Wir befinden uns mitten im Klimawandel. Das Umweltzentrum Stockach hat tagtäglich mit dessen Auswirkungen zu tun und bietet regelmäßig Informationsveranstaltungen und auch Vorträge an, die den Klimawandel in irgendeiner Art und Weise thematisieren. Dies war auch bei der Eröffnungsveranstaltung des frisch umgezogenen Umweltzentrums in neue Räumen in der Stockacher Oberstadt der Fall: Dort hielt Rainer Luick, emeritierter Professor für Natur- und Umweltschutz an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, einen Vortrag über unsere Wälder im Klimawandel und deren Zukunft. Da Luick auf seinem Gebiet eine Koryphäe ist und zudem aufrüttelnde Vorträge hält, waren rund 70 Personen zum Vortrag in, wie Luick es nannte, „Stockachs Wohnzimmer“ erschienen, lauschten gebannt und diskutierten angeregt.
Fakt sei, dass die Wälder weltweit unter großem Stress stehen. Luick beschrieb den Wald metaphorisch als einen Intensivpatienten, der an Schläuchen hänge und künstlich am Leben erhalten werden müsse. Zwar werde der Wald irgendwie überleben, werde aber irgendwann komplett anders sein, als er heute ist. Vor allem müsse er erst einmal quasi „in Reha gehen“, bevor er wieder in irgendeiner Form wachsen könne. Nicht wenige Menschen sähen aber weltweit auch heute noch den Wald als einen unendlichen und immer weiter wachsenden Rohstoff an, von dem man einfach Leistungen abverlangen dürfe. Zwar sei es früher, zumindest in Deutschland, in der Forstgesetzgebung verankert gewesen, weniger zu ernten, als angepflanzt werde. Dies sei aber nicht mehr der Fall. Denn der Holzeinschlag habe sich seit 2018 aus folgenden Gründen verdreifacht: So baue man mehr mit Holz, ein Löwenanteil werde jedoch für Paletten, aber auch als Papier und Kartonagen oder To-Go-Becher verwendet. Rund 60 Prozent der Holzmenge werden verbrannt, was aus dem Wald einen Kohlenstoff-Emittenten macht. Dennoch bezeichneten viele das Feuern mit Holz als klimaneutrale und erneuerbare Energie. Wie bekannt, fielen auch große Waldflächen sogenannten Kalamitäten, zum Beispiel dem Borkenkäfer, Stürmen oder Waldbränden zum Opfer. Ein Viertel der globalen Treibhausgase stammen von Waldbränden. Als Folge dieses Mangels würden bis zu zehn Prozent der in Deutschland pro Jahr genutzten Holzmengen bereits importiert, aus dem Baltikum oder aus Kanada.
Luick formulierte deutlich, dass Holz unbedingt hochwertiger genutzt werden sollte. Vor allem betonte er, dass Holz auf keinen Fall in noch größerem Ausmaß energetisch genutzt werden sollte. Vielmehr würde es klimapolitisch großen Sinn machen, Wälder neu anzulegen und Holz nicht zu nutzen, sprich: Es sollten dringend sogenannte Prozessschutzgebiete ohne jegliche Nutzung erschaffen werden, wo der Wald einfach mal sich selbst überlassen wird und sich so vielleicht regenerieren kann. Der Professor verwies auf Johannes Graf von und zu Bodman, der 200 Hektar Bannwald geschaffen habe. In diesem könne sich ein gutes Mikroklima entwickeln und es würden, zum Beispiel durch Totholz, Refugien geschaffen für Flora und Fauna. Etliche Kommunen in Rheinland-Pfalz würden mit Prozessschutzgebieten Ökopunkte erwerben. Und auch Stockach stünde es gut, solche Prozessschutzgebiete zu erschaffen, plädierte Luick an die anwesende, künftige Bürgermeisterin Susen Katter.
Klar sein müsse aber jedem, dass, egal was man mache, der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten sei. Diese zwar apokalyptische, aber unanfechtbare Wahrheit brachte Rainer Luick mehrfach zur Sprache. Zwar habe man seit dem Klimagipfel in Rio de Janeiro im Jahr 1992 gewusst, was global passieren würde, und hätte da noch handeln können. Passiert sei jedoch nur so wenig, dass es quasi ein Tropfen auf dem heißen Stein sei.
Man könne nur noch versuchen, Strategien zu entwickeln, mit der Klimakatastrophe und deren Auswirkungen umzugehen. Zum Beispiel müsste man sich zukünftig eher mit dem Thema „Kühlen“ statt „Heizen“ beschäftigen. Die Landwirtschaft brauche klimaangepasste Sorten, neue Wälder müssten angelegt werden und man müsse sich viel mehr um die Funktionalität von Ökosystemen und Feuchtgebieten (als Kohlenstoffsenken) kümmern. Luick mahnte: „Wir machen uns keine Vorstellung davon, was da in der Zukunft auf uns zurollt. Wir müssen es aber schaffen, uns zu adaptieren, um noch irgendetwas zu ändern.“
Totholz wirkt positiv
In der Ökologie wird der Begriff Totholz als Sammelbegriff für abgestorbene Bäume oder deren Teile verwendet. Naturwälder mit einem hohen Anteil an Totholz stellen sogenannte Kohlenstoffsenken dar. Denn über einen langen Zeitraum können sie einiges mehr an atmosphärischem Kohlenstoff binden, als dies Wirtschaftswälder tun. Dies belegen Studien. Aufgrund seines hohen Wassergehalts hemmt Totholz das Austrocknen des Bodens. Sprich, es kann Temperaturschwankungen und Feuchtigkeitsverhältnisse ausgleichen und wirkt so positiv auf das Mikroklima.