War er nun da oder war er nicht da? Auf diese Frage läuft hinaus, worum Anwälte vor Gericht heftig gestritten haben. Er, das ist Oasama A. Die Staatsanwaltschaft legt ihm zur Last, gemeinsam mit anderen am 13. April 2020 einen Mann auf dem Singener Rathausplatz heftig verprügelt und bis auf die Unterwäsche entkleidet zu haben. Drei weitere Männer, allesamt Brüder des Angeklagten, waren mitangeklagt, doch ihre Verfahren wurden wegen anderer Urteile nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung eingestellt. Vor dem Singener Amtsgericht verantworten muss sich somit allein Oasama A.
Der Geschädigte der Attacke, Yamen A., ist ein Neffe von Mizr A., der im Dezember 2020 Opfer einer lebensgefährlichen Messerattacke wurde. Die Prügelei mit der entwendeten Hose gehört zu einer Reihe von Ereignissen im Vorfeld der Messerattacke – und zu einem Dauerkonflikt zwischen zwei syrischen Großfamilien, der lange andauerte, in der jüngsten Zeit aber zumindest öffentlich nicht mehr aufgeflammt ist.
Verfahren beginnt nun von vorn
Die Vorgeschichte der Messerattacke ist nach wie vor nicht endgültig juristisch aufgearbeitet. Einen ersten Anlauf für das Verfahren zum Hosenvorfall gab es schon im Januar, doch nach zwei Verhandlungstagen musste der Prozess abgebrochen werden. Ein Schöffe war längerfristig erkrankt, die Frist für einen vorgesehenen dritten Verhandlungstag, an dem auch das Urteil hätte fallen sollen, konnte nicht mehr eingehalten werden. Die Folge: Das gesamte Verfahren muss komplett neu gestartet werden, mitsamt Beweisaufnahme.

Im neuen Prozess ergab sich nun aus Zeugenaussagen von Polizisten und einem Mann, der im Auto auf das Geschehen aufmerksam wurde, sowie des Geschädigten grob der folgende Tathergang. Der Geschädigte, Yamen A., habe ein Videotelefonat auf seinem Handy geführt, während er durch Singen gegangen sei. Am Rathausplatz habe er Halt gemacht, einen Schlag auf den Hinterkopf gespürt und drei Männer auf sich zukommen gesehen, die er alle namentlich benennen konnte. Nach einem zweiten Schlag sei er bewusstlos geworden. Als er aufgewacht sei, habe er nur noch seine Unterwäsche am Leib gehabt und sei verletzt gewesen.
Laut Zeugen ging die Gewalt weit über eine herkömmliche Prügelei hinaus. Und der Geschädigte habe vor allem am Rücken schlimme Hämatome – besser bekannt als blaue Flecken – davongetragen, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Schlägen mit einem Gürtel stammen. Auch heute noch habe er Rückenschmerzen und vermeide es, nach Singen zu kommen, sagte der Geschädigte aus.
Mit der Hose ging auch die Ehre verloren
Und er wies auf die Schande hin, die der Verlust der Hose in seinem Kulturraum bedeute. Immer wieder heiße es, er solle erst seine Hose zurückholen, ehe er wieder mitreden könne – unabhängig von den Umständen der Entkleidung.
Begleitet wurde diese Beweisaufnahme von permanenten Scharmützeln zwischen Prozessbeteiligten. Insbesondere der Vertreter der Nebenklage fiel den Verteidigern Gianpiero Fruci und Thomas Röder regelmäßig lautstark ins Wort, woraufhin diese ebenso regelmäßig zurück keilten. Richterin Krack ermahnte die Herren daher mit deutlichen Worten – allerdings ohne dauerhaften Erfolg.
Gleichzeitig hatte sie mitunter Mühe, die Fragetaktik der Verteidigung nachzuvollziehen, ließ Fragen an den Geschädigten nach einem Eingriff des Nebenklagevertreters teilweise nicht zu. Auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft reagierte immer ungehaltener auf die Auseinandersetzung unter den Anwälten. Die eigentliche Sache geriet dabei fast in den Hintergrund.
War der Angeklagte überhaupt am Tatort?
Die Verteidiger suchten immer neue Möglichkeiten nachzuweisen, dass ihr Mandant nicht einmal am Tatort war. Das ging so weit, dass Pflichtverteidiger Thomas Röder sogar den Einsatz eines Lügendetektors beantragte, was das Gericht aber ablehnte. Richterin Krack schloss sich damit dem Bundesgerichtshof an, der das als ungeeignetes Beweismittel einstufe.
Auch Ibrahim A., ein Bruder des Angeklagten, der derzeit wegen seiner Beteiligung an der Messerattacke vom Dezember 2020 in Freiburg im Gefängnis sitzt, wurde auf Antrag der Verteidiger noch rasch nach Singen gebracht – nur damit er sagte, er mache keine Angaben. Da er ein Bruder des Angeklagten ist, darf er die Aussage verweigern. Und für Ibrahim A. stand auch etwas auf dem Spiel: Hätte er falsch ausgesagt und es wäre herausgekommen, hätte er eine härtere Strafe kassiert. So blieb es bei einem Gastspiel von wenigen Minuten, eher er wieder nach Freiburg gebracht wurde.
Schließlich beantragten die Verteidiger, einen weiteren Bruder des Angeklagten zu hören, der laut der Anklage am Rathausplatz dabei war, nämlich Yahia A. Auch er kassierte schon andere Strafen, weswegen er im laufenden Prozess nicht dabei ist. Ob er mehr aussagen wird als seine Brüder, dürfte sich am nächsten Verhandlungstag am Dienstag, 11. Juli, zeigen.