Frau Probst-Lunitz, zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung! Was war Ihr erster Gedanke, als sie erfuhren, dass sie den Hegaupreis erhalten werden?
Ich habe einen Brief von Bürgermeister Benjamin Mors erhalten, in dem er mitteilte, dass ich mit diesem Preis ausgezeichnet werden soll. Natürlich habe ich mich gefreut. Gleichzeitig habe ich aber gedacht: Womit habe ich das verdient, das ist eigentlich zu viel. Denn mir sind sofort einige bisherige Preisträger in den Kopf gekommen und ich fand es zunächst befremdend, dass ich mit Persönlichkeiten wie Bruno Epple, Wilderich Graf Bodman und anderen in einer Reihe stehen darf.
Was fasziniert Sie ganz persönlich an der Geschichte unserer Region hier am Bodensee?
Also generell darf ich sagen, es ist wirklich eine ganz besondere Region. Ich finde es wichtig, dass man als Historiker nicht nur große Ereignisse in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, sondern auch die Geschichte des Orts, in dem man lebt und fragt: Wie waren die Anfänge? Wie ist diese Stadt oder das Dorf entstanden, wie sahen sie früher aus, welche Faktoren waren für die Entwicklung relevant? Ich bin ausgebildete Gymnasiallehrerin und finde es immer ein bisschen schade, dass im Schulunterricht die Geschichte der eigenen Region so gut wie nicht vorkommt. Sie wird relativ wenig behandelt. Hinterfragt man das, heißt es, es läge an den Zwängen des Lehrplans.
Wie könnte man das Lernen regionaler Geschichte trotz Lehrplan besser umsetzen?
Ich würde es schon einmal sinnvoll finden, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu eröffnen, in die eigene Region einzutauchen, Museen, Ausstellungen und Vorträge zu besuchen und ihnen zu zeigen, was diese Region alles zu bieten hat. Ich denke, dass es für die Identität der jungen Menschen wichtig ist zu wissen, wo die eigenen Wurzeln oder auch die ihrer Vorfahren sind.
Sie sind nicht nur eine gefragte Rednerin für historische Vorträge, sondern auch seit fast 20 Jahren zweite Vorsitzende des Hegau-Geschichtsvereins. Was bietet der Verein?
Unser Verein beschäftigt sich mit der Geschichte, Naturgeschichte und Kulturlandschaft des Hegau. Wir bieten unterschiedliche Exkursionen, als Tagesausflug oder mehrtägig. Zudem initiieren wir Führungen und Vorträge zu unterschiedlichen Themen – seit Corona, also aus der Not heraus geboren, auch als Online-Format. Online haben wir eine extrem gute Resonanz und sogar Zuhörerinnen und Zuhörer weltweit, wie sich letztens herausstellte. Es haben sich Menschen aus New York und Thailand zugeschaltet. Insofern werden wir das Online-Format wohl auch nach Corona weiterführen.
Zur Person
Soweit ich weiß, hat der Verein auch Bücher zur Regionalgeschichte veröffentlicht?
Ja, das ist richtig. Jedes Jahr entsteht unter einem anderen Themenschwerpunkt ein Jahrbuch mit schönen Texten und Bildern. Unsere Mitglieder erhalten das Jahrbuch kostenlos, ansonsten kann man das im Buchhandel kaufen oder online bestellen. Es sind einige Bücher in der Reihe „Kunstschätze“ entstanden. Unser Buch „“Kunstschätz im Landkreis Konstanz“ erschien mittlerweile bereits in der vierten völlig neu bearbeiteten Auflage.
Ihr detailliertes Wissen beruht auf intensiven Recherchen in den Stadt- und Gemeindearchiven des ganzen Hegau. Wie gehen Sie dabei vor?
Sagen wir mal, ich habe einen Auftrag für eine Recherche zum 19. Jahrhundert im Ort XY. Zuerst führt es mich immer in das jeweilige Gemeindearchiv, Stadtarchiv oder in das Kreisarchiv Konstanz. Manchmal muss ich auch weitergehend forschen, dann suche ich das Staatsarchiv Freiburg oder das Generallandesarchiv in Karlsruhe auf. Dann beginnt die Suche und ich sichte Berge von Akten, Blättern und Fotos, in der Hoffnung, dass ich etwas finde, was zu dem vorgegebenen Thema passt. Es ist also eher ein umgekehrter Weg bei der Recherche. Ich suche und schaue, was thematisch zu verwenden ist.
Insbesondere Ihre Recherchen zu verfolgten Pfarrern im Hegau während des Nationalsozialismus haben viel Aufmerksamkeit erregt. Wie kam es eigentlich zu dieser spannenden Forschungsarbeit?
Das war eine Anfrage von Kreisarchivar Dr. Edwin Weber aus dem Landkreis Sigmaringen. Er plante damals eine Tagung und eine Publikation zum Thema ‚Opfer des Unrechts‘ an Fallbeispielen aus Oberschwaben“ . Die Region Oberschwaben wurde dabei geographisch weiter gefasst und damit wurde auch der Hegau mit einbezogen. Ich habe recherchiert, welche Pfarrer aus unserer Region im Konzentrationslager waren. Im Jahr 2009 ist dann das Buch zu diesem Thema erschienen und seither halte ich immer wieder Vorträge über die verfolgten Pfarrer. Ein Thema, das offenbar sehr berührt.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie persönlich berührt sind, oder wütend, über das, was Sie bei ihrer Arbeit herausfinden?
Als Historiker muss man immer eine gewisse professionelle Distanz halten und vermeiden, emotional zu bewerten. Ausschlaggebend für unsere Arbeit ist es, wichtige Fakten aufzudecken und diese dann darzustellen. Bei der Deutung der Geschichte und ihrer Handelnden ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass dies nach den Wertmaßstäben unserer Gegenwart geschieht.
Im Zeitalter der Digitalisierung ist Forschungsarbeit leichter. Was würden Sie sich wünschen, damit unsere Gegenwart für die nächsten Generationen leichter erlebbar wird.
Leichter wird es für kommende Generationen schon deshalb, weil das Problem mit dem Entziffern der Schrift wegfällt. Für uns ist es manchmal unsagbar schwer, die Schriften des 15. oder 16. Jahrhunderts lesen zu können. Dass Bestände und aktuelles Geschehen digitalisiert sind, empfinde ich auch als großen Fortschritt, der die Arbeit erleichtern wird. Nach wie vor sind auch Zeitungsarchive für eine Recherche relevant. Lassen Sie mich ein konkretes Projekt nennen. Seit über einem Jahr werden im Kreisarchiv und in den Stadtarchiven die historischen Lokalzeitungen, die bis 1945 auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Konstanz erschienen sind, digitalisiert. Das eröffnet natürlich ganz neue Möglichkeiten für die regionalgeschichtliche Forschung. Dazu ist es wichtig, dass die Digitalisate für alle Interessierten zugänglich sind und dass kommuniziert wird, wie, wo und was ich überhaupt mit dem Computer abrufen kann.