Kaum ist die eine Containeranlage für Flüchtlinge fertig, muss Steißlingens Bürgermeister Benjamin Mors sich eigentlich schon Gedanken über die nächste machen. Denn der Platz in seiner Gemeinde reicht einfach nicht, um die zugewiesenen Flüchtlinge unterbringen zu können. „Wir haben uns für die große Lösung entschieden, um Luft zum Atmen zu bekommen“, betont Bürgermeister Mors bei einem Vor-Ort-Termin mit dem SÜDKURIER. Dennoch bleiben Sorgenfalten: Denn der Großbau im Steilinger Industriegebiet könnte bereits Ende des kommenden Jahres nicht mehr ausreichen.
Das Ende der Fahnenstange ist erreicht
Benjamin Mors macht klar, wie herausfordernd die Situation für die Gemeindeverwaltung ist: Aktuell liege die Steißlingen bei der Unterbringungsquote mit knapp 30 Plätzen im Minus. „Wenn die Anlage steht, dann sind von den 60 Plätzen quasi schon 30 auf einen Schlag gefüllt“, schildert der Bürgermeister. Pro Jahr würden Steißlingen etwa 16 geflüchtete Menschen zugeteilt. „Anfang oder Mitte 2024 brauchen wir also neue Ideen“, so Mors weiter.

Nicht nur Steißlingen, sondern auch alle anderen Kommunen im Landkreis hätten für die Unterbringung das abgeschöpft, was auf dem privaten Markt angeboten wurde. „Alles, was jetzt kommt, braucht Alternativen. Und auch deshalb brauchen wir diese große Lösung“, so Mors. Alle Kommunen würden mit dem Rücken zur Wand stehen.
In Rekordzeit sei innerhalb eines dreiviertel Jahres die Containeranlage aufgestellt worden. Am Dienstag sind die Arbeiter beim Baustellenbesuch des SÜDKURIER dabei, das zweite Obergeschoss mit einem schweren Lastenkran aufzubauen. Laut Mors umfasse die Anlage 40 Container und solle Platz für 60 Menschen bieten. „Wir haben aufgestockt und die Anlage um acht Container erweitert“, sagt er.

Diese Erweiterung sei eine Reaktion auf die aktuellen, hohen Zuzugszahlen geflüchteter Menschen. Kostenpunkt für die Containeranlage: 1,5 Millionen Euro. Hierbei seien die Kosten für die Einrichtung noch nicht berücksichtigt. Mors ist dabei wichtig zu betonen: Luxus sucht man in der Containeranlage vergeblich. „Das Ganze ist pragmatisch“, betont er. Zudem werde Steißlingen bei anderen Kommunen bereits gebrauchtes aber dort nicht mehr nötiges Mobiliar aufkaufen.
Wie geht es jetzt weiter?
Benjamin Mors Sorgenfalten werden angesichts dieser Frage deutlicher. Dann wird er deutlich. „Wir möchten, dass das Thema so schnell wie möglich auf die Tagesordnung der diversen bundespolitischen Gremien kommt“, erläutert Mors. „Wie kann man mit dieser Situation umgehen? Was tun, wenn keine Wohnungen mehr da sind?“, fragt er.
Alle seien gefordert, Lösungsvorschläge zu machen – vor allem die große Politik in Berlin oder Stuttgart. „Das hat übrigens alles nicht mit irgendeiner Form von Rechtslastigkeit zu tun“, betont Mors hinsichtlich einer politischen Gesinnung. Für die Zeit nach Ende 2023 hätten die Gemeinden absolut keine Antworten mehr, es brauche dringend die Hilfe der Bundespolitik.
Überlegungen über 2024 werde er nicht anstellen. „Jetzt muss die Landes- und Bundespolitik agieren. Wir brauchen umsetzbare, schnelle und vor allem finanzierbare Lösungen.“ Zur Erinnerung: In Mors Amtszeit seit 2017 ist die jetzt im Bau befindliche Container-Lösung schon die zweite Flüchtlingsunterkunft. Die erste hatte laut Mors 1,6 Millionen Euro gekostet. Eine dritte will sich der Bürgermeister nicht vorstellen: „Ich weigere mich, darüber nachzudenken, eine dritte Unterkunft in Steißlingen zu bauen und planen zu müssen.“
Container-Lösung auch in Hilzingen?
In Hilzingen gab es zuletzt die Idee, das Hotel Kellhof zur Flüchtlingsunterkunft umzufunktionieren. Hier sollten bis zu 70 Flüchtlinge für die nächsten zehn Jahre untergebracht werden. Von dieser Idee ist man zwischenzeitlich allerdings abgerückt. Eine alternative Lösung orientiert sich an Steißlingen: Laut Bürgermeister Holger Mayer wolle die Verwaltung dem Gemeinderat in seiner kommenden Sitzung am Dienstag, 19. September, ebenfalls eine Container-Lösung vorschlagen.
„Container sind die einzige Lösung, die schnell umsetzbar ist“, sagt Mayer. Der private Wohnungsmarkt sei erschöpft und der Neubau einer Unterkunft würde Jahre dauern. Anders sehe es laut Mayer bei einer Container-Lösung aus: Diese könne man in sechs bis acht Monaten umsetzen. „Der Druck auf die Gemeinden ist massiv, wir bekommen Zuweisungen ohne Ende“, betont Mayer.
Standort- und Kostenfrage sind noch offen
Wo die Hilzinger Container-Lösung realisiert wird, stehe derzeit noch nicht fest. Diverse Standorte seien in der Prüfung. Bürgermeister Mayer rechnet damit, dass man im Gemeinderat im Oktober final darüber entscheiden werde. Aber er rechnet auch vor: Anfang Oktober würden noch einmal 13 Personen zugewiesen, Anfang November und Anfang Dezember jeweils sechs beziehungsweise acht weitere Geflüchtete. „Wo soll ich auf einen Schlag 27 Menschen unterbringen?“, fragt er.
Die Gemeinden bräuchten größere Einheiten bei den Unterkünften – deshalb schlage die Hilzinger Verwaltung auch eine Container-Lösung vor. Mayer betont aber: „Die Unterbringung ist das eine, von Integration können wir aktuell gar nicht reden. Es geht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben.“
Gottmadingen und Rielasingen-Worblingen handeln anders
Während zahlreiche Gemeinden Zelte oder Container aufstellen, hat sich die Gemeinde Gottmadingen dazu entschlossen, am Ortseingang in der Hilzinger Straße ein Haus mit neun Wohnungen für maximal 40 Personen zu bauen. Vorübergehend wurde außerdem die alte Eichendorff-Schule vom Landkreis als Notunterkunft für rund 200 Flüchtlinge ertüchtigt.
In Rielasingen-Worblingen ist in den vergangenen Monaten eine Leichtbauhalle in unmittelbarer Nähe zur Talwiesenhalle entstanden. Sie bietet Platz für 350 Menschen und hat in jüngster Vergangenheit aufgrund eines ausbleibenden Bauantrages des Landkreises für Diskussionen gesorgt.