Selten stand die Schule so im Fokus der Öffentlichkeit wie während der Pandemie. Der Wechsel zwischen Präsenz-, Hybrid- und Distanzunterricht hat es Ihnen sicher nicht leicht gemacht. Wie haben Sie die letzten eineinhalb Jahre erlebt?

Es ist verrückt, zurückzuschauen und zu merken, was wir schlussendlich geleistet haben. Wir mussten im März 2020 die Situation ja erst einmal begreifen. Als wir vor den Schulschließungen standen, haben wir versucht, alle mit ins Boot zu holen, die Lehrer, die Schüler, die Eltern. Und standen dann vor dem Problem, dass wir Unterricht von heute auf morgen neu denken mussten. Denn: Ob ich in Präsenz unterrichte oder in einem Videoformat, das macht einen riesigen Unterschied.

Inwiefern?

Schule bedeutet vor allem auch Beziehungsarbeit. Gerade Jugendliche in der Pubertät versuchen schon mal, sich dem Unterricht zu entziehen. Das machen sie im Regelunterricht auch, aber da können wir Lehrer schneller und direkter reagieren.

Im Videounterricht ist das anders: Wenn sie die Kameras ausgeschaltet hatten, wussten wir nie, was sie jetzt eigentlich machten. Die Kollegen saßen da zum Teil wirklich vor schwarzen Kacheln. Online muss man anders motivieren. Und ein Stück weit auch vertrauen, dass die Schüler jetzt auch tatsächlich arbeiten.

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Das Lernen war zeitweise auf hunderte von Wohnungen verteilt. Mussten Sie als Schulleiterin da nicht alle zusammenhalten?

Ja, vor allem war ich ständig damit beschäftigt zu kommunizieren. Um den Eltern und Schülern so auch Ängste zu nehmen, wollte ich transparent machen, welche Entscheidungen wir warum treffen. So viele Elternbriefe wie in den letzten eineinhalb Jahren habe ich noch nie geschrieben.

Beate Clot ist die Schulleiterin des Schulverbundes Nellenburg. Sie sagt: In Sachen Digitalisierung habe sich seit Crona viel bewegt.
Beate Clot ist die Schulleiterin des Schulverbundes Nellenburg. Sie sagt: In Sachen Digitalisierung habe sich seit Crona viel bewegt. | Bild: Daniela Biehl

Welche Eindrücke aus dem letzten Schuljahr sind geblieben? Was war besonders herausfordernd? Was blieb notgedrungen auf der Strecke?

Auf der Strecke blieb, und das finde ich wirklich schade, unsere Schulentwicklung. Alles drehte nur noch um Corona. Da blieb keine Zeit, bestimmte Bereiche neu zu denken, pädagogische Konzepte zu entwickeln, Fortbildungen zu machen oder das Schulprofil zu schärfen.

Aber mussten Sie das nicht permanent: Den Unterricht neu denken?

Natürlich, aber als Reaktion auf Corona mussten wir kurzfristige Änderungen vornehmen, die aber für den „Dauerbetrieb“ nur sehr begrenzt tauglich sind. Es ist schon was anders, wenn man längerfristig an einem Konzept für die Zukunft arbeitet. Es auch reifen lässt. Und sich nicht von jetzt auf gleich etwas überlegt.

Man muss auch bedenken: Viele Anweisungen vom Kultusministerium haben wir kurzfristig bekommen. Da blieb kaum Zeit, etwas längerfristig zu entwickeln. Da hat uns erst mal die Umsetzung der neuen Corona-Regeln gefordert.

Die Sommerferien sind vorüber. Der Unterricht ist wieder in Präsenz. Sie sehen die Schüler also inzwischen fast täglich. Welchen Eindruck haben Sie: Wie geht es den Jugendlichen?

Unterschiedlich gut. Wir haben gemerkt, dass die Schüler Dinge auch verlernt haben, weil sie so lange isoliert waren. Wie sie Konflikte lösen zum Beispiel. Oder wie ein normaler Unterricht abläuft. Denn: Im Distanz- und Hybridunterricht hatte sie die technischen Möglichkeiten, den Ton auszuschalten, sich einfach wegzuklicken. An Präsenzunterricht müssen sich manche deshalb erst wieder gewöhnen.

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Wie können Sie als Lehrerin unterstützend wirken?

Wir haben so etwas wie eine Klassenlehrerstunde, unsere Konfliktkulturstunde. Wir halten es nämlich für sehr wichtig, dass die Schüler die Möglichkeit haben, über ihre Fragen und Nöte zu sprechen. Und je nach Klasse nutzen wir auch erlebnispädagogische Module.

Haben sie einen Überblick, wie viele Jugendliche an ihrer Schule Lernrückstände haben?

Das ist von Klasse zu Klasse und auch von Schüler zu Schüler unterschiedlich. Wir merken schon, welche Schüler zuhause ernsthaft gearbeitet haben. Wie groß die Lücken sind, ermitteln wir aber tatsächlich noch.

Was uns enorm hilft – und was uns das Kultusministerium auch ermöglicht hat – ist über die Kontingentstundentafel Stunden anders zu verteilen. Wir können zum Beispiel Geschichte um eine Stunde kürzen und in Deutsch dafür eine Stunde mehr reinzugeben. Das haben wir besonders bei den prüfungsrelevanten Fächern gemacht, damit die Jugendlichen die Förderung bekommen, die sie brauchen.

Stifte, Bücher, Hefte: Der Schulalltag ist wieder eingekehrt.
Stifte, Bücher, Hefte: Der Schulalltag ist wieder eingekehrt. | Bild: Freißmann, Stephan

Sie sagten: Die Schüler hätten viel verlernt im Umgang miteinander. Manche haben vielleicht auch seelisch unter Corona gelitten: Was braucht es, um das alles aufzuarbeiten. Schulpsychologen? Mehr Schulsozialarbeiter?

Mehr Schulsozialarbeit wäre – auch ohne die Besonderheit durch Corona – ein Traum. Ich denke schon seit Jahren, eigentlich bräuchte es hier an der Schule Psychologen, Pflegepersonal, Sozialarbeiter – alles vor Ort. Andere Länder haben da bessere Konzepte. Was wir gerade machen: Es gibt vom Kultusministerium das Förderprogramm „Lernen mit Rückenwind“, das auch auf den sozial-emotionalen Bereich der Jugendlichen abzielt. Es müsste sich in Stockach nur jemand finden, der mit den Jugendlichen im Rahmen des Förderprogramms arbeitet, der eine entsprechende Ausbildung hat – schlussendlich ist es also auch eine Personalfrage.

Schullalltag unter Corona: Was gilt und woher der Rückenwind kommt

Corona dominierte die letzten eineinhalb Jahre: Gab es für trotzdem Dinge, die Mut machten, die gut liefen?

Es macht Mut, wenn ich daran denke, wie wir an der Schule zusammengerückt sind. Das zeigt, wie viel Stärke in Krisenzeiten da ist. Und von der digitalen Ausstattung war das ein Quantensprung. Wir waren auch vorher schon gut ausgestattet, aber jetzt haben wir so viele Klassensets an digitalen Geräten, dass wir sogar parallel damit arbeiten könnten.

Stehen die Stockacher Schulen in Sachen Digitalisierung also gut da?

Ja, aber es fehlt noch ein Systembetreuer, eine Art Schul-IT. Allein am Schulverbund Nellenburg sind wir mit 800 Schülern und 80 Lehrern schon sowas wie ein mittelständischer Betrieb. Da hängt es technisch immer irgendwo, da müssen Geräte eingerichtet und betreut werden. In Betrieben gibt es dafür extra IT-Abteilungen und bei uns macht das ein einziger Lehrer, der vom Kultusministerium zwei Stunden pro Woche dafür bekommt. Das ist viel zu wenig.

Was würde helfen: Mehr Stunden? Extra Stellen?

Darüber haben wir mit der Stadt schon gesprochen, und der Gemeinderat hat zugestimmt, einen Systembetreuer für die Schulen einzustellen.

Abseits der Schul-IT was wünschen Sie sich noch?

Einfach Zeit. Zeit, um Dinge anpacken zu können, die auf der Strecke geblieben sind. Unsere Schulentwicklung zum Beispiel. Solche Konzepte strickt man ja nicht mal eben nebenbei.

Fragen: Daniela Biehl