Dass Lyubov (Luba) Stelling den Menschen in der Ukraine helfen will, war schnell klar. Dass es sie selbst ins vom Krieg gebeutelte Land verschlagen sollte, hatte sie vorerst nicht geahnt. Auch nicht, was sie auf der rund 1400 Kilometer langen Reise gemeinsam mit ihrem Mann Ralph erleben sollte.
Kurz vor dem letzten Februarwochenende war es, als Lyubov (Luba) Stelling aus Nenzingen per WhatsApp fünf Nachrichten an ihre Freunde versandt hatte, mit der Bitte, ob Jemand nicht mehr benötigte Kleidung oder Lebensmittel abzugeben habe. Fünf Nachrichten, die sich in Windeseile derart multipliziert hatten, dass binnen eines Tages die dafür leer geräumte Garage vollgestapelt war mit warmer Kleidung, Konserven, Decken, Schlafsäcken, Kindernahrung und Medikamenten.
Überwältigt von der Hilfsbereitschaft
„Die Resonanz und die Spendenbereitschaft in der Gemeinde war einfach überwältigend“, sagt Ralph Stelling, der gemeinsam mit seiner Frau die Hilfsaktion organisiert hatte. „Der Fluss an Sachen riss nie ab. Und dann hat die Alt-Herren Mannschaft des Sportvereins Orsingen-Nenzingen 1000 Euro gesammelt und damit die Apotheke Eigeltingen leergekauft, die ihrerseits freundlicherweise dann noch 40 Prozent Rabatt auf alles gab. Und als wir weiter aufriefen, dass wir Verbandszeug brauchen, wichen die Leute sogar auf Apotheken in Singen aus, weil es hier nichts mehr gab“, so Ralph Stelling.
Pläne ändern sich
Eigentlich habe Luba Stelling gemeinsam mit ihrem Mann Ralph die Spenden mit dem eigenen Auto nur bis nach Stuttgart fahren wollen, von wo aus sie in die Ukraine gebracht werden sollten. Doch es kam anders. Denn schnell wurde klar, dass der Platz im Auto für all die Kisten und Säcke nicht ausreicht. Und auch ein vom Musikverein geliehener Hänger entpuppte sich als zu klein.
Letztlich fand sich ein 3,5 Tonner, den die Stellings anmieten konnten. Mit dem Lastwagen starteten sie direkt nach Przemysl, einem Polnisch-Ukrainischen Grenzort. „Wir hatten sogar Geld für all den Sprit bekommen“, sagt Luba Stelling. Sie erklärt, warum sie eigentlich nicht, wie geplant, nur nach Stuttgart fuhren: „Die Freiwilligen in Stuttgart haben gesagt, dass sie so viele Waren gar nicht bei ihrem Transport mitnehmen können. Da haben wir beschlossen, selbst die 1400 Kilometer zu fahren.“
Eine 18 Stunden lange Reise
18 Stunden, von 6 Uhr morgens bis um Mitternacht war das Ehepaar unterwegs. Es hatte unterwegs in Görlitz noch weitere Spendengelder in Waren umgesetzt, da man in der Grenzregion nichts mehr kaufen konnte, wie sie wussten. „Wir haben Aldi und Apotheken gestürmt“, so Ralph Stelling.

Und er sagt, je näher man der Grenze kam, desto mehr habe man den Krieg spüren können: „Es gab schon 300 Kilometer vor der Grenze an den Tankstellen keinen Diesel mehr – wir durften dann netterweise an einer Lastwagen-Tankstelle tanken. Die Dieselmenge je Lastwagen war limitiert, sagten Schilder.“
Überall liegt Krieg in der Luft
An der Kontaktadresse im Depot in Przemysl wurde dann um Mitternacht abgeladen. Die Hilfsgüter wurden direkt in Züge verladen und hätten bereits am frühen Mittwoch die Ukrainischen Städte Lviv und Kiew erreicht. Dann habe das Ehepaar nach kurzer Pause in Polen die Rückfahrt angetreten. „Wir waren froh, von der Grenze wegzukommen, denn sogar auf polnischer Seite liegt der Krieg in der Luft. Du kannst ihn riechen“, beschreibt Luba Stelling.
So einige beklemmende und angsteinflößende Situationen hätten sie erlebt, wie zum Beispiel als ihnen mitten in der Nacht ein nicht gekennzeichneter Militärkonvoi mit Panzern entgegengekommen sei. Ralph Stelling erzählt: „Das ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn Du nicht weißt, welche Nationalität die haben.“
An der nächsten Tankstelle erfuhren die Beiden, dass Nato-Truppen ohne Kennzeichnung unterwegs seien. Der Schreck habe jedoch tief gesessen: „Alles an uns hat gezittert, die Hände und die Füße und die Luft war knapp“, sagt Luba. „Wir haben auch die ganze Zeit gehört, wie Flugzeuge fliegen und Hubschrauber der Amerikaner. Der Krieg war einfach so nah.“
Schicksale bewegen das Ehepaar
Von der Rückfahrt berichten die Stellings, sie hätten etliche Polizei-Konvois gesehen, die Busse mit Flüchtlingen begleitet hätten. Überall sei das Ehepaar Flüchtlingen begegnet, allen sei große Unsicherheit gemein gewesen, und „große, ängstliche Augen“, so Luba Stelling. An etlichen Rasthöfen, die sie wegen des Internets regelmäßig anfuhren, um Kontakt nach Hause zu halten, hätten sie weiteren Kontakt zu Flüchtlingen gehabt.
Dabei hätten sie Einblicke in schlimme Schicksale bekommen und von traurigen Erlebnissen von Menschen auf dem Weg ins Ungewisse gehört. Luba erzählt: „Da war ein Junge, der sein Geld zählte. Seine Schwester hatte großen Hunger. Doch er sagte, das Geld müsse für Kaffee ausgegeben werden, damit die Mama weiterfahren kann. Der Junge sah aus wie mein Neffe.“ An jeder Raststätte sei so etwas passiert. Man habe ständig geholfen, wenn auch nur mit Kleinigkeiten. Und Luba Stelling habe gedolmetscht.
Die Eindrücke beschäftigen weiter
Zurück in Deutschland beschreibt das Ehepaar, dass die Erlebnisse sie sicherlich noch für eine lange Zeit beschäftigen werden und sie geprägt haben. „Das geht an die Substanz“, sind sich die Beiden einig. Aber sie würden es wieder tun. Bedanken möchten sie sich bei allen Helfern und Spendern: „Ein ganz, ganz, großes, herzliches, dickes Dankeschön“, so Luba Stelling.
Und Luba Stelling hat abschließend eine Bitte: „Der Krieg geht schon lange, aber er geht immer noch weiter und die Lage ist weiterhin ernst. Unterstützen Sie so viel Sie können, mit was auch immer Sie können. Auch wenn die Medien jetzt nicht mehr so viel berichten: Ich kann nur sagen, bitte machen Sie weiter! Die Hilfsgüter werden immer weniger, aber es werden noch immer gleich viele Sachen gebraucht.“