War er nun dabei oder nicht? Diese Frage warfen die Verteidiger von Oasama A. am zweiten Verhandlungstag im Prozess rund um einen Vorfall auf, bei dem ein Mitglied einer syrischen Großfamilie am 13. April 2020 bis auf die Unterhose entkleidet und mit Schlägen so traktiert worden sein soll, dass sich sein Rücken grün und blau färbte. Mutmaßlich sollte dem Mann auf dem Singener Rathausplatz damit auch die Ehre gestohlen werden. Beschuldigt werden Mitglieder einer anderen syrischen Großfamilie.

Der Vorfall ereignete sich acht Monate vor der schlimmen Messerattacke am Friedrich-Ebert-Platz im Dezember 2020, die bislang den Höhepunkt der Langzeitfehde beider Familien darstellte. Zur Erinnerung: Dabei wurde ein Mann lebensgefährlich, zwei andere schwer verletzt. Acht Mitglieder der angreifenden Familie wurden im Oktober 2021 vom Landgericht Konstanz in Stuttgart-Stammheim zu Haftstrafen verurteilt. Ende März 2022 gab es zudem eine Massenprügelei mit mehreren Verletzten in der Singener Innenstadt. Auch dabei waren laut SÜDKURIER-Recherchen Mitglieder der Familie beteiligt, von der bei der Messerattacke der Angriff ausgegangen war.

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Und nun also der Vorfall, bei dem ein Mann ausgezogen wurde und der nach allen derzeit vorliegenden Informationen zur Vorgeschichte der Messerstecherei gehörte. Vor dem Singener Amtsgericht muss sich Oasama A. deswegen verantworten. Opfer dieses Angriffs wurde ein Neffe des Mannes, der später bei der Messerstecherei lebensgefährliche Stichwunden davontragen sollte.

Doch die Verteidiger Gianpiero Fruci und Thomas Röder sind offenbar überzeugt davon, dass ihr Mandant gar nicht am Ort des Geschehens war. Zum Ende des zweiten Verhandlungstags beantragte Fruci jedenfalls, einen weiteren Zeugen zu hören, der klären soll, ob Oasama A. überhaupt an der Attacke beteiligt gewesen sein konnte. Geladen werden soll Ibrahim A., ein Bruder des Angeklagten. Das pikante Detail: Ibrahim A. sitzt gerade eine Haftstrafe ab. Das Landgericht Konstanz sah es im Oktober 2021 als erwiesen an, dass er einer der Täter bei der Messerattacke im Dezember 2020 war, und verurteilte ihn zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe.

Das Verfahren

Am Amtsgericht Singen wird ein Fall verhandelt, der sich im April 2020 am Rathausplatz in Singen zugetragen haben soll: Oasama A. soll ...
Am Amtsgericht Singen wird ein Fall verhandelt, der sich im April 2020 am Rathausplatz in Singen zugetragen haben soll: Oasama A. soll mit einigen Verwandten einen 35-Jährigen attackiert und ihm eine Hose gestohlen haben – und damit mutmaßlich auch die Ehre. | Bild: Arndt, Isabelle

Er soll nun bezeugen, dass sein Bruder am Hosenangriff gar nicht beteiligt gewesen sein kann. Wie die Vertreterin der Staatsanwaltschaft darlegt, sei das Verfahren gegen Ibrahim A. wegen seiner eigenen Beteiligung am Hosenangriff endgültig eingestellt worden. Als Bruder des Angeklagten habe Ibrahim A. aber ein Zeugnisverweigerungsrecht. Verteidiger Röder argumentierte, dass Ibrahim A.s Rechtsbeistand Bernd Rudolph bereits Mitwirkung zugesichert habe.

Der Vertreter der Nebenklage, der als Rechtsbeistand die Interessen des Opfers vertritt, kritisierte diese Vorgehensweise. Ibrahim A. sei „einer der treuesten Soldaten“ von Said E. gewesen. Also von dem Familienoberhaupt, das laut einem Urteil des Konstanzer Landgerichts vom Dezember 2021 seine Familienmitglieder zum lebensgefährlichen Messerangriff angestiftet hat. Said E. musste daher für dreieinhalb Jahre in Haft. Der Nebenklagevertreter tat deutlich seine Einschätzung kund, dass es dem Angeklagten im laufenden Verfahren kaum helfen dürfte, nun Ibrahim A. zu vernehmen.

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Richterin Krack beschied am Ende, dass man Ibrahim A. hören müsse, wenn er etwas zum Fall zu sagen habe. Die Ladung für den nächsten Verhandlungstag am Dienstag, 14. Februar, werde an ihn selbst und seinen Anwalt Rudolph gehen.

Scharmützel und Streitereien im Gerichtssaal

Vorangegangen waren mehrere Scharmützel und Streitereien zwischen den Anwälten untereinander, aber auch mit Richterin Krack. Ein Streitpunkt war die Übersetzung von arabischen Chatnachrichten. Fruci folgte der Strategie der Verteidigung, das Vertrauen in die Beweisführung zu erschüttern, und stellte die Qualifikation der ersten Übersetzerin infrage. Richterin Krack versuchte, das dadurch zu lösen, dass sie Auszüge der arabischen Chatnachrichten durch den Dolmetscher in diesem Verfahren übersetzen ließ.

Verteidiger Fruci beantragte trotzdem, den Dolmetscher zu wechseln und durch einen aus dem Stammheimer Verfahren zu ersetzen – und begründete dies vor allem mit Unterschieden im Dialekt. Der Vertreter der Nebenklage warf dem gewünschten Dolmetscher wiederum vor, im Stammheimer Verfahren eine Partei klar bevorzugt zu haben. Die Richterin hat dazu noch keine Entscheidung getroffen, diese werde es bis zum nächsten Prozesstag aber geben.