Am Ende haben auch die flammenden Plädoyers der Verteidigung nichts genutzt. Das Singener Amtsgericht befand Oasama A. in seinem Urteil für schuldig, an einem Vorfall vom April 2020 beteiligt gewesen zu sein, bei dem mehrere Angreifer einen Mann bewusstlos geschlagen und ihn entkleidet haben sollen. Die Hose des Geschädigten soll nach wie vor verschwunden sein – eine besondere Schmach im syrischen Kulturraum, aus dem die Kontrahenten stammen. Der nun verhandelte Vorfall gehört in die Vorgeschichte der Singener Messerattacke vom Dezember 2020, bei der der Onkel des Geschädigten mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt wurde.

Und genau in dieses Umfeld ordnete Richterin Krack die Geschehnisse auch in ihrer Urteilsbegründung ein: „Es handelt sich nicht um eine gewöhnliche gefährliche Körperverletzung.“ Der Angriff vom April 2020 sei eingebettet in mehrere Straftaten syrischer Großfamilien, die zur Verunsicherung der Bevölkerung geführt haben, erklärte die Richterin. Mit der Vorgehensweise des deutschen Rechtswesens seien die beteiligten Familien offenbar nicht zufrieden gewesen, sodass sie zur Selbstjustiz gegriffen hätten.

Das könnte Sie auch interessieren

Unter anderem damit begründete Krack auch, dass die Strafe vollstreckt werden müsse. Denn die vom Gericht verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr könnte auch zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Gründe dafür sah das Gericht allerdings nicht gegeben. Das Urteil lautet auf gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, denn Oasama A. wurde vorgeworfen, mit mehreren seiner Brüder gehandelt zu haben. Deren Verfahren wurden allerdings wegen anderer Urteile eingestellt.

Zuvor hatte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung gegen die Verteidigung argumentiert. Die Verteidiger Gianpiero Fruci und Thomas Röder hatten auch am zweiten Verhandlungstag erneut vorgebracht, dass zwar eine schlimme Tat gegenüber dem Geschädigten Yamen A. verübt worden sei. Ihr Mandant Oasama A. sei allerdings nicht daran beteiligt gewesen. Krack erwiderte: Bereits in der Nacht nach dem Überfall habe der Geschädigte im Krankenhaus gegenüber einem Polizisten drei Personen als Angreifer identifiziert, darunter den Angeklagten. Und auch später habe er immer wieder die gleichen Angaben dazu gemacht, wer ihn angegriffen habe.

Ein Foto vom ersten Verhandlungstag (von links): Verteidiger Thomas Röder, Dolmetscher Basim Al-Shukur (verdeckt), der Angeklagte Oasama ...
Ein Foto vom ersten Verhandlungstag (von links): Verteidiger Thomas Röder, Dolmetscher Basim Al-Shukur (verdeckt), der Angeklagte Oasama A. und Verteidiger Gianpiero Fruci. | Bild: Freißmann, Stephan

Auch Chatnachrichten des Angeklagten belegten in den Augen der Verteidiger nicht, dass ihr Mandant am Geschehen beteiligt war. Seine Brüder hätten ihm brühwarm berichtet, was am Abend des 13. April 2020 auf dem Rathausplatz passiert ist, begründete Wahlverteidiger Gianpiero Fruci. Das konnte das Gericht nicht nachvollziehen. Es gebe keine Hinweise, dass andere ihm die Informationen so rasch gegeben haben, sagte die Richterin. Das lasse nur den Schluss zu, dass der Angeklagte selbst bei dem Vorfall dabei war.

Gericht kontert die Argumente der Verteidiger

Eine Aussage gegen Aussage-Konstellation wie sie die Verteidiger sahen, war in den Augen des Gerichts ebenfalls nicht gegeben. Es habe Aussagen von Zeugen, darunter auch Polizisten, und vom Geschädigten gegeben. Und die Chatverläufe seien objektive Beweismittel. Nun also eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung – die Verteidiger hatten Freispruch gefordert, die Staatsanwältin ein Jahr und sechs Monate, ebenfalls ohne Bewährung.

Das könnte Sie auch interessieren

Diskussionen gab es zuvor um einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), wie ihn der Anwalt der Nebenklage, der den Geschädigten des Angriffs vertrat, schon am ersten Verhandlungstag ins Spiel gebracht hat. Dabei haben die Verteidiger einen TOA abgelehnt. Pflichtverteidiger Thomas Röder wies nun darauf hin, dass ein TOA unter bestimmten Umständen denkbar wäre. Ein TOA könnte leichter fallen, wenn von der Familie des Geschädigten eine Entschuldigung für Vorfälle käme, die vor der Körperverletzung mit der gestohlenen Hose passiert sind – wobei die entwendete Hose im Herkunfts-Kulturkreis offenbar Schande über den Bestohlenen bringt. Namentlich erwähnte Röder Beleidigungen vor dem Vorfall, vor allem gegen weibliche Familienangehörige. Das könnte die Szene der beiden Familien in Singen beruhigen und der Geschädigte könnte seine Ehre wieder herstellen.

Das könnte Sie auch interessieren

Röder argumentierte dabei unter anderem mit Suren aus dem Koran, in denen klar festgeschrieben ist, wie man beispielsweise seine Ehre wieder herstellen kann. Dass dabei auch zur Sprache kam, mit wie vielen Stockhieben Beleidigungen gegenüber „ehrbaren Ehefrauen“, wie es dort heißt, zu ahnden sind, nutzte der Nebenklagevertreter für einen Frontalangriff. Hierzulande gelte deutsches Recht, die Worte des Verteidigers würden sich anhören, als ob Parallelgesellschaften möglich sein sollten, sagte er. Das konterte Röder damit, dass er die im Koran genannten Strafen auch nicht befürworte. Er habe eine Lösung aufzeigen wollen, wie beide Seiten gesichtswahrend aus der Sache herauskommen könnten.

War der angeklagte Oasama A. nun am Tatort oder nicht? Auch ein letzter Zeuge, Oasamas Bruder Yahia A., hat dazu am zweiten Verhandlungstag keine Klarheit geliefert. Er machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Gericht hat sein Urteil gefällt, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist.

 

Aktualisierung vom Mittwoch, 19. Juli:

Das Urteil des Singener Landgerichts ist nicht rechtskräftig geworden, wie Johannes Daun, Direktor des Amtsgerichts Singen, auf Anfrage erklärt: „Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung haben Berufung eingelegt“, so Daun. Das zuständige Berufungsgericht sei das Landgericht in Konstanz, das sich nun als nächstes mit dem Fall beschäftigen muss.