Als Kinder träumen viele davon: Wenn sie einmal groß sind auf einer Baustelle zu stehen, Straßen zu kehren, etwas zu nähen, zu bauen – ein Kleid, ein Haus, ein paar Möbel. Denn: Hinter den Wünschen von Kindern stecken oft ganz praktische Jobs. Die, die älteren Jugendlichen dann aber nur noch selten ergreifen. So selten, dass es dem Handwerk seit Jahren an Nachwuchs mangelt.

Das könnte Sie auch interessieren

Eva Müller, Bootssattlerin in Ausbildung, kann das kaum verstehen. „Es ist mega schön, wenn man mit den Händen Dinge schafft, die in ein paar Jahren noch da sind.“ Auch Christoph Joos, der seinen Meister als Schilder-und Lichtreklamehersteller gemacht hat, schätzt, „dass man sein Tagwerk wirklich sieht.“

Beide sagen das Handwerk sei ihr Traum. Beide erzählen dem SÜDKURIER ihre Geschichten. Und die unterscheiden sich gar nicht mal so stark. Eva Müller sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, im Büro der Bootssattlerei Hildra in Bodman, deutet durch die halb offene Tür nach draußen, wo ihre Kollegen Planen, Verdecke und Polster für Boote herstellen und nähen – und sie sagt, das Nähen sei ihre große Leidenschaft. Doch: Wo fängt man an, von seiner Leidenschaft zu erzählen? Wo hört man auf?

Von dem Modedesign zur Booten: Eva Müllers Weg ins Handwerk

Eva Müllers Geschichte beginnt mit ihrer Mutter. „Die näht auch gerne“, sagt die 20-Jährige. „Das fand ich schon immer cool.“ Ihre ersten Näherfahrungen sammelte sie noch während der Schulzeit. Nach dem Realschulabschluss ging sie 2017 auf das Berufskolleg für Mode und Design in Radolfzell, machte dort ihr Fachabitur und den staatlich geprüften Modedesigner und Maßschneider.

Eva Müller vor ihrer Nähmaschine. Hier entstehen ihre Bootsplanen und Verdecke.
Eva Müller vor ihrer Nähmaschine. Hier entstehen ihre Bootsplanen und Verdecke. | Bild: Daniela Biehl

Und dann? „Wusste ich nicht, was ich beruflich machen will.“ Das war im Sommer letzten Jahres. Um Zeit zu gewinnen kellnert sie. Merkt: „Das Nähen, das fehlt mir.“ Denkt: „Vielleicht sollte ich doch studieren.“ Und findet: Im Internet eine Stelle für einen Quereinsteiger bei Hildra. Sie ruft an, macht im Dezember ein Praktikum bei der Bootssattlerei – und der Gedanke zu studieren rückt nach und nach in den Hintergrund.

Sie konnte richtig loslegen

„Das hat viel zu viel Spaß gemacht“, sagt Müller. „Ich habe die Nähmaschinen in der Sattlerei gesehen, konnte richtig loslegen, weil ich das alles schon kannte.“ Im April hat sie deshalb ihre Ausbildung zur Bootssattlerin angefangen. Auf zweieinhalb Jahre verkürzt, weil sie schon Erfahrung hat.

Schon als Kind mit angepackt

Auch Christoph Joos Geschichte beginnt in der Familie. Mit seinem Vater, ebenfalls einem Schilder- und Lichtreklamehersteller, der sich 2007 in Orsingen-Nenzingen selbstständig machte. Und weil Joos schon als Kind bei ihm mit anpackte und den Betrieb in ein paar Jahren übernehmen wird, scheint es, als sei das alles schon immer geplant gewesen. Ist es aber nicht. „Es ist einfach so passiert“, sagt der 27-Jährige.

Christoph Joos vor den Teilen eines Werbeturms, den er mit seinem Team zusammenbaut.
Christoph Joos vor den Teilen eines Werbeturms, den er mit seinem Team zusammenbaut. | Bild: Daniela Biehl

Als das Ende der Schulzeit nahte, wusste Joos nicht, welchen Weg er einschlagen sollte. Fest stand nur: „Ich wollte nicht studieren.“ Er konnte sich das einfach nicht vorstellen, nur hinter dem Schreibtisch zu sitzen, so viel und so theoretisch zu lernen.

Die Freiheit hinter dem Selbstverdienten

Lieber wollte er zupacken, sein eigenes Geld verdienen, um sich davon ein Moped, ein Auto zu kaufen – und abends mit Freunden loszuziehen. Die Freiheit zu genießen, die mit selbstverdientem Geld einhergeht. Und weil er schon Einblicke in den Beruf seines Vaters hatte, lag die Werbetechnikbranche nahe. „Ich dachte damals, wenn es dir nicht gefällt, kannst du nochmal was anderes machen.“

Christoph Joos arbeitet in seiner Werkstatt an einer Werbeanlage.
Christoph Joos arbeitet in seiner Werkstatt an einer Werbeanlage. | Bild: Christoph Joos

Das ist inzwischen elf Jahre her, Joos ist immer noch in der Branche. Warum? „Weil sie so abwechslungsreich, so spannend ist“, sagt er. Mal baue er Werbeanlagen, mal erstelle er Leuchtschriften und Banner und mal stehe er auf der Baustelle und montiere die Anlagen. Jeder Tag, jeder Auftrag sei anders.

Kaum Berührung mit dem Handwerk

Auch Eva Müller sagt, kein Boot, keine genähte Plane sei dieselbe. Ihr kniffligstes Projekt: Eins, wo der Reißverschluss in der Mittelnaht verlief. Wo sie – bei all den Nähten, die da in Mitte zusammentrafen – ganz behutsam arbeiten musste.

Das könnte Sie auch interessieren

Und ihr schönstes: „Das waren die Kleider, die ich auf dem Berufskolleg genäht habe. Da ist so viel Zeit mit eingeflossen, die würde ich niemals wegwerfen“, sagt Müller, fährt mit den Händen über eine Persenning, eine Schutzabdeckung für Boote, und sagt Sätze wie „Es ist schönes Gefühl, wenn du weißt, dass du das selbst gemacht hast.“ Oder: „Wenn die Plane auf dem Boot liegt und du siehst, das alles passt, ist das einfach nur mega.“

Damit die Persenning auch wasserdicht ist, versiegelt Eva Müller sie mit Abdichtungsflüssigkeit.
Damit die Persenning auch wasserdicht ist, versiegelt Eva Müller sie mit Abdichtungsflüssigkeit. | Bild: Daniela Biehl

Bei solchen Sätzen könnte man glauben, das Handwerk kein so massives Nachwuchsproblem hat. Doch warum wird der Weg ins Handwerk so selten eingeschlagen? „Ich denke, dass viele nach der Schule nicht wissen, was sie machen wollen“, sagt Müller. Um Zeit zu sparen und die Berufsentscheidung – die auf einmal so endgültig wirkt –aufzuschieben, würden viele, auch in ihrem Freundeskreis, erst mal studieren.

Ausbildung? Nein, Studieren!

Auch kämen Jugendliche mit der Vielfalt an handwerklichen Berufen kaum in Berührung. „Den Schreiner kennt man, den Maler, aber eine Bootssattlerin?“ Müller muss schmunzeln. Ab und zu merkt sie am Verhalten von anderen tatsächlich, dass ihr Job etwas Besonderes ist. Dass ihn nicht jeder kennt. Ähnlich sieht es Christoph Joos: „Das eine Ausbildung gar nicht mehr in Erwägung gezogen wird, ist wirklich schade. Es heißt ja oft nach der Schule schon: Wo gehst du hin zum Studieren? Als sei das gesetzt.“

Ausgezeichnetes Meisterstück

Dabei mache eine Ausbildung ebenso Spaß. Christoph Joos etwa ließ das Handwerk gar nicht mehr los. Trotz der praktischen Erfahrung hat er letztes Jahr in Vollzeit noch einen Meisterkurs an der Badischen Malerfachschule in Lahr belegt. Von der Karl Wertz Stiftung ist Joos sogar für sein Meisterstück ausgezeichnet worden.

Christoph Joos beim Bauen seines Meisterstücks. Der Handwerkskammer musste er eine selbst konstruierte Werbeanlage präsentieren.
Christoph Joos beim Bauen seines Meisterstücks. Der Handwerkskammer musste er eine selbst konstruierte Werbeanlage präsentieren. | Bild: Christoph Joos

Ganz uneigennützig sei die Meisterzeit aber nicht gewesen. Immerhin will Joos den Betrieb seines Vaters übernehmen. Und immerhin braucht er dafür einen Meistertitel.

Doch auch die kleinen und großen Arbeitsprojekte während der Meisterzeit hätten ihn gereizt, sagt er – und klingt dabei fast ein wenig betrübt. Denn: „Wenn ich in die Zukunft schaue, fehlen mir die Leute“, sagt Joos. In drei, vier Jahren, wenn seine älteren Mitarbeiter in Rente seien, mache sich der Nachwuchsmangel besonders bemerkbar.