesetz geregelt werden. Aus meiner Sicht kann dies nur das SGB III (Jugendamt) sein“, sagt die Sozialbürgermeisterin.